Popkultur

Ich kenne meinen besten Freund (fast) nur aus dem Internet

Als ich vor fünf Jahren auf Maturareise zehn Tage lang besoffen in einer Hotelanlage in Spanien vor mich hingefeiert habe, habe ich einen ziemlich netten Typen kennengelernt. Auf Maturareise liegt es ziemlich nahe, dass wir aufgrund des stetig hohen Alkoholpegels sofort in irgendeinem Club geschmust haben, während neben uns hunderte Menschen zu „Disco Pogo” abgegangen sind. Stattdessen haben wir aber auf einer Schaumparty auf Podesten getanzt (don’t judge, ich war 17) und bei dem teuersten Vodka Bull meines Lebens über „Woyzeck” geredet und philosophiert.

Seitdem sind fünf Jahre vergangen, in denen sich der Kontakt zu einem Großteil der Menschen, mit denen ich damals auf Maturareise war, im Sand verlaufen hat. Mit dem Typen, den ich dort erst kennengelernt habe, rede ich hingegen täglich—über Facebook, WhatsApp, Skype. Wir kotzen uns beieinander aus, schreiben uns besoffene Nachrichten und erzählen uns Alltägliches. In den letzten Jahren hat sich ziemlich viel getan—wir haben beide studiert, Jobs begonnen und wieder aufgehört und sind in manchen Bereichen ein bisschen erwachsen geworden, oder haben es zumindest versucht. Trotzdem haben wir es irgendwie geschafft, dank sozialen Medien unsere Freundschaft aufrecht zu erhalten und auch, wenn wir unsere Begegnungen in natura wahrscheinlich an einer Hand abzählen können, sind wir beste Freunde.

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Oft heißt es, Facebook und überhaupt alle sozialen Medien machen uns asozial, wir führen nur noch oberflächliche Freundschaften und verlernen aufgrund der Fülle an Freunden, was es heißt, echte Freundschaften zu haben, die nicht nur auf ein paar gegenseitigen Likes basieren. Leider ist das wie immer nur die halbe Wahrheit. Ich verdanke es zum größten Teil Facebook und WhatsApp, dass ich jemanden, der in einem anderen Land lebt, als einen meiner besten Freunde bezeichnen kann. Meine Mutter hatte früher einen Brieffreund in Holland, ich habe einen in Deutschland—nur, dass wir in Echtzeit kommunizieren können, anstatt wochenlang auf eine Antwort warten zu müssen. Facebook schafft es, dass räumliche Nähe für Freundschaften keine tragende Rolle mehr spielen muss.

Eigentlich gilt das nicht nur für Freundschaften, sondern auch für alle restlichen Beziehungen. Ich kenne genug Menschen, die sich schon mindestens einmal online (und ich spreche hier definitiv nicht von Tinder) in eine Person verknallt haben, ohne die Person jemals zuvor in Fleisch und Blut gesehen zu haben. Natürlich, mit ein bisschen Pech verknallt man sich in das Facebook-Profil einer Person und idealisiert jemanden aufgrund seiner Online-Präsenz. Aber man kann auch im echten Leben schneller als gedacht auf eine Idealvorstellung von jemandem reinfallen, die man sich selbst irgendwie zusammengebastelt hat.

Im Idealfall aber lernt man im Internet auch schon mal Menschen kennen, die man länger als bis zur nächsten Profilbild-Änderung gut findet. Auch wenn es irrational sein kann, jemanden aufgrund seines Online-Ichs gut zu finden—irgendwo sind doch alle Beziehungen, die wir führen, irrational. Manche mögen eine bestimmte Person wegen ihres Humors oder ihres Lachens, manche wegen der Art und Weise, wie sie schreibt.

Sicherlich kann Facebook auch dazu führen, dass man seine eigene kleine Armee aus Freunden zum Grund nimmt, im echten Leben immer mehr auf Freundschaften zu scheißen und sich nicht mehr anzustrengen, weil man fälschlicherweise denkt, man hätte ohnehin endlos viele Optionen. In vielen Fällen kann Facebook aber auch der Motor sein, der es anfangs ein bisschen leichter macht, Freundschaften aufrecht zu erhalten. Und wie ich aus eigener Erfahrung sagen kann, hat es mein Leben abseits von allen Online-Oberflächlichkeiten dadurch ein bisschen schöner gemacht.

Verena knüpft auch auf Twitter gerne Freundschaften fürs Leben: @verenabgnr