Ich verbringe gerne viele Stunden mit dem Customizing von Videospiel-Charakteren. Diesbezüglich gibt es ja verschiedene Herangehensweisen: Die einen wählen nur die extremsten und herausstechendsten Einstellungen – Narben, Tattoos, pinke Afros, neongelbe Capes und Hörner mit Tarnfarben. Das ist praktisch, um in Massen-Multiplayer-Spielen schnell zu erkennen, wo die eigene Figur eigentlich herumläuft.
Andere bauen die eigene Person nach, was meistens nicht sehr akkurat aussieht und vor allem mehr Zeit verschlingt als der durchschnittliche WoW-Raider so nebenbei zur freien Verfügung hat. Manche Weirdos erschaffen auch schräge Imitate von Personen aus dem tatsächlichen Privatleben – ich zum Beispiel.
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Deshalb war ich umso interessierter, als ich vom neuen Feature bei NBA Live 18 erfuhr, das einem via Smartphone erlaubt, sein Gesicht einzuscannen und das in weiterer Folge einen Charakter mit der eigenen fucking Fresse aufs Spielfeld spuckt. Das Spiel von EA, die ja mit Battlefront 2 auf Reddit doch einen rekordverdächtigen Hatestorm eingeheimst haben, ist übrigens sehr gelungen.
Es macht besonders zu zweit auf der Couch großen Spaß und löst sentimentale Erinnerungen an NBA Street auf der PS2 in mir aus. Aber dieses Feature, das meine Gesichtszüge erschreckend realistisch in die NBA-Welt transportiert, hat noch mehr getan als das. Es hat die eigenartigsten Gefühle, Zweifel und auch ein paar Fragen in mir ausgelöst.
Wie weit verstecke ich mich in Videospielen vor der Wirklichkeit?
OK, 18 Jahre nach Matrix und nach hunderten Sozialstudien zu Gaming ist es nicht unbedingt originell, virtuelle Welten als solche zu hinterfragen. Aber wenn mein Avatar im Spiel, der mein Gesicht trägt wie Hannibal, Basketbälle dunkt und die begeisterte NPC-Menge anheizt und mir währenddessen auf der Couch gerade mal ein apathisches “Yuss” aus den apathischen Mundwinkeln kriecht, kann ich nicht anders, als genau das am Beispiel NBA Live 18 zu tun.
Ein plakativeres Beispiel für Realitätsflucht könnte mir das Spiel kaum liefern. Auf dem Bildschirm tanzt ein junger Gott der Körbe, während ich mich wie einer fühle. Und da der Winter angekrochen kommt und mit ihm die schwarz-blaue Bundesregierung – beides kalt und großteils unangenehm –, kann ich so ein Gefühl echt gut gebrauchen.
Bin ich unzufrieden mit meinem Körper?
Wenn man ein Genussmensch ist, der gelegentlich Geilheiten kocht und noch dazu gerne Zeit bewegungslos vor Spielkonsolen verbringt, ist es kaum zu vermeiden, dass man auch ein bisschen zunimmt. Obwohl ich regelmäßig laufen gehe, ist das Ganze mehr Instandhaltung als Workout. Die Wampe wächst unaufhörlich aufgrund des Stress-Essens und des kulinarischen Mülls, den man sich zu oft gönnt, und mit jedem Bier schwellen auch langsam meine Man-Boobs an.
Dann sehe ich diese Version von mir in NBA Live 18 mit sehniger athletischer Figur, 2 Meter groß (aber nur, weil das die kleinste Auswahlmöglichkeit im Customizing-Prozess war) und dem Körperbau eines Wandschranks. Ich bin zwar eitel und hatte auch schon Körper-Issues, aber nie mit einem dauerhaften negativen Einfluss. Klopf auf Holz. Normalerweise ist auch die Diskrepanz zwischen einem überstilisierten Hau-drauf-Monsterprotagonisten wie in God of War oder Street Fighter und meiner realen Erscheinung kein Thema. Im Gegenteil – meistens bringt diese unrealistische Darstellung sogar einen zusätzlichen Unterhaltungswert für mich.
Aber sobald es nicht mehr um einen abstrakten Avatar geht, sondern tatsächlich mein eigener verdammter Kopf auf so einem absurd perfekten Idealkörper sitzt, sehe ich das als einen verdammten Angriff auf mein Selbstwertgefühl. Ich meine, das sind mein unrasierter Bart, meine roten Augen und Physiognomie – und zwar im direkten Vergleich mit der sportlichen Ambition eines Superathleten. Ich fühle mich fast, als würde mich das Spiel absichtlich bodyshamen. Aber nicht nur das.
Ist das interaktives Black-Facing?
Bei NBA Live 18 kann man auch den Hautton des eingescannten Gesichts und des dazugehörigen Spielerkörpers auswählen. Ich musste direkt an die South Park-Folge denken, in der sich Kyle zu einem schwarzen Basketball-Spieler umoperieren lässt – und in weiterer Folge sein Vater zu einem Delphin. Oder auch an einige unschöne Online-Diskussionen über rassistische Verkleidungen an Halloween.
Wie das aber nun mal so ist mit Dingen, die irgendwie falsch wirken, aber nur einen Klick entfernt sind, habe ich es aus Neugierde mit einem eigenen Scan ausprobiert. Das Ergebnis sieht nicht besonders spektakulär aus und die Technik dahinter ist nicht wirklich beeindruckend – dafür war das Gefühl, ein liberaler Heuchler und vermeintlich verkappter Rassist zu sein, umso eindrucksvoller – nicht auf die gute Art.
Ist das Spiel durch diese ethnische Auswahloption irgendwie anstößig? Oder bin ich es, weil ich die Option ja schließlich bewusst genutzt habe? Immerhin wird man spielmechanisch ja nicht gezwungen, sich ein virtuelles Blackface auszusuchen. Ist das Spiel am Ende vielleicht sogar extrem progressiv, weil es sich damit gewissermaßen “post race”, also post-ethnisch, gibt und auf vordefinierte Zuschreibungen wie Haut-, Haar und Augenfarbe scheißt?
Ist es fortschrittlich oder reaktionär, Hautfarben nach Belieben wechseln zu können? Fördert es Rassismus oder macht es uns alle gegeneinander austauschbar – und damit auch auf Customizing-Ebene ein bisschen gleicher? Da wir bei dieser Frage echt verunsichert wurden, haben wir auch im Institut für Europäische Ethnologie um ein Statement angefragt und mit einem Mitarbeiter ein kurzes informelles Gespräch geführt.
Ist es fortschrittlich oder reaktionär, Hautfarben nach Belieben wechseln zu können?
Für Doktor Herbert Nikitsch ist es verständlich, dass man sich in solchen Fragen rund um Political Correctness und Black Facing – auf Erfahrungen mit der “Melchior-Debatte” beim Sternsingen wurde auch gleich verwiesen – an eine Disziplin wendet, die Kategorien wie “Rasse” oder “Ethnie” als soziale Konstruktionen begreift und damit zusammenhängende Ideologien und diskriminierende Praktiken untersucht. Doch auch er hält es angesichts der Komplexität der Problematik nicht für sinnvoll, hier eine Art fachliche Expertise mit allgemein gültigem Anspruch zu postulieren. Schließlich wäre immer auch die individuelle Intention – im konkreten Fall die des jeweiligen Spielers – zu berücksichtigen.
Das heißt eigentlich, ich muss es mit mir selbst ausmachen, ob meine Gründe dieses Black Face-Feature zu verwenden, rassistisch waren oder nicht. Was für ein Mindfuck. Dass ich mich aber so intensiv mit dieser Face-Scan-Funktion und seiner Bedeutung für das Spiel und mich auseinandergesetzt habe, zeigt zumindest, wie verdammt überzeugend und realistisch NBA Live 18 diese einsetzt. Beim Gedanken an die Kombination von Technologien wie dieser und Virtual-Reality im Allgemeinen kommt mir schon jetzt das Frösteln. Spätestens dann werde ich wohl Delphin-Therapie brauchen.
Josef auf Twitter: @theZeffo