Vor 17 Jahren waren chinesische Schriftzeichen, Tribals und Playboy-Hasen auf dem Steißbein der letzte Schrei. Damals ließ sich auch Lidia Reyes ihre erste Tätowierung stechen: eine Tarantel auf der Schulter. Die heute 32-Jährige lebt im spanischen Küstenort Mataró und wurde 2014 offiziell zur meisttätowierten Frau Spaniens gekürt. Inoffiziell hält sie diesen Titel auch für ganz Europa. Ihr Ziel ist jedoch ein Eintrag ins Guinness-Buch der Rekorde – als Frau mit den meisten Tattoos weltweit.
Für Lidia liegt der Schlüssel zum Erfolg in immer mehr Tinte unter der Haut. Umso seltsamer ist, dass sie sich gerade einige ihrer Tattoos entfernen lässt – nämlich die in ihrem Gesicht. Wir haben sie zu einer Laser-Session begleitet und mit ihr über ihre Mission gesprochen.
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VICE: Warum lässt du dir Tattoos entfernen, wenn du die meisttätowierte Frau der Welt werden willst?
Lidia Reyes: In letzter Zeit empfinde ich mein Gesicht als zu voll. Natürlich lasse ich nicht alle Tattoos weglasern, ein paar bleiben. Auf anderen Körperteilen ist ja auch noch Platz für mehr Tinte.
Was war dein erstes Tattoo?
Als ich 15 war, ließ sich eine Freundin tätowieren. Da wollte ich natürlich mitziehen. Meine Mutter verbat es mir zwar, aber ich wollte das selbst entscheiden. Deshalb zog ich es einfach durch. Zugegebenermaßen dachte ich in diesem Moment nicht viel nach. Damals waren Insektenmotive total angesagt. Also ließ ich mir eine Tarantel auf die Schulter stechen.
Du hast dir dein erstes Tattoo also stechen lassen, um in zu sein?
Ja. Das war ein Fehler. Als mir dann klar wurde, worum es beim Tätowieren wirklich geht, ließ ich die Tarantel auch mit einem Kleopatra-Motiv überstechen.
Sind Tattoos bei dir zu einer Sucht geworden?
Ich erinnere mich noch genau, als mir bei meiner ersten Tätowierung klar wurde, dass es nicht weh tut. Da dachte ich bereits über mein zweites Tattoo nach. Ein Tattoo gestochen zu bekommen, ist für mich eines der schönsten Gefühle der Welt. Ich gebe zu, dass ich süchtig nach Tinte unter meiner Haut bin. Ich habe zwar schon lange nicht mehr gezählt, aber insgesamt besitze ich wohl zwischen 260 und 270 Tätowierungen. Ich bezahle dafür auch nichts mehr, die meisten stammen von befreundeten Tätowierern.
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Wie fühlt es sich an, die meisttätowierte Frau Europas zu sein?
Ich fühle mich oft verurteilt. Es heißt zwar, dass Tattoos kein Tabu mehr seien, aber das stimmt nicht. Dank meiner Social-Media-Accounts weiß ich, dass es da draußen auch viele Menschen gibt, die mich bewundern und zu schätzen wissen, was ich hier mache. Im Internet dokumentiere ich meinen Alltag und meinen Weg zur meisttätowierten Frau der Welt.
Mich erreichen positive Nachrichten und Fragen von Leuten. Andere kritisieren mich aber auch oder schicken mir gar Todesdrohungen. Auf der Straße haben mich schon Leute um ein Foto gebeten und dann versucht, mir die Tasche zu klauen. Und das alles nur wegen meines Aussehens.
Die Jobsuche ist in Spanien sowieso schon nicht leicht. Wie geht es dir da mit deinem Aussehen?
Wenn du mit so etwas anfängst, muss dir von Anfang an klar sein, dass du keinen normalen Job mehr machen kannst. 2007 stieg ich in die Porno-Branche ein. Damals hatte ich noch nicht so viele Tätowierungen und eine Menge Leute standen auf mein Aussehen. 2009 begann ich dann allerdings damit, mich richtig zuhacken zu lassen, und die Produzenten meinten, dass sich das nicht mehr so gut verkaufe.
Weil ich in immer weniger Filmen mitspielte, versuchte ich mich als Webcam-Girl. Das machte mir aber irgendwann keinen Spaß mehr. Anschließend wollte ich selbst tätowieren und übte auf Schweinehaut. Leider habe ich das erste Tattoo dann komplett versaut. Derzeit versuche ich, Geld mit meinen Body Modifications zu verdienen.
Kommst du damit über die Runden?
Das ist nicht so einfach. Für die meisten bisherigen Auftritte habe ich kein Geld bekommen. Das wird sich aber ändern, sobald ich im Guinness-Buch der Rekorde stehe. Deswegen ist mir das auch so wichtig. Letztendlich will ich durch die sozialen Medien zu einer Person des öffentlichen Lebens werden und zeigen, dass stark tätowierte Menschen auch nur Menschen sind.
Du hast ja zwei Töchter. Wie finden die, wie du aussiehst?
Meine ältere Tochter kommt jetzt in die Schule und sie findet meine Tätowierungen richtig cool. Die jüngere kann noch nicht wirklich sprechen, aber ich weiß, dass mich meine Kinder so lieben, wie ich bin. Und ich liebe sie genauso. Ich bin mir sicher, dass sie andere Leute später nicht nach deren Aussehen beurteilen werden.
Und warum hast du sogar deine Augäpfel tätowieren lassen?
Diese Body Modification ist in Spanien nicht erlaubt. Deswegen bin ich dafür in die Schweiz zu meinem Freund Oscar Márquez gefahren. Der hat mir auch meine Zunge gespalten. Nicht jeder Tätowierer hat das mit den Augäpfeln drauf, man muss dabei unglaublich vorsichtig sein. In Frankreich ist ein Mann vor Kurzem deswegen erblindet. Bei mir ging zum Glück alles gut – abgesehen von den pinken Tränen, die ich danach ein paar Tage lang geweint habe. Ich bin an Körperstellen tätowiert, wo andere Frauen keine Tattoos haben, zum Beispiel auf den Augäpfeln, im Gesicht, im Intimbereich oder auf den Handflächen. Deswegen bin ich mir ziemlich sicher, dieses Jahr im Guinness-Buch der Rekorde zu landen.
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