Dieser Artikel ist zuerst bei Broadly erschienen.
Ich sitze an meinem Schreibtisch in einem luxuriösen Verlagshaus in London. Um mich herum arbeiten meine Kollegen an knallharten Investigativ-Storys und aktuellen Nachrichtenmeldungen. Währenddessen aktualisiere ich unsere Sparte mit dem blumigen Titel „Shocking celebrity nip-slips: boobs on the loose”. Mein Computerbildschirm ist vollgepackt mit Bildern von gebräunter Z-Promi-Haut und ich schreibe die dazugehörigen Einzeiler, die so wohl auch aus dem Mund eines Stripclub-Entertainers stammen könnten: „Snookis scharfe Melonen sind kurz rausgehüpft, um Hallo zu sagen!” oder „Huch! Sieht so aus, als hätte Kim Kardashian heute ihren BH vergessen!”
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Damals im Jahr 2013 arbeitete ich für eine Klatsch-und-Tratsch-Website. Als ich in dieser Industrie gelandet bin, schoben die ganzen Online-Redaktionen gerade Panik, denn ihre Seiten wurden von vielen Anzeigenkunden finanziert, die natürlich wollten, dass so viele Leute wie möglich auf die Artikel klicken. Das bedeutete, dass wir Sachen schreiben mussten, die die Leser neugierig machen und oft geteilt werden—zu diesem Zweck wurden allerdings auch etwas zwielichtigere Taktiken angewandt. Bei sinkenden Klickzahlen wandten sich solche Verlage wie der, bei dem ich gearbeitet habe, zu Orientierungszwecken an das Allheilmittel der Suchmaschinenoptimierung (auch SEO genannt).
„Ganz allgemein gesprochen, würde ich es so erklären, dass mit der Suchmaschinenoptimierung sichergestellt werden soll, dass Google versteht, um was es bei einer bestimmten Website geht”, meint Chase Granberry, der CEO von AuthorityLabs—einem Software-Unternehmen, das Verlagen dabei hilft, einen Überblick über Google-Suchanfragen zu behalten. „Man benutzt diverse Werkzeuge, um herauszufinden, nach was die Leute googlen—beliebte Begriffe werden dabei als ‚Schlüsselworte’ oder ‚Suchbegriffe’ bezeichnet. Dazu produziert man dann entsprechende Inhalte. Und schließlich arbeitet man sich dann noch in den Suchergebnissen nach vorne, indem man die Schlüsselworte in der Überschrift, in der URL, im Teaser und in den Bilder-Tags so oft wie möglich unterbringt.”
Die Suchmaschinenoptimierung kann dazu genutzt werden, um Leser auf wertvolle Inhalte aufmerksam zu machen, aber viele Kritiker sagen auch, dass Online-Magazine, die ihre Seele für hohen Traffic verkaufen, eher qualitativ minderwertigen Journalismus bieten. Dieser Umstand wird auch in einer größeren Debatte der Journalismus-Welt ins Spiel gebracht, bei der es darum geht, ob der Inhalt eines Artikels wichtiger ist, als die Anzahl der Leute, die ihn anklicken. Der Autor Joshua Benton hat es in einem Beitrag für Nieman Lab folgendermaßen erklärt: „Man macht einen besseren Job, wenn man versucht, anstelle von undurchsichtigen Algorithmen lieber echte Menschen zufriedenzustellen.”
Es gleicht schon einem Tanz mit dem hochoptimierten Teufel, wenn man vor allem auf Suchmaschinenoptimierung setzt, um Leser auf seine Website zu locken, denn dafür zahlt man meist einen hohen moralischen Preis. Wenn es um weibliche Popstars und Schauspielerinnen geht, dann wird der Name des Promis häufiger zusammen mit den Begriffen „naked”, „boobs”, „butt”, „weight” und „bikini” gesucht, als mit den dazugehörigen Album- oder Filmtiteln. Seit 2008 wird mehr nach „Miley Cyrus naked” gegooglet als nach „Miley Cyrus music”, „Miley Cyrus album”, „Miley Cyrus show” und „Miley Cyrus Instagram”. Und seit ihrem 15. Lebensjahr wird nach Emma Watson häufiger in Zusammenhang mit dem Wort „feet” gesucht als mit dem Wort „style”—das erklärt vielleicht auch, warum auf einer Website für Frauen in einem Artikel erklärt wird, wieso sich die Schauspielerin sehr gut als Fußfetisch-Kandidatin eignen würde.
All das kenne ich nur zu gut. 2013 bestand mein Job schließlich daraus, das private Suchverhalten der breiten Masse zu untersuchen und dann über die meistgesuchten Begriffe zu schreiben. Und so kam es, dass ich Überschriften mit schmierigen Schlüsselwörtern vollpackte und Bikini-Instagram-Bilder zur Grundlage von Artikeln mit 300 Wörtern machte. Zwar passte ein Großteil meines Outputs nicht gerade zu meinen feministischen Ansichten, aber es fühlte sich irgendwie trotzdem gut an, eine schmissige Überschrift zu schreiben oder Beiträge einzutippen, die tausendfach angeklickt wurden. Indem man einen Star auf eine Liste von Suchbegriffen reduziert—wie etwa „Rihanna naked”, „Rihanna butt” oder „Rihanna bikini Instagram”—, objektiviert man diese Person auf eine Art und Weise, die so wohl nie möglich wäre, wenn man sie als echten Menschen betrachtet.
Wenn dein Job mehr von den Klickzahlen der Artikel als von den eigentlichen Inhalten abhängt, dann verändern sich auch deine Ziele. „Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Journalisten dieses Prinzip unglaublich stressig finden”, erklärt mir Susan E. McGregor, die stellvertretende Leiterin des Tow Centers for Digital Journalism. „Es besteht kein Zweifel daran, dass ein großer Bildschirm im Büro, der anzeigt, was gut läuft und was nicht, negative Auswirkungen haben kann.”
Wir haben Wörter wie ‚Nippelblitzer’ geschrieben, obwohl nirgendwo auch nur ansatzweise ein Nippel zu sehen war—aber danach suchen die Leute nun mal.
Auch die Feministin und Promi-Journalistin Hannah* hat all das schon selbst erlebt, als sie für eine Reihe an Online-Zeitungen und -Magazinen gearbeitet hat, deren Artikel jeden Monat weltweit Hunderttausende Leute erreichen. Sie wurde von ihren Vorgesetzten auch angewiesen, Beiträge zu schreiben, die mit ihren eigenen Überzeugungen kein bisschen konform gingen. Heute sieht sie das Ganze jedoch eher als etwas an, „das einem auf dem Weg nach oben eben passiert.”
„Kurz nach der Veröffentlichung des Videos zu ‚Blurred Lines’ von Robin Thicke mussten wir ständig über Emily Ratajkowski, also eines der barbusigen Models, schreiben”, erzählt mir Hannah. „Damals hat sie noch keine Filme gemacht und sie hätte mir eigentlich nicht egaler sein können. Ich bezweifle auch, dass unsere Leser gewusst haben, wer sie ist, aber Artikel darüber, dass sie ein ‚sexy Oben-ohne-Selfie’ gemacht hat, erzeugten trotzdem richtig viel Traffic. Ich dachte mir immer nur: ‚Über was schreibe ich da eigentlich?’ Aber es musste nun mal gemacht werden.”
Laura, eine weitere Celebrity-Journalistin, die schon in den Online-Redaktionen von beliebten Magazinen gearbeitet hat, erzählt mir davon, wie sie diverse Storys über Promi-Frauen, die eigentlich gar nicht wirklich aufreizend wirken wollten, „aufpeppen” musste. „Wenn wir über die Frauen auf dem roten Teppich berichteten, musste ich immer gewisse Schlagwörter wie etwa ‚tiefer Ausschnitt’ oder ‚Kleid mit hohem Schlitz’ einbauen”, erklärt sie mir. „Hochzeitsankündigungen wurde mit Outfit-Beschreibungen ala ‚busenbetonend’ oder ‚viel Haut zeigend’ der nötige Sexfaktor verliehen. Wir haben Wörter wie ‚Nippelblitzer’ geschrieben, obwohl nirgendwo auch nur ansatzweise ein Nippel zu sehen war—aber danach suchen die Leute nunmal. Das Ganze diente ausschließlich der Suchmaschinenoptimierung und machte mich innerlich kaputt.”
Eine Schlagzeile über eine nackte Cara Delevingne ist in Bezug auf die Suchmaschinenoptimierung eben Gold wert und die Klickzahlen gingen dementsprechend durch die Decke.
Während du dich noch über Clickbait-„XY zeigt ihrem Ex mit diesem Mini-Bikini, was ihm entgeht”-Überschriften aufregst, hat sich dahinter bereits ein ganz neues Level an Tricksereien entwickelt. Hier ein Beispiel: Eine Prominente hat vor Kurzem geschmackvolle Nacktbilder für ein Hochglanzmagazin geschossen, das diese Fotos mit einer ermutigenden „Weiter so!”-Überschrift veröffentlicht hat. Wenn man sich jedoch die URL des Artikels anschaut, dann sieht man nur eine Reihe an einschlägigen Suchbegriffen mit den Worten „nude-photos” am Ende. Und wenn man noch weiter in die Materie eintaucht, wird es dementsprechend auch noch schmutziger. So steckte mir zum Beispiel eine Boulevard-Journalistin, dass bei ihrem Arbeitgeber jedes Bild eines weiblichen Promis—auch die, auf denen die Kleidung alles verdeckt—mit dem Wort „panties” [Unterwäsche] getaggt wird. Und auch ich muss zugeben, dass ich in meinen Überschriften oft etwas von fast nackten Leuten schrieb, um die richtigen Suchbegriffe abzudecken.
Fragwürdige Taktiken zum Hochtreiben der Klickzahlen stehen aber nicht nur bei Magazinen auf dem Programm, die sich ausschließlich mit Promis beschäftigen. Ich habe auch mit Journalistinnen aus der Fashion- und Entertainment-Branche gesprochen, die mir dann davon erzählt haben, wie sie ebenfalls schon Artikel mit dubiosen SEO-Begriffen geschrieben haben, mit denen einzig und allein User auf die Seite gelockt werden sollten. Besagte Artikel wurden in den sozialen Medien oder auf der Homepage jedoch nicht extra beworben. Eine Autorin, die für ein offen feministische Website tätig ist, berichtet mir davon, dass sie mal eine 50-seitige Slideshow von Kim Kardahians Po-Veränderung zusammenstellen musste, die zwar Tausende Klicks generierte, aber schnell in den Untiefen der Website verschwand.
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Die freiberufliche Journalistin Clare hat einst für eine Website gearbeitet, auf der vor allem Beiträge über die Geschehnisse im Nahen Osten, über Wirtschaft und über Kultur zu lesen waren. Zur Erhöhung des Traffics wurden jedoch auch Geschichten über Celebritys eingestreut. „Wir hatten mal einen echt langweiligen Artikel über eine Werbung, in der Cara Delevingne nackt zu sehen war”, führt sie als Beispiel an. „Eigentlich sollte keine seriöse Website über solche Sachen schreiben, aber eine Schlagzeile über eine nackte Cara Delevingne ist in Bezug auf die Suchmaschinenoptimierung eben Gold wert und die Klickzahlen gingen dementsprechend durch die Decke.”
Solche Artikel standen zwar im krassen Gegensatz zu Clares Dasein als „anstrengende, linksorientierte Feministin”, aber inzwischen findet sie es witzig, dass sie so was geschrieben hat. „Die Leute wollen doch etwas über Frauen lesen, die kritisiert und verurteilt werden. Die Suchmaschinenoptimierung unterstreicht diese Tatsache nochmals”, meint sie. „Wenn man es ausnutzen kann, dass so viele Leute nach solchen Inhalten suchen, und so letztendlich viel Geld durch die Anzeigen verdient, dann kann dieses Geld doch wieder für richtig guten Journalismus verwendet werden. Deswegen fällt es mir auch schwer, diese Vorgehensweise als etwas total Schlechtes anzusehen. Glücklich macht mich diese Situation allerdings auch nicht.”
Clares Ansichten ließen sich auch bei all den anderen Journalistinnen wiederfinden, mit denen ich mich unterhalten habe. Eine von ihnen fand auch doch recht deutliche Worte: „Wenn die Leute nach gut geschriebenen und herzerwärmenden Artikeln suchen würden, dann wären wir auch nur noch damit beschäftigt, genau solche Artikel zu schreiben. Das machen sie aber nicht. Irgendwie muss ich doch meine Miete zahlen und ohne Job will ich auch nicht dastehen. Wenn ich das Gefühl habe, irgendjemanden zu degradieren, dann sage ich einfach, dass mein Name im Artikel nicht auftauchen soll.” Die SEO-Expertin Granberry fügt dem noch hinzu: „Es ist ja nicht so, dass die Autoren irgendwie sexistisch wären. Man muss sich jedoch eingestehen, dass die breite Öffentlichkeit wohl eher auf der Sexismus-Welle mitschwimmt—wenn Verlage viel Traffic erzeugen wollen, müssen sie dieses Spiel eben mitspielen.”
Artikel zu schreiben, die sich nur nach dem Suchverhalten der Google-User richten, kann für die Autoren aber auch Konsequenzen haben. Das musste Hannah auf die harte Tour erfahren, als sie für eine Celebrity-Seite einen kontroversen Kommentar schrieb. „Ein Redakteur hat immer die Artikelthemen ausgeteilt, die Frauen gegenüber zwar nicht wirklich nett waren, aber eben die richtigen Schlagwörter enthielten”, erzählt sie mir. „Ich habe immer versucht, mir die Themen rauszusuchen, die nicht gerade vor Sexismus strotzten, aber einmal musste ich eben auch einen Kommentar schreiben, in dem ich eine ältere Prominente als ‚faltig’ bezeichnete und auch sonst ziemlich auf ihrem Alter rumhackte. Ihre Fans fingen dann an, mich auf Twitter zu beschimpfen, und auch eine Freundin meiner Mutter war deswegen richtig sauer.”
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Ich würde diesen Artikel jetzt eigentlich gerne mit einer Anekdote darüber beenden, wie ich die Welt des Promi-Journalismus mit einem großen Knall verlassen habe, aber das wäre gelogen. Mir hat es Spaß gemacht, für die Nachrichten-Website zu arbeiten und ich habe sogar immer die schmierigsten Storys vorgeschlagen. Ich beherrschte mein Handwerk eben. Es ist zwar einfach, solche Showbiz-Inhalte zu kritisieren, aber damit wird eigentlich auch nur ein tatsächlich existierender Markt bedient. Letztendlich geben uns die Begriffe, die wir bei Google eintippen, doch auch nur Auskunft darüber, wie traurig die Welt eigentlich ist—und Promi-Journalismus ist nun mal ein Teil davon.
Vielleicht gehört das ganze Prinzip jedoch schon bald der Vergangenheit an. McGregor vom Tow Center meint nämlich, dass auf Suchmaschinenoptimierung ausgelegte Strategien so altbacken sind, wie die sexistischen Artikel, die damit gepusht werden sollen. Vorausdenkende Websites entfernen sich immer weiter von irgendwelchen Traffic-Zielen und setzen eher auf eine loyale Leserschaft. Dadurch werden sich letztendlich auch die Inhalte ändern. „So lange die Leute danach suchen, wird es auch sexistischen Lesestoff geben”, erklärt sie. „Den Verlagen wird jedoch langsam aber sicher klar, dass es auch noch einen anderen Markt gibt, der unterschätzt wird. Wenn in Zukunft mehr Frauen wirtschaftliche Machtpositionen besetzen, dann wird auch die Medien- und Entertainment-Landschaft einen Umschwung erleben.”
Diese Veränderung ist an sich auch schon spürbar, aber vielleicht nicht so, wie du es dir jetzt vielleicht vorstellst. Die Boulevard-Journalistin Laura, die weiter oben schon vom „Aufpeppen” von Heiratsankündigungen geredet hat, erzählt mir auch davon, dass zwar immer noch viele sexualisierte Artikel über Frauen geschrieben werden, auf die gleiche Art und Weise nun aber auch immer mehr über Männer berichtet wird. „Ich wünschte, ich könnte hier sagen, dass das daran liegt, dass wir jetzt erwachsen sind und keine Frauen mehr objektivieren”, sagt sie. „Meiner Meinung nach liegt diese Entwicklung allerdings eher daran, dass Frauen einfach nicht mehr länger für großartiges Aufsehen sorgen. Ich meine, Miley Cyrus läuft doch ständig in einem Leotard herum, aber die Paparazzi-Bilder von Justin Biebers Penis waren dann doch ein Novum. Solche Meldungen sind aufregend und neu. So lange die Leute draufklicken, ist es den Redakteuren aber wohl egal, wer da nackt zu sehen ist.”
*Namen geändert