Das Schlawinchen ist neben dem Trinkteufel wohl das Aushängeschild der Kreuzberger Absturzkneipe. Ins Schlawinchen geht man, wenn nichts anderes mehr offen hat. Ins Schlawinchen geht man, wenn man für länger keine Lust mehr auf seine eigene Wohnung hat und sich für ein paar Tage nicht duschen möchte. Das Schlawinchen kann man am Freitagabend gemessenen Schritts betreten, am Montagmorgen etwas torkelig verlassen. Auch wenn sich der Laden seit ein paar Jahren verändert hat und auch an diesem Ort Spanisch so langsam zur Verkehrssprache wird, so gilt er vielen dennoch als sicherer Hafen in unruhigen Zeiten. Als Heimstatt, in der man sich wohlfühlt und wo man abschalten kann vom hektischen Alltag oder der Anstrengung, die einem das permanente Repräsentieren in HipHop-Clubs abverlangt.
Die Säcke, zusammengesetzt aus den Berliner Untergrundlegenden Sha Karl, Michael Mic, Plaetter Pi, Druss, Vokalmatador und Rhymin Simon treffen sich seit Jahrzehnten im Schlawinchen und widmeten der Kneipe auf ihrer neuen EP auch einen eigenen Song. Nicht besonders originell fand dann auch das dazugehörige Gespräch dort statt, mit jeder Menge Bier. Ein Gespräch über das Altwerden in einer Jugendkultur.
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Staiger: Gibt es hier was zu essen? Ich hätte unheimlich Lust auf saure Gurke.
Rhymin Simon: In Kneipen, wo man rauchen kann, gibt es kein Essen mehr. Das weißt du doch.
Warum haben sie dann das Rauchen nicht abgeschafft?
Rhymin Simon: Weil Rauchen wichtiger ist als Essen.
Michael Mic: Wenn wir was herzhaftes hier essen, dann ist es Mexikaner.
Plaetter Pi: Aber da drüben ist ne Bio Company, da kannst du dir was zu essen holen.
Ja, ich sehe schon. Auch hier wird gentrifiziert. Unser Treffen konnte ja auch fast nicht stattfinden, weil ihr meintet, hier würde renoviert werden.
Micheal Mic: Wir haben die Information bekommen, dass hier renoviert werden, aber ich habe hier mit so einem Typie gesprochen, der hier Türsteher macht und der meinte, das ist Quatsch. Was sollen die auch renovieren?
Da müsste man alles abreißen
Rhymin Simon: Nein. Hör auf, Alter. Nimm so etwas nicht in Mund. Das darf man nicht sagen. Allerdings müssten die mal die Klos machen. Ich habe mir überlegt, sie entfernen die Küche, weil Kochen geht ja eh nicht mehr und machen in die Küche das Damenklo rein und verbinden das Damen- mit dem Herrenklo und machen daraus ein größeres Herrenklo. Das ist meine Vision.
Das heißt, die sanitären Anlagen hier, genügen deinen Ansprüchen nicht?
Rhymin Simon: Ich wüsste nicht, wo ich schon mal schlechtere Toiletten gesehen hätte.
Michael Mic: Man sollte sich auf jeden Fall ordentlich die Hände waschen.
Was war das Längste, was ihr hier verbracht habt?
Rhymin Simon: Ich komme lieber etwas später her und geh dann auch später raus. So gegen sieben oder acht ist es am schönsten, wenn dann die Sonne scheint und die Leute sich bewegen. Dann versteht man die Welt so gar nicht.
Michael Mic: 13 Uhr kamen wir auch schon mal raus. Aber da sind wir erst um 5 hergekommen.
Rhymin Simon: Das stimmt. Wir sind um 5 hergekommen, mit Begleitung und es war richtig voll hier. Die Begleitung haben wir aus dem Wedding mitgenommen, wir haben das echt geschafft, die hier mit zu schleppen, aber eigentlich in dem Bewusstsein, das hier nichts mehr los ist.
Was ist aus der Begleitung geworden?
Rhymin Simon: Dazu kann ich jetzt hier nichts sagen.
Aber das ist ja auch Thema auf eurer EP: Ein Geschlechterverhältnis, das sehr, sehr viel mit Alkohol zu tun hat, in dem Sinn, dass man sich gegenseitig schön trinkt. Ist das die Kontaktaufnahme im fortgeschrittenen Alter? Alles wird ein bisschen schrabbelig. Man geht in die Kneipe statt in den Club und mit sehr viel Bier und Mexikaner geht dann auch was.
Michael Mic: Na ja, früher hat man beim Saufen und Tanzen Frauen kennen gelernt und jetzt haben wir einfach gesagt: Lass doch nur saufen. Als wir uns darauf geeinigt haben, nicht mehr in Club zu gehen, hat mein Leben begonnen. Abgesehen davon, dass man hier auch tanzen kann. Ich dance hier immer.
Rhymin Simon: Es wurde ja auch schon spekuliert, dass die hier den Keller zur Tanzfläche umbauen, für spanische Touristen. Jetzt, wo das Schlawinchen ja auch schon als Tipp in dieser Zeitung drin steht, die es bei Air Berlin gibt. Der Schlawinchen Clöööööb.
Munchies: Der Walter White des Bieres
Hat sich das Publikum verändert?
Vokalmatador: Ja auf jeden Fall. Auf dem Kicker hängt ein Schild “No bebidas sobre la mesa” und das hing ja auch noch nicht immer da.
Rhymin Simon: Es gab ja einen Tag, vor sieben oder acht Jahren, an dem die Bierpreise verdreifacht wurden. Von einem Tag auf den anderen, das war ein richtiger Sprung. Ich bin aber der Meinung, dass die Alteingesessenen immer noch die alten Preise zahlen. Unser Ziel ist es, dass wir da endlich dazu gehören.
Sha Karl: Wir wollen in D-Mark bezahlen.
Rhymin Simon: Wir sind schon wirklich lange hier, aber dafür kamen wir dann doch zu spät. Da vorne gibt es Aufkleber vom 5. Element, der Hip Hop Show, die ich auf dem Offenen Kanal gemacht habe. Das ist schon fast 20 Jahre her. Der Aufkleber ist von damals.
Das klingt nostalgisch. Euer Projekt Die Säcke könnte man ja auch ein wenig unter Nostalgie verbuchen. Trotzdem klingt es sehr echt. Ist das auch ein Statement gegen die jungen, sehr durchkonzipierten Rapper?
Michael Mic: Wir machen keine Statements gegen sondern für das, was wir fühlen. Für Kredibilität. Für Lockerheit.
Rhymin Simon: Das hört sich ja so an, als hätten wir uns vorher ’nen Kopf darüber gemacht.
Michael Mic: Deswegen ist es ja echt, weil wir das nicht gemacht haben. Für mich war das so, dass ich ein paar Sachen anders machen wollte. Zum Beispiel für unsere Live-Auftritte, dass wir da einen interessanten, authentischen Gegenpol bieten und nicht mehr so viele alte Sachen spielen. Letztendlich kam dann dabei heraus, dass wir gar keine alten Sachen mehr spielen mussten.
Das heißt die alten Sachen fandest du nicht authentisch?
Michael Mic: Jetzt im Nachhinein betrachtet, muss ich sagen, dass wir da vielleicht doch zu sehr in diese HipHop-Klischee-Welt gefangen waren.
Ist das Schlawinchen dann auch der passende Ausdruck dazu? Abschied von der faken HipHop-Welt? Ich gehe nicht mehr in den Club tanzen, ich gehe ins Schlawinchen saufen.
Rhymin Simon: Naja. Du kommst hier halt nicht als Rapper her, sondern weil du saufen und deinen Spaß haben willst. Wenn Du ins 2be gehst, wirst du erstmal ’ne halbe Stunde von Sentino vollgelabert. Das nervt doch.
Micheal Mic: Hier wirst du höchstens ne halbe Stunde von Carlo vollgelabert, der dir was über Schmuggel von der Schweiz nach Deutschland erzählt.
Sha Karl: Also ich gehe immer noch in Clubs.
Vokalmatador: Ja Techno. Revaler Straße auf den Techno Strich.
Sha Karl: Die haben halt die schöneren Drogen und einfach ein durchmischteres Publikum. Die ganzen Klopsköppe in den Hip Hop Clubs sind halt immer noch kiffen.
Ich dachte Kokain ist das neue Kiffen.
Sha Karl: Das ist eher so im Backstagebereich, wenn man das so mitbekommt. Was früher bei uns Kiffen war, ist heute Koksen.
Rhymin Simon: Die ganzen Weed-Verkäufer gehen jetzt bankrott. Stell dir mal vor, du hättest Aktien in Weed gekauft.
Vokalmatador, was hat dich denn zu diesem Projekt bewogen? Die sinkenden Weedpreise oder das Backstagekokain?
Vokalmatador: Ich war ja schon immer dafür und hatte mich nur gewundert, dass die anderen nicht mehr so richtig aktiv waren. Dann gab‘s die Idee für den Namen Die Säcke. Dann gab es diese Booking Anfrage von Mile of Style und so ging alles sehr schnell. Alle haben gesagt, dass wir was Neues machen sollten. Mal so auf locker und jetzt nicht so asozial wie früher. Auch wenn wir mit dem aktuellen Standard nicht so mithalten können, wie es in der Backspin ja schon so treffend beschreiben wurde—haben wir uns gesagt: Dann machen wir halt so gut, wie wir können. Und ich finde, das das ist ziemlich gut geworden.
Hast du nicht auch zwischenzeitlich mal fürs Finanzamt gearbeitet, Vokalmatador?
Vokalmatador: Nein, ich habe für das Arbeitsamt gearbeitet und habe damals auch einige Kollegen aus dem Rap-Umfeld getroffen, die da ihre Anträge abgegeben haben. Das ist schon lange her, aber deshalb quatschen mich trotzdem immer noch alle möglichen Leute an und wollen Beratung. Später habe ich dann bei einem Onlinehändler im Kundendienst gearbeitet und dann bin ich wieder Rapper geworden, weil mich MC Fitti gefragt hat, ob ich nicht auf Tour mitkommen will. Das war jetzt vor drei Jahren und seitdem bin ich da unterwegs.
Dann warst du der einzige, der in der Zwischenzeit mit Musik Geld verdient hat.
Vokalmatador: Musik habe ich sowieso immer gemacht, aber ab da konnte ich zum ersten Mal von der Musik leben.
Geht das jetzt mit den Säcken weiter?
Vokalmatador: Ja ich hoffe doch Alter. Ich hab Bock.
Plaetter Pi: Geteilt durch sechs.
Micheal Mic: Durch sieben. DJ Milos ist ja auch noch dabei.
Rhymin Simon: Der bestiehlt uns ja sowieso immer, wo er kann.
Sha Karl: Milos ist unser Hangaround. Der ist heute unser Fitti von früher. Fitti war ja früher auch immer dabei, so just for fun. Den Job übernimmt jetzt Milos.
Hat euch die Karriere von Fitti überrascht?
Sha Karl: Mich schon. Also dass er wirklich so erfolgreich damit war, das hat uns alle überrascht. Vor allem, weil er am Anfang angefangen hat, mit so Facebook Posts: „Ich fahr jetzt ins Studio, schreibt mir mal zwanzig lustige Wörter, die ich in meinen Text einbauen kann, weil ich habe noch keinen Text.“
Vokalmatador: Die Zeitspanne ist auch sehr erstaunlich, wie schnell das bergauf ging. Wir haben uns immer gewundert, wenn wir unterwegs waren und die Hotels immer krasser wurden. Wir haben dann auch nur den Kopf geschüttelt darüber, dass man mit so ’nem Quatsch so viel Aufmerksamkeit erregen kann. Das ist ungewöhnlich.
Rhymin Simon: Ich dachte, das darf man nicht in Fittis Nähe sagen, dass das Quatsch ist und dass er sich da furchtbar drüber aufregt, wenn man das als Quatsch bezeichnet.
Vokalmatador: Naja, es ist natürlich auch Arbeit, aber hat er ja auch selbst gesagt und im Endeffekt ist schon sehr viel Quatschfaktor drin. Auch wenn es jetzt immer professioneller geworden ist.
Michael Mic: Ja und weil Vokalmatador jetzt auch professionell ist, gibt es jetzt bei den Säcken auch extra Handtücher für die Show.
Plaetter, bist du eigentlich noch am Start?
Plaetter Pi: Natürlich.
Bist du eher der Schweigsame in der Crew?
Vokalmatador: Plaetter ist voll der Aufdreher.
Sha Karl: Plaetter ist der, der sagt: Keine Steine schmeißen, dann aber der erste ist, der einen in der Hand hat. Der ist halt eher so der Macher. Der redet nicht viel, der macht.
Druss, du redest auch nicht viel und hältst dich eher im Hintergrund. Warum willst du nie zu sehen sein. Paranoia?
Druss: Ich will für immer Untergrund bleiben.
Vokalmatador: Ich glaube, er will auf Arbeit nicht vollgequatscht werden.
Ihr habt ja alle bürgerliche Berufe. Ist das ein Problem für Euch?
Sha Karl: Für manche andere ist das vielleicht ein Problem, aber für uns nicht. Ich hatte als Zahntechniker sogar mal einen Chef, der meine CDs als Gastgeschenk zur Laboreröffnung von einem anderen Labor mitgebracht hat. Mit den Worten: „Das ist mein Azubi, was kann deiner? Mach mal an!“ Spätestens bei dem Song mit Orgi und Bass Sultan Hengzt habe ich dann die Anlage etwas leiser gedreht und irgendwann ganz ausgemacht.
Michael Mic: Die Leute haben aber immer noch ein Problem mit Rap. Das haben wir neulich wieder im Radio gemerkt, mit wie vielen Klischees Rap immer noch behaftet ist.
Sha Karl: Die Leute hören halt immer nur, was sie hören wollen. Ich kann sagen: „Es fickt mein Kopf“, dann kommt sofort mein Vater und mault: „Immer dieses Ficken, ficken, ficken. Bei euch geht es immer nur ums Ficken.“
Rhymin Simon: Aber das ist doch auch der Grund, warum das so groß geworden ist. Heutzutage geht das mit Hip Hop ja nicht mehr, aber damals als man Rap gehört hat, konnte man sich noch abgrenzen. Also ich hätte keinen Bock gehabt, dass mein Vater auch Rap hört.
Druss: Aber weil es halt als Jugendkultur gilt, wird es einem als Erwachsener nicht zugestanden, das weiter hören zu dürfen, geschweige denn mitmachen zu dürfen. Das ist immer so: Ach so, du hörst Hip Hop. Werd mal erwachsen, dann kannst du auch Jazz hören.
Rhymin Simon: Das ist mir auch irgendwann mal aufgefallen, dann habe ich angefangen zu behaupten, ich höre Black Music. Dann haben die Leute gesagt, dass das nicht geht, weil ich doch weiß sei.
Für Hip Hop zu alt. Für black music zu weiß. Scheiße.
Vokalmatador: Ich höre Black Metal.
Kann man im Rap-Business in Würde altern?
Sha Karl: Ich glaube, dass du es heute definitiv mehr kannst als früher. Die HipHop-Sache hat doch heute viel mehr Erfolg. Deshalb glaube ich schon, dass man das auch viel länger machen kann.
Vokalmatador: Die Altersstruktur der Gesellschaft verändert sich ja auch. Wir brauchen noch zwanzig, dreißig Jahre, bis wir in Rente gehen und wie werden dann die Rentner aussehen, im Vergleich zu heute? Die werden alle tätowiert sein und Jordans tragen. Die haben dann eingeschrumpelte Trampstamps und Piercings. Das ändert sich ja auch und HipHop ist eine feste Größe. Das wird nicht mehr verschwinden.
Rhymin Simon: Das Gefühl habe ich echt nicht. Bei mir auf Arbeit ist das immer noch so, dass wenn da ein HipHop-Song in den Charts ist, sofort der Spruch kommt: “Ja ok, det hätt ick jetzt auch noch hingekricht.” Das wird immer noch nicht als richtige Musik anerkannt. Das sieht man ja auch, wenn irgendwelche Eierköppe versuchen, Rap nachzumachen. Wie zum Beispiel dieser Disstrack gegen Bushido von Kai Diekmann. Alter hör mal auf. Die denken, die können wirklich rappen. Also ich finde nicht, dass es außerhalb unserer Szene ernst genommen wird. Aber ich finde es auch okay, wenn es nicht ernst genommen wird. Mir ist das Wurst.
Vokalmatador: Das ist die typische Meinung von Leuten, die halt alles hören. Für die klingt ja auch Techno immer gleich und Heavy Metal ist nur Schrammel.
Ihr habt jetzt aber trotzdem mehrmals betont, dass ihr neue Sachen haben wolltet und die alten Sachen sich nicht mehr so geil angefühlt haben. Warum ist das so?
Plaetter Pi: Da sind halt zehn Jahre dazwischen. Das, was du vor zehn Jahren gesagt hast, ist ja jetzt auch nicht mehr unbedingt deine Meinung.
Rhymin Simon: Vor allem hast du deine Meinung auch schon hundert mal gesagt. Vielleicht willst du ja mal was Neues sagen.
Druss: Das meinte Bass Sultan Hengzt neulich auch, als er diesen Shitstorm hatte, wegen seines Covers. Die Leute dissen ihn dafür, dass er jetzt was anderes macht. Er selbst sagt, dass die Leute die Fresse halten sollen und wenn sie die alten Sachen hören wollen, dann sollen sie sich eben die alten Sachen anhören. Wieso soll er denn nochmal und nochmal und nochmal das Gleiche machen?
Fühlt es sich trotzdem so ein bisschen nach Rap Rente an?
Vokalmatador: Viele wollen uns da auf diese Old School-Schiene abschieben. Bis zu einem gewissen Grad ist man vielleicht auch so, aber wir fühlen uns nicht so.
Michael Mic: Trotzdem wollen wir aber auch nicht krampfhaft modern klingen. Manchmal ist ja auch ein Schritt zurück, zwei Schritte nach vorn.
Das ist ein wahnsinnig guter Satz.
Michael Mic: Habe ich von Mc Fit.
Vielen Dank für das Gespräch.
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