Es geht um eine der meistbesuchten Websites der Welt und um Zehntausende neue Uploads pro Woche: Auf der Pornoplattform xHamster sollen schlecht geschulte Löscharbeiter Fotos von Vergewaltigungen und Minderjährigen aussortieren. Aber das lückenhafte Regelwerk der Plattform schützt Opfer von sexualisierter Gewalt nur mangelhaft.
Ein Anfangsverdacht reicht nicht aus, um eine Aufnahme zu löschen. Verdächtige Fotos sollen die Löscharbeiter nur entfernen, wenn sie sich zu 100 Prozent sicher sind, dass sie gegen die Regeln von xHamster verstoßen. Bewerten können sie die Fotos aber nur nach Augenschein.
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Das hat drastische Folgen für den Kampf gegen strafbare Jugendpornografie. Die Löscharbeiter von xHamster müssen aus dem Bauch heraus entscheiden, ob eine fremde Person schon volljährig ist oder nicht. Entfernen sollen sie ein verdächtiges Foto nur, wenn sie die Wahrscheinlichkeit, dass die abgebildete Person unter 18 ist, subjektiv als “hoch” einstufen. Minderjährige können also nur geschützt werden, wenn sie kindlich genug aussehen.
Hier gibt es alle Texte der Artikelserie Inside xHamster.
Dem internen Regelwerk von xHamster zufolge sollen Löscharbeiter zudem bewerten, ob die gezeigte Gewalt auf einem Foto echt ist oder nicht. Nur “echtes” Weinen und “echtes” Erhängen sind Gründe zum Löschen. Wenn das Leid von möglichen Vergewaltigungsopfern auf einem Foto nicht glaubhaft genug erscheint, bleibt es folglich online.
Für Löscharbeiter gibt es keine vorgesehene Möglichkeit, Dokumente anzufordern, um das Einverständnis der Personen in einem Foto zu überprüfen. Dabei müssen Uploader solche Dokumente laut Nutzungsbedingungen von xHamster eigentlich besitzen.
Potenziell strafbare Aufnahmen von Vergewaltigungen und Minderjährigen lassen sich auf diese Weise nicht fundiert überprüfen. xHamster riskiert damit, solche Aufnahmen für Millionen Augen weltweit öffentlich zugänglich zu machen.
Das und mehr haben wir erfahren, als wir wochenlang selbst undercover als Löscharbeiter für xHamster gearbeitet haben. Es handelt sich um ein Team aus offenbar mehr als 100 Freiwilligen, die anonym und ohne Bezahlung über sensible Inhalte entscheiden. Neben dem Team aus Freiwilligen gibt es noch ein Support-Team aus bezahlten xHamster-Mitarbeitern, über dessen Arbeit die Plattform wenig verrät. Die ausführliche Reportage dazu veröffentlichen wir hier.
Eine besondere Rolle haben mutmaßlich heimliche Aufnahmen von Frauen in der Sauna oder in der Umkleide. Auch wenn solche Spanner-Fotos in Deutschland strafbar sind, werden sie im internen Handbuch für Löscharbeiter nicht explizit erwähnt. Entsprechend haben sie keine unmittelbare Anweisung, etwas dagegen zu unternehmen. Im Gegenteil: Mehrere Löscharbeiter äußerten während der Recherche, dass diese Aufnahmen auf der Plattform offenbar erlaubt seien. Das interne Regelwerk von xHamster veröffentlichen wir hier. Es besteht im Kern aus lediglich rund 2.800 Zeichen und 38 Beispielfotos.
xHamster hat auf unseren Katalog aus 67 Fragen nur mit knappen Statements reagiert. Unsere Fragen zum Regelwerk der Löscharbeiter wurden inhaltlich nicht beantwortet – wie ein Sprecher mitteilte aus “technischen Gründen” und aus Gründen der “Sicherheit”. Wir sollten “versichert” sein, dass “Kontrollen existieren”. Wenn etwas gegen die Nutzungsbedingungen verstoße, werde es entfernt.
Zu den freiwilligen Löscharbeitern auf xHamster gehören offenbar auch Menschen aus Deutschland. Im Interview berichtet einer von ihnen von seinen ethischen Bedenken.
Da es aktuell keine Meldepflichten für Rechtsverstöße auf Pornoplattformen gibt, kann die Öffentlichkeit das Ausmaß sexualisierter und digitaler Gewalt im Netz nur erahnen. Die VICE-Recherche bietet erstmals Einblicke in den Maschinenraum einer der größten Pornoplattformen der Welt.
Das Justizministerium teilt vor dem Hintergrund der Recherche mit, Anbieter dürften sich nicht durch “bewusstes Wegschauen” einer Verantwortlichkeit entziehen. Ein derzeit geplantes Gesetzespaket auf EU-Ebene, der “Digital Services Act”, könnte Pornoplattformen wie xHamster strenger in die Pflicht nehmen. Die Reaktionen aus der Politik veröffentlichen wir hier.
Die Entwicklungen zur Recherche werden wir unter dem Hashtag #InsidexHamster sammeln. Wir werden auch weiter zu sexualisierter und digitaler Gewalt auf Pornoplattformen recherchieren. Für vertrauliche Hinweise und Dokumente sind wir Ende-zu-Ende verschlüsselt erreichbar unter Signal und WhatsApp (+49 152 1012 4551) sowie Threema: 27DS6P2R.
Beratung und Unterstützung bei sexualisierter Gewalt finden Betroffene, Angehörige, Fachkräfte und alle Menschen, die sich Sorgen um ein Kind machen, in Deutschland beim Hilfetelefon Sexueller Missbrauch, 0800 22 55 530 (kostenfrei und anonym) und auf dem Hilfeportal www.hilfeportal-missbrauch.de. Hilfe bieten auch die bundesweiten Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe.
Wer in der Schweiz sexualisierte Gewalt erlebt hat, findet bei der Frauenberatung Links zu Beratungsstellen. Betroffene Männer erhalten Hilfe im Männerhaus. In Österreich wird ein 24-Stunden-Hilfenotruf unter 01 71 719 angeboten.
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