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Ich wollte eine Insassin beschützen – aber ich kann nicht immer Dienst haben

Als ich Lara rettete, brach ich die Regeln. In all meinen Jahren als Justizvollzugsbeamte hatte ich mich nie in eine körperliche Auseinandersetzung begeben. Lara war 22 Jahre alt, als sie in das Gefängnis kam, in dem ich arbeitete. Bedford Hills ist ein Hochsicherheitsgefängnis für Frauen im US-Bundesstaat New York.

Als sie an jenem Abend zu ihrer Zelle zurückging, wirkte sie besonders klein. Andere Gefangene riefen ihr Dinge zu, triezten sie, während sie vorbeiging. Ich dachte mir nichts weiter dabei. Dann aber wurden aus Worten plötzlich Taten: Sie stürzten sich auf sie.

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Auf die Jüngeren habe ich schon immer besonders aufgepasst. Es ist nicht einfach, wenn du als Jugendliche für ein Drogendelikt oder Diebstahl zu diesen ganzen Erwachsenen kommst, von denen viele schwere Verbrechen begangen haben, manche sogar einen Mord. Und es sollte eigentlich auch nicht vorkommen. Ich sagte ihnen immer, sie sollten zusehen, dass sie sich von Ärger fernhalten, und erinnerte sie, dass die Zeit im Gefängnis nicht verloren sein musste. Sie konnten ihre ein, zwei Jahre absitzen und dabei ihren Schulabschluss machen. Draußen konnten sie ein neues Leben anfangen.


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Ich sah zu, wie Lara von den Frauen verprügelt wurde, während ich nach Verstärkung funkte. Niemand antwortete direkt. An der Akademie hatten wir gelernt, dass Wachpersonen sich niemals körperlich auf eine Auseinandersetzung einlassen sollen, wenn keine Verstärkung da ist. Selbst wenn es so aussieht, als würden sich die Häftlinge gegenseitig umbringen, mussten wir auf Hilfe warten. Aber ich konnte nicht einfach dastehen und zusehen, wie diese 1,50 Meter große Person zusammengeschlagen wurde. In dem Augenblick sah ich sie nicht als Gefangene – sie war nur ein Kind.

Ich sprang dazwischen und trennte die Parteien. Ich fragte, ob sie die Angreiferinnen kannte, und sie sagte Nein – sie war noch nicht lange in diesem Gefängnis. Sie dankte mir, als ich sie zurück in ihre Zelle brachte. Ich weiß, dass die meisten Menschen nicht grundlos im Gefängnis sitzen. Aber ich möchte nicht wissen, was der Grund ist. Das würde nur mein Urteilsvermögen schwächen, mich voreingenommen machen.

Nach diesem Vorfall hielt Lara immer an und sprach mit mir, wenn sie mich sah. Sie hatte eine sanfte Stimme. “Wie geht es Ihnen?”, fragte sie immer, und ich sagte ihr, sie solle stark bleiben und sich von Ärger fernhalten. Dann antwortete sie: “Ich werde mir nichts einhandeln. Keine Sorge, Mrs. D.”

Ihre Zeit in Bedford verbrachte sie meist allein. Sie war nie auf Konfrontationskurs mit den anderen Häftlingen; soweit ich mitbekam, geriet sie nicht nochmal in Schwierigkeiten. Was mir damals nicht klar genug war: Es geht nicht nur um körperliche Schwierigkeiten. Es ist genauso wichtig, keine psychischen Schwierigkeiten zu kriegen.

“Häftlinge haben sich schon die unmöglichsten Dinge angetan, während ich Dienst hatte. Wenn du in solchen Fällen Ersthelferin bist, können deine Entscheidungen Leben verändern.”

Im Frühling 2010 lernte ich Lara richtig kennen. Man verlegte sie nach einem versuchten Suizid ins Krankenhaus. Sie wurde zur Suizidprävention unter Beobachtung gestellt, und ich bekam die erste Schicht zugeteilt. In ihrem Zimmer gab es keine Möbel, man hatte alles entfernt, damit sie sich nicht selbst verletzen konnte. Nicht einmal ein Bett hatte sie, stattdessen schlief sie auf einer Matratze, die kaum dicker war als eine Yogamatte.

Ich war dort, als sie aufwachte. Wir fingen an, uns über ihr Leben vor Bedford zu unterhalten. Sie stammte aus einer ländlichen Gegend und sprach mit einem leichten Country-Akzent. Sie erzählte mir, ein Familienmitglied habe sie vergewaltigt, sie habe seine Kinder zur Welt gebracht. Wir redeten den ganzen Tag weiter.

“Ich tue mir nur was an, weil ich nicht mehr nach Hause will”, sagte sie. “Er macht einfach immer weiter.”

Ich fragte sie, was mit ihren Kindern passieren würde, wenn sie nicht mehr da wäre. Das wisse sie nicht, aber sie liebe die Kinder. Lara tat mir furchtbar leid. Ich schaute ihr in die Augen und sagte: “Du musst da sein, um die Kinder zu beschützen. Sie brauchen dich. Versprich mir, dass du dich nicht mehr verletzen wirst.”

Ich habe schon auf viele Fälle von Selbstverletzung reagiert. Häftlinge haben sich schon die unmöglichsten Dinge angetan, während ich Dienst hatte. Wenn du in solchen Fällen Ersthelferin bist, können deine Entscheidungen Leben verändern. Häftlinge, die psychische Probleme haben, kriegen tagsüber psychiatrisches Personal zur Seite. Aber mit wie vielen Häftlingen führen diese Leute wohl jeden Tag ein tiefgreifendes Gespräch? Niemand mag extra Papierkram. In meiner 24-Stunden-Schicht zur Suizidprävention hatte ich dagegen viel Zeit, einfach nur zuzuhören.

Ich war überrascht, wie leicht ich mich mit Lara unterhalten konnte. Sie wirkte beim Reden so ruhig und entspannt. An jenem Tag im Krankenhaus versprach sie mir, es nicht noch mal zu versuchen. Sie sagte, sie müsse nur herausfinden, wo sie nun hinkönne, denn nach Hause könne sie nicht mehr.


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In den Monaten nach unserem Gespräch hörte ich nichts über sie und sah sie auch nicht. Wärter unterhalten sich häufig über Häftlinge, die sich schon selbst verletzt haben. Das tun wir nicht, um zu tratschen, sondern damit alle darauf achtgeben, ob die Person sich womöglich etwas angetan hat. Als ich am Ende des Sommers aus dem Urlaub zurückkam, erzählte mir eine Kollegin die grauenvolle Nachricht. Lara hatte Suizid begangen.

Später erfuhr ich, dass die beiden Wärter sie kurz nach dem Suizid gefunden hatten. Sie hatten nicht einmal versucht, sie wiederzubeleben. Den Häftlingen zu helfen, ist Teil unseres Jobs, und diese beiden Justizvollzugsbeamten haben versagt. Eine Person wurde bestraft, die zweite ging in den Ruhestand.

“Bis heute frage ich mich, ob nicht alles hätte anders laufen können, wenn ich an jenem Tag Dienst gehabt hätte. Ich hätte mir ihr sprechen können, sie hätte es sich noch mal überlegt. Ich hätte sie nochmal retten können.”

Lara wurde für schweren Diebstahl inhaftiert. Mit Anfang 20 bekam sie zwei bis vier Jahre. Wenn du jeden Tag genug Zeit mit Häftlingen verbringst, kannst du dir auch irgendwann ihren Respekt verdienen. Ich weiß, dass ich ihren Respekt hatte, weil sie mir nie Probleme gemacht hat. Bis heute frage ich mich, ob nicht alles hätte anders laufen können, wenn ich an jenem Tag Dienst gehabt hätte. Ich hätte mir ihr sprechen können, sie hätte es sich noch mal überlegt. Ich hätte sie nochmal retten können.

Lara hieß eigentlich anders. Ihr Name wurde von der Redaktion geändert.

Notrufnummern für Suizidgefährdete bieten Hilfe für Personen, die an Suizid denken – oder sich Sorgen um einen nahestehenden Menschen machen: Die Nummer der Telefonseelsorge in Deutschland ist: 0800 111 0 111. Hier gibt es auch einen Chat. Trauernde Angehörige von Menschen, die Suizid begangen haben, finden bei Organisationen wie Agus Hilfe.

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