Als über Wanda und AnnenMayKantereit noch hinter vorgehaltener Hand geredet wurde und nicht wie heute am Mittagstisch der Spree-Neiße-Sparkasse Döbern, da fiel auch hin und wieder mal der Name Milliarden. Viel wusste man nicht, aber dieser Song, “Freiheit ist ne Hure“, der war schon was Besonderes. Rotzige Stimme, Punk-Attitüde, aber trotzdem im Kern eine Rock-Ballade.
Informationen über diese Band gab es wenig, die Songauswahl war überschaubar. Dann wurde die Stadt mit Postern des Films Tod Den Hippies!! Es lebe der Punk zugepflastert. Der Titeltrack: “Freiheit ist ne Hure“. Milliarden wurden bekannter und die EP Kokain und Himbeereis erschien. Und heute? Sind Ben und Jo bei Universal unter Vertrag, sitzen gutgelaunt bei uns im Büro und erzählen über ihre Punk-Wurzeln, Vorurteile über Majorlabels und den vermeintlichen Widerspruch, als Band mit Punkattitüde im Radio zu laufen.
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Noisey: Obwohl ihr bisher noch nicht viel Output hattet, scheinen echt viele Leute Bock auf euch zu haben. Könnt ihr euch das erklären?
Ben: Vielleicht, weil es ein Bedürfnis nach Gitarrenmusik gibt, die nicht allzu seicht ist. Eben rockiger, eine dreckige Stimme mit Texten, die nicht nur Allgemeinstandpunkte durchgehend sind. Die Leute haben Bock, das zu hören und zu schauen, ob das stimmt, was sie sich erhoffen—sich davon zu überzeugen, dass nicht alles eine gemachte Marketing-Idee ist. Das ist der Vorteil von Milliarden—dass wir schon lange machen, was wir da singen.
Was habt ihr eigentlich vorher gemacht?
Studiert, Mucke haben wir schon immer gemacht. Ich habe mit meiner Punkband einen Punkfilm gefahren.
War das eher die Assi-Schiene?
Nein, mehr so Skatepunk, extrem schnell. Weniger Deutsch, eher Englisch. Wir waren auf eine Art natürlich vollkommen assi, aber eigentlich nette und nicht so doofe Jungs. Das war nicht nur Bierpunk.
Ihr seid jetzt bei Universal. Hattet ihr keine Vorurteile gegenüber einem Majorlabel?
Dicka, ich habe früher Punk gemacht! Na logisch habe ich Vorurteile gehabt! Das muss man anders betrachten: Im Grunde arbeiten alle Labels gleich—nur in größeren und kleineren Strukturen. Wenn wir jemanden von einem kleineren Label kennengelernt hätten, den wir gemocht hätten, hätten wir darüber garantiert nachgedacht.
Jo: Die Vorurteile waren auf jeden Fall da: “Krass, ihr geht zum Major, passt auf jeden Fall auf, die stecken ein bisschen Geld in euch, aber wenn es nach dem ersten Album nicht klappt, werdet ihr gedroppt.“ Aber das Gefühl kommt gar nicht auf. Ich glaube, die Leute verstehen: Wenn es um Rockmusik geht, ist es gar nicht auf ein One-Hit-Wonder ausgelegt, sondern eine Arbeit, die man über mehrere Jahre sehen muss … Ich komme vom Dorf und da hat jeder seine Meinung dazu, jeder hat dazu was zu sagen, da ist man vorsichtig.
Ben: Ich komme aus der Stadt und da ist es lustigerweise genauso. “Uh, vorsichtig, Majorlabel!“ Und die wissen genau, wie es funktioniert. Weil wir uns diesen Stereotyp ja irgendwie alle denken können. Die Erfahrung, die wir damit machen, ist natürlich auch immer eine ambivalente. Die Maschine rattert und wir müssen ihr auch gerecht werden. Auf der anderen Seite wollen Leute was mit uns machen, mit unserem Output, damit, was wir können und wollen. Die wissen, dass die uns keine Maske aufsetzen können, wir müssen wir bleiben.
Euer Song “Freiheit is ne Hure” wurde zum Titeltrack des Films Tod den Hippies!! Es lebe der Punk. Wie kam das?
Wir haben echt einen findigen Manager, der uns darauf hingewiesen hat, da mal was hinzuschicken. Das haben wir gemacht und es hat geklappt. Ohne unsere Leute würden wir jetzt im Proberaum sitzen und den 500. Song schreiben (lacht). Und immer noch asozial und ohne Kohle bei mir Zuhause am Klavier rumhängen.
Kennt ihr noch Es Lebe Der Punk, diese Samplerreihe vom Nix-Gut Mailorder?
Nein, kenn ich nicht? Alles Deutschpunk?
Ja, Der Dicke Polizist und so.
Nice. Ich habe nicht so viel Deutschpunk, sondern mehr englische Sachen gehört. Außer diese Standardsachen. Terrorgruppe, Wizo … wobei, ich hatte diese BRD …
Schlachtrufe BRD?
Schlachtrufe BRD! Sowas hatte ich auch noch rumliegen, aber nicht oft reingehört (lacht).
Ich habe sogar einen Bericht über euch auf einer Seite namens klatsch-tratsch.de gelesen. Selbst die meinten, dass ihr als Newcomer die deutsche Musikszene aufmischen werdet. Stehen die Zeichen für Gitarrenmusik gerade gut?
Ich glaube, solche Seiten würden nicht über einen Newcomer schreiben, wenn sie nicht das Gefühl hätten, dass man darüber schreiben muss. Ich glaube, das hat was mit Charisma zu tun. Man sieht ja an anderen Gruppen, mit denen was passiert, dass es nicht mehr um die Außenhülle geht, sondern um den Charakter von Leuten und was sie ausstrahlen. Das finde ich total angenehm. Die Leute haben Bock, sich reinzuhören und zu wissen, worum es in Songs geht. Daran glaube ich zumindest, dass deswegen Sachen hochkommen.
Dass sich die Hörer eben mit den Texten identifizieren können?
Dass sie sich mit dem Gesamtpaket identifizieren wollen. Da spielen die Texte eine wahnsinnige Rolle, aber auch, wie die Musiker drauf sind.
Jo: Wenn man jetzt mal den Text von “Freiheit ist ne Hure“ nimmt, der viele Bilder benutzt, die kein Allgemeinstandpunkt sind, ist es geil, dass er trotzdem ein Gefühl überträgt, dass Leute feiern.
Freiheit und Hure, Kokain und Himbeereis: Ihr mögt Widersprüche, oder?
Uns war der Widerspruch schon immer wichtig. Bei “Kokain und Himbeereis“ reden wir von unserem Innenleben, welches ja widersprüchlich ist. Im Chaos spürt man den Aufbruch, im Unheil wird aber auch etwas Positives vermutet. Widersprüche sind für uns eine Art Antrieb. Als rotzige Rockgruppe zum Majorlabel zu gehen, ist auch ein Widerspruch, aber es gehört zu unserer Musik dazu.
Ist es denn auch ein Widerspruch als Band mit Punkattitüde im Radio zu laufen?
Jo: Ist doch geil, wenn es im Radio läuft. Denke nicht, dass das verkehrt ist. Aber ist denn Radio noch das wichtige Medium? Leute schauen doch eher drauf, wie viele Klicks man auf YouTube hat oder was auf Facebook los ist. Anhand dieser Daten werden doch Bands auf Festivals eingeladen. Man muss live geil sein.
Ben: Ich glaube, es ist andersherum. Wir denken das, weil wir eine andere Generation sind. Du guckst in deinen Rechner, aber Radio hat schon noch eine wahnsinnige Funktion. Übers Radio erreichst du unmittelbarer, weil die Leute, die eine Sendung haben, auch noch mit dir sprechen. Das Medium ist mir näher als diese 360-Grad-Plattform im Netz, wo ich für mich alleine durchrauschen kann … Ich habe immer nur Nachrichten bekommen wie “Ey Benny, ihr lauft hier gerade im Radio!“
Jo: Natürlich hat es noch einen krassen Status. OK, ich weiß es nicht mehr genau, weil ich nur noch ins Netz gucke. Selber herauszufinden, was so am Start ist, dafür ist das Internet viel zugänglicher.
Musikfernsehen ist tot und Radio eben das letzte große alte Medium, das den Leuten noch Tipps mitgibt.
Das meine ich. Im Netz bist du auf dich allein gestellt und kannst nur auf Indikatoren wie Klickzahlen setzen. Würde ich nie machen, weil du immer dem Verlangen hinterhergehst, was der Masse gefällt. Aber gefällt es mir? Ich kann mich noch gut an VIVA 2 erinnern—wie schön es mir eine andere Welt des alternativen Musikfernsehens gezeigt hat. Das gibt es tatsächlich nicht mehr. Deswegen mag ich bestimmte Radiosendungen, weil ich da Sachen erzählt bekomme, die ich nicht konsumieren kann.
Das ist eben ein Filter.
Ein bisschen und du musst halt schauen, welchen Filter du rauchen willst.
Schaut euch hier das neue Video “Milliardär” an:
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