Dieser Artikel wurde von Etnia Barcelona finanziert und unabhängig von der VICE-Redaktion erstellt.
Etnia Barcelona ist inspiriert von dem Geist der großen kulturellen Bewegungen der Geschichte und präsentiert ganz in dieser Tradition jetzt seine neue Kollektion, eine Hommage an den Künstler Jean-Michel Basquiat.
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Etnia Barcelona schreibt seine eigene Geschichte vor dem Hintergrund aus Legenden der Kunst und Fotografie. Die aktuelle Kollektion vereint dabei spielerisch die Ausdruckskraft von Graffiti und Street Art mit gezielten Referenzen auf Jazz, Rap, Punk, Popkultur und Comics.
Die Kunst von Jean-Michel Basquiat wirft auch noch lange nach seinem tragischen Tod im Jahr 1988 ihren Schatten. Der Sohn puerto-ricanischer und haitianischer Einwanderer wuchs in Brooklyn auf und begann seine Laufbahn als Graffiti-Künstler in den späten 70ern, als er ebenso provokante wie verspielte Gedichtfetzen an die Wände der Lower East Side sprühte. Innerhalb weniger Jahre wurde er zum gefeierten Künstler, für dessen Werke überall auf der Welt unglaubliche Summen aufgerufen wurden. Kurz darauf war er tot; Basquiat starb mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin.
Doch in seiner Kunst lebte er weiter. Seine Bilder – verstörende und doch heitere Collagen aus Fundstücken, Textfetzen und den Köpfen bedeutender Afroamerikaner samt Heiligenschein – waren zweifellos politische Statements, doch stets mit dem persönlichen Hintergrund seiner eigenen Geschichte. Obwohl auf den ersten Blick kryptisch und wahllos, waren alle Elemente auf der Leinwand miteinander verbunden – vereint von einem einzigen und zweifellos außergewöhnlichen Kopf. Es war zugleich hohe Kunst und tiefster Underground, ehrwürdig und anmaßend in einem Zuge. Es war New York in Reinkultur.
In dieser neuen Reihe spricht VICE mit zwei New Yorker Künstlern der Gegenwart, die ganz im Geiste von Basquiats Ansatz ihre kreativen Grenzen überwinden.
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Elle ist Street-Art-Künstlerin aus Brooklyn und vor allem bekannt für ihre ausdrucksstarken Abbildungen von Frauen in Wolfspelzen; Bilder, die durch ihre starken Farben bestechen und in einem experimentellen Mix aus unterschiedlichsten Materialien daherkommen. Bis vor wenigen Jahren noch arbeitete sie bevorzugt im Schutz der Dunkelheit als maskierte Graffiti-Künstlerin, die ihren Namen an die Wände der Stadt sprühte. Mittlerweile sind ihre Arbeiten in jedem IKEA erhältlich. Regelmäßig bekommt sie Aufträge für großflächige Wandgemälde überall auf der Welt. Ihre Arbeiten wurden im Urban Nation Museum in Berlin ausgestellt, gemeinsam mit der Fotografin Martha Cooper schuf sie eine interdisziplinäre Ausstellung in Brooklyn und auch am New Museum in Manhattan waren ihre Werke zu sehen; als gigantische Projektion auf der Fassade des Gebäudes. Ihr Gesicht versteckt sie längst nicht mehr unter einer Maske.
Mittlerweile arbeitet Elle, wenn sie nicht gerade unterwegs ist, zumeist in ihrem Atelier in Los Angeles. Dort habe ich sie auch erreicht, um mit ihr über ihre Karriere, Basquiats Einfluss auf ihre Arbeit und Anonymität zu plaudern; und über tapfere Frauen, die sich bis an die Spitze kämpfen, wo sie angeblich gar nichts verloren hätten.
VICE: Hast du einen persönlichen Bezug zu Basquiats Schaffen?
Elle: Auf meinem Arm habe ich eine Krone von Basquiat tätowiert. Ich habe nicht viele Tätowierungen. Für mich hat es eine ziemliche Bedeutung, aber die habe ich mir selbst gewählt: Es steht für meine Crew, lauter Frauen, die ziemlich coole Sachen machen und sich über alle Grenzen hinwegsetzen. Basquiat hat ja als Graffiti-Künstler angefangen, damals als er “SAMO” überall hingetaggt hat. Er war ein großer Lyriker und ich schätze seine Arbeiten sehr. Er war ja auch eine Art Pionier, in diesem graffiti-mäßigen Style Gedichte an Wände zu sprühen
Du hast ja selbst, genau wie Basquiat, deine ersten Versuche in Richtung Kunst auf der Straße unternommen, bevor du zu eher “seriösen” und anerkannten Werken übergegangen bist. Hast du jetzt immer eine Genehmigung, wenn du irgendwo draußen malst?
Bei großen Wandbildern habe ich eigentlich immer eine Genehmigung, allein schon weil ich da immer mehrere Stunden am gleichen Ort beschäftigt bin. Graffiti, Street Art und so, das war früher schon immer illegal. Irgendwann als ich meine Ausstellung mit Martha Cooper hatte, kam Liquitex [ein Farbhersteller] auf mich zu und bot an, mich zu sponsern. Ich sagte denen: “Keine Ahnung, was ihr wollt, wie stellt ihr euch das denn vor?” Die meinten: “Wir geben dir einfach unsere Produkte umsonst.” “Ok, ich denke das geht klar.” Dann merkte ich erst, dass ich auf einmal jede Menge Farbe zur Verfügung hatte. Das war großartig. Nicht mehr einfach nur ein kleiner Eimer und eine Rolle, um ein bisschen auf einer Wand zu malen. Auf einmal konnte ich mich richtig austoben, das wurden riesige Dinger neben der Autobahn und so weiter. Dann fing ich an für ein paar Leute ganze Wände zu malen, weil ich ja genug Farbe hatte. Und irgendwann fing es dann, dass ich überallhin eingeladen wurde, um dort zu malen.
In deinen Anfangstagen warst du nur maskiert unterwegs. Wie kam es dazu, dass du dich entschlossen hast, dich der Öffentlichkeit zu stellen und als “richtiger” Künstler zu arbeiten?
Einige Zeit lang habe ich ja quasi nur illegale Graffiti gemacht, da musste ich anonym bleiben. In New York gibt es sogar Ermittler, die sich ausschließlich darum kümmern, Graffiti-Künstler zu jagen. Wenn du da was wirklich großes sprühst oder viel unterwegs bist, dann versuchen die alles, um dich zu bekommen, und dann stehen die eines Morgens bei dir vor der Tür. Dein gesamter Besitz wird als Beweismittel beschlagnahmt und du findest dich dann bald vor Gericht wieder. Ich habe damals Feuerlöscher mit Farbe gefüllt und damit dann 10 bis 15 Meter hoch an Gebäude gesprüht, das hätte mich in ernsthafte Probleme bringen können. Mit der Zeit habe ich dann angefangen richtige Wandbilder zu malen. Wenn du tagelang vor einer Wand sitzt und malst, kommen irgendwann Leute und fragen, ob sie ein Foto machen dürfen. Ich sagte dann immer ja, aber ohne mein Gesicht. Aber irgendwann kam ich mir albern vor mit der Maske. Und mittlerweile mache ich kaum noch was Illegales, also muss ich mich nicht verstecken.
Du stammst von der Westküste, oder?
Ja, aus der Bay Area, um genau zu sein..
Du bist dann vor acht Jahren nach New York gekommen. Hattest du bestimmte Pläne oder Ziele hier?
Ich hatte an der Brandeis University Malerei studiert. Mein Schwerpunkt lag auf Ölmalerei, alles ganz traditionell. Die Lehrer dort waren wirklich furchtbar und ziemliche Sexisten. Es war nicht schön. Also schmiss ich es nach dem ersten Jahr hin und war fürs Erste durch mit Kunst.
Eines Nachts habe ich mit einem Freund geskypet und er hat gefragt, was ich im kommenden Jahr vorhabe. Ich sagte: “Keinen Plan. Ich schmeiß das Studium hier; was danach kommt, weiß ich nicht.” Und er fragte einfach: “Warum ziehen wir nicht einfach nach New York?” Ich war ja schon an der Ostküste, hatte nur einen Koffer voll Zeugs mit und war noch nie wirklich in New York gewesen, also sagte ich einfach Ja.
Ich bin dann von Boston aus mit dem Bus runtergefahren und wir haben uns auf Wohnungssuche gemacht. Wir haben dann ziemlich schnell etwas direkt an der Morgan Station in Brooklyn gefunden, aber zu der Zeit bestand die Ecke noch fast ausschließlich aus alten Lagerhallen, kein Vergleich zu heute. Unsere Nachbarn waren begeisterte Anhänger einer Alien-Sekte. Die trafen sich über so eine Body-Modification-Website. Alle von denen hatten Brandings, Narben, Implantate und den ganzen Kram – Hörner im Kopf, Alienköpfe in der Hand und so weiter. Wir hatten fliegende Kakerlaken in unserer Bude, Ratten, Bettwanzen, das volle Programm. Ich dachte mir nur: “Ok, das ist also New York. Let’s go!”
Und damals sah ich dann zum ersten Mal in meinem Leben Street Art. Ich entdeckte Swoon und Gaia und ich dachte mir nur: Das ist großartig. Das will ich auch machen.
Kann man sagen, dass New York dich wieder zur Kunst gebracht hat?
Hundertprozentig. Ich war damals komplett desillusioniert, was Kunst anging. Aber was Gaia und Swoon machten, war anders. Für mich war es wie ein großes Geschenk, das sie allen machten, die daran vorbeiliefen. Ich war wirklich dankbar dafür. Ich musste es nur ansehen und wusste: “Das will ich machen.”
An dem Punkt bist du also von Öl und Leinwand zu Sprühfarbe gewechselt?
Ja. Zum Teil lag es auch einfach daran, dass ich zu der Zeit in einer winzigen Kammer gewohnt habe. Ich hatte kein Geld für einen Lagerraum, ich hatte nicht genug Platz zum Malen. Für Street Art musstest du nur etwas auf einem Fetzen Papier malen, Kleister anrühren und es irgendwohin kleben. Es war ziemlich einfach und zudem billig.
Meine erste Arbeit habe ich gleich am nächsten Tag auf einem Brooklyner Street-Art-Blog gefunden. Ich hab mir nur gedacht: “Scheiße, das ist so cool.” Es hat ihnen anscheinend so gut gefallen, dass sie ein Foto gemacht und es hochgeladen haben. Für mich war diese gesamte Erfahrung, dass Kunst lebendig wird und es eine Interaktion mit den Menschen gibt, die an ihr vorbeilaufen, ziemlich prägend. Das war so viel aufregender, als alleine in einem Atelier zu arbeiten. Plötzlich war da ein Dialog. Ab dem Moment war die Richtung für mich klar.
Als nächstes habe ich dann über ein paar Freunde diesen Graffiti-Künstler kennengelernt. Er hat Street Art gehasst. Er hat mir gezeigt, wie man die Buchstaben der Tags entschlüsselt und ich habe mich immer mehr für Graffiti interessiert, aber er hat sich immer geweigert, mich mitzunehmen. Er hatte Angst, dass man mich verhaftet. Also habe ich meine Freundinnen überredet, mit mir loszuziehen – sie wurden alle eine nach der anderen verhaftet. Aber ich habe weitergemacht.
Am Anfang habe ich meine Street-Art-Werke mit “Oopsy Daisy” signiert, ich fand das ziemlich witzig. Aber dann habe ich mit großflächigen “Rollers” angefangen und gemerkt, dass der Name einfach zu lang ist. Anthony Lister hat mich dann auf den Namen “Elle” gebracht, also Französisch für “sie”. Zu der Zeit war mir kein weiblicher Street-Art-Künstler bekannt, also war es mir entsprechend wichtig, einen wirklich femininen Künstlernamen zu haben, dazu noch viel Pink und alles überdreht girliemäßig; alles viel mehr als in meinem wahren Leben. Aber ich wollte zeigen, dass wir so etwas auch können. Ich habe diese Graffiti-Geschichte dann eine Weile ziemlich hart durchgezogen. Dann wieder zurück zu Street Art, dann die Ausstellung mit Martha und dann hat es ja auch schon mit den Wandbildern angefangen.
Siehst du deine Arbeit als politisch?
Nicht explizit politisch, aber ich bin auf jeden Fall Feministin. Es ist mir sehr wichtig, den Aspekt herauszustellen, dass es auf dieser Welt eine ganze Menge Frauen gibt, denen viele Türen verschlossen bleiben. Es gibt so viele Stereotype darüber, was Frauen nicht tun sollten, was aber für Männer vollkommen normal ist. Für mich persönlich möchte ich einfach zeigen, dass ich mindestens genauso gut, wenn nicht besser bin als so mancher Typ. Das ist im Wesentlichen mein Ansatz, außerdem liebe ich weibliche Formen. Ich arbeite vorwiegend mit Bildern von wirklich starken, schönen Frauen. Männer stehen so oft im Vordergrund, da braucht es meiner Meinung nach ein Gegengewicht.
Machst du dir viele Gedanken darüber, wie offensichtlich deine Botschaft in den Werken sichtbar ist?
Es gab eine Phase, da habe ich diese drei Meter großen Göttinnen gemalt. Ich habe sie als weibliche Schutzpatronen in den Straßen platziert. Meine Freundinnen haben dafür Modell gestanden und genau so habe ich die Bilder gesehen – als Freundinnen eben. Und ich glaube, dass die ganze Energie irgendwohin geht, wenn man stirbt, und wir alle irgendwie aus dieser Energie vergangener Zeiten entstanden sind. Ich habe mir dann gedacht, dass diese Verstorbenen als Augen noch da sind, weil sie alles sehen können. Also habe ich meinen Figuren an Brüsten und Ellenbogen und allen möglichen Stellen ein Paar Augen gegeben, die alles sehen.
Irgendwann mal habe ich einen Typen gehört, der meinte: “Oh man, ich liebe diese weiblichen Formen. Ich kann es absolut nachvollziehen, wie es als Frau sein muss, wenn dir immer jemand auf die Titten starrt.” Wohl wegen der Augen. Ich dachte mir: “Verdammt, das ist überhaupt nicht das, was ich gemeint habe.” Aber ich habe nichts weiter dazu gesagt. Es ist nicht meine Aufgabe, den Leuten zu sagen, was sie denken sollen, wenn sie sich meine Werke ansehen. Jeder zieht da etwas anderes draus, basierend auf ihren bisherigen Erfahrungen. Du erkennst das, was du kennst. Selbst wenn du den Leuten eine klare Botschaft mitgeben willst, kannst du das nicht so einfach.
Genau wie bei Basquiat; es gibt eindeutig eine Botschaft, aber sie drängt sich nicht auf und man muss sie selbst entschlüsseln.
Du solltest dir unbedingt die Arbeiten von diesem Typen angucken, der sich Rambo nennt. Das geht ziemlich in die Richtung von Basquiat, mit Gedichten und Textfetzen. Erst kürzlich hat er mir etwas ziemlich bedeutsames geschrieben. Wir haben uns darüber unterhalten, wie man als Künstler eigentlich immer weiter arbeiten möchte, aber wenn wir alles lieben würden, was wir tun, könnten wir gar nicht mehr arbeiten. Und daraufhin hat er mir folgenden Satz geschickt, den ich einfach wunderschön finde: “Steady steadfast to secure the lasting echo.”
Es geht darum, Kunst zu schaffen und damit um ein Echo hervorzurufen, das bleibt; etwas, das bis über deinen Tod hinausreicht. Daran merkst du, dass etwas wirkliche Kunst ist – wenn etwas erhalten bleibt, auch wenn du schon längst nicht mehr da bist.
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Oddisee ist Rapper und HipHop Produzent aus Brooklyn. Er wuchs als Einwanderkind auf, wie schon Basquiat: Sein Vater stammt aus dem Sudan, seine Mutter ist Afroamerikanerin aus der Gegend um Washington DC, wo Odissee auch aufwuchs. Auf mittlerweile elf Alben und einem ganzen Haufen EPs und Mixtapes – alle von ihm persönlich geschrieben und produziert – hat er seinen ganz eigenen Sound kreiert: Eine künstlerische Stimme, die warm und voller Seele ist, reich instrumentiert, mit vielen Bläsern und einem vertrackten Spiel mit Rhythmen und wechselnden Geschwindigkeiten.
Aktuell ist er auf Tour unterwegs, wie fast immer – schließlich verbringt er jedes Jahr locker sechs Monate auf der Straße. Als wir ihn erreichten, war er gerade irgendwo in der Nähe von New York und nahm sich ein wenig Zeit, um mit uns über sein Schaffen als Künstler, seine Einflüsse und Vorbilder und die harte wirtschaftliche Realität als unabhängiger Musiker in der heutigen Welt zu reden.
VICE: Du wechselst ja immer zwischen reinen Instrumental-Alben und solchen mit Gesang. Was davon machst du lieber?
Oddisee: Ich arbeite einfach an Musik. HipHop ist eigentlich ein ziemlich vielfältiges Genre, das aber oft auf Beats und Rhymes reduziert wird. Und ich glaube, dass sich die Szene da auch ein bisschen von alleine in diese Ecke gestellt hat. Das gibt es doch in der Form in keinem anderen Genre. Eine solche Frage würdest du einem Singer-Songwriter gar nicht erst stellen. Ich glaube, Rap in seiner aktuellen Form ist schuld, dass so eine Frage aufkommt. Und ich versuche mein Bestes, daran etwas zu ändern und den Menschen Rap-Musik als ganzheitliche Kunstform näherzubringen. Ich sehe mich selbst als HipHop-Künstler. Ich arbeite ebenso gern an der Instrumentierung wie an den Texten. Das eine bedingt gewissermaßen das andere. Sobald ich die Musik für einen Track fertig habe, will ich dazu etwas schreiben. Sobald ich damit durch bin, will ich das Ganze produzieren. Das befeuert sich alles gegenseitig immer weiter.
Hattest du irgendeine klassische musikalische Bildung?
Ich war nie in der Musikschule oder so. Aber mein früherer Nachbar war Garry Shider, der Bassist von Parliament-Funkadelic. Ich bin mit seinem Sohn zusammen aufgewachsen. Die hatten ein komplettes analoges Studio im Keller und wir haben lieber dort gejammt, als mit den anderen Kindern auf dem Spielplatz abzuhängen.
Meine Mutter sang schon immer und mein Vater spielte früher gerne Oud – eine arabische Laute. Also wurde mir die Musik schon ein bisschen in die Wiege gelegt.
Hört dein Vater noch immer traditionelle Musik aus dem Sudan?
Ganz ehrlich, das ist alles, was er hört. Bis heute hat mein Vater nicht einen einzigen Song von mir gehört. Aber was das Thema Einwandererkinder der ersten Generation angeht, bräuchte es wohl eher ein komplettes Interview.
Macht dich das nicht ein bisschen traurig?
Überhaupt nicht. Ich mag es, dass wir da mit einem gewissen Abstand drüber sprechen. Er fragt mich einfach, wie die Arbeit läuft, was bei mir so ansteht, ob es mir gut geht, halt einfach wie mein Leben aussieht. Und das war es dann. Er hat mit Rap nichts am Hut und wenn er sich meine Sachen anhören würde, dann ja nur, um mich zu unterstützen, nicht weil es sein Ding ist.
Bei unserem letzten Gespräch hast du erwähnt, dass dein Vater vor einigen Jahren wieder zurück in den Sudan gezogen ist. Konntest du ihn dort mal besuchen?
Natürlich, jedes Jahr. In der Regel bin ich mindestens für einen Monat dort. Als ich aufwuchs, habe ich jedes Jahr etwa drei Monate im Sudan verbracht. Als Kind war ich meist die gesamten Sommerferien dort. Ich würde auch gerne mal wieder für eine längere Zeit dort bleiben, aber die Arbeit… Aber ein Monat pro Jahr ist wie gesagt drin.
Bist du dort auch schon einmal aufgetreten?
Bisher noch nicht. Es ist für diesen Sommer geplant, aber ich bin gerade nicht sicher, ob das alles schon fix ist. Ich würde wirklich gerne mal im Sudan auftreten. Der Sudan hat auch eine wachsende HipHop-Szene, aber wenn ich mich da jetzt morgen oder so auf die Bühne stellen würde, wären vermutlich 15.000-20.000 Leute da, ganz einfach weil ich Amerikaner mit sudanesischen Wurzeln bin. Vermutlich würden sich 98% gar nicht für die Musik interessieren. Daran würde ich gerne noch etwas ändern, bevor ich dort auftrete.
Ich will nicht einfach irgendeinen Auftritt im Sudan vor einem riesigen Publikum, das meine Musik gar nicht kennt und sie sich auch nicht anhören würde, wenn ich woanders her stammen würde. Die hören dort immer noch diese klassische Chartsmusik. Das fühlt sich irgendwie komisch an.
Was Musik und deine Auftritte angeht, hast du also nach wie vor die Fäden in der Hand und dir ziemlich viel Kontrolle erhalten. War das schwer angesichts des wachsenden Erfolgs?
Ich finde es großartig unabhängig zu sein. Ich stand bisher nie wirklich vor dem Problem, dass ich etwas machen musste, das meinen Grundsätzen widerspricht. Das ist, denke ich, der größte Vorteil als unabhängiger Künstler. Du hast einfach mehr Kontrolle darüber, wie du in der Öffentlichkeit dastehst und vor allem auch darüber, wie Menschen deine Arbeit wahrnehmen können.
Das Internet hat vielen unabhängigen Künstlern eine Plattform gegeben, auf der sie auch ohne Unterstützung von Majorlabels und Radiosendern ihre Zuhörer finden. War das bei dir auch ein wichtiger Faktor?
Ich glaube vor allem, dass ich zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle war. Wäre ich ein wenig später dran gewesen, wäre meine Musik wohl einfach in der Masse untergegangen. Diese Übersättigung ist nämlich die Kehrseite des Internets. Und hätte ich ein wenig früher angefangen, wäre ich wohl auf die traditionellen Strukturen der Musikindustrie angewiesen gewesen, so dass ich wohl auch nicht da wäre, wo ich jetzt bin.
Du bist vor sechs Jahren aus der Nähe von Washington DC nach New York City gezogen. Was hat dich dazu bewogen?
Ich bin jetzt nicht nach New York gezogen, um den großen Durchbruch zu machen; ich bin hierhergekommen, um einfach das weiter auszubauen, was ich bis dahin schon erreicht hatte. Ich wollte einfach räumlich etwas näher an den kreativen Kreisen sein, in denen ich auch schon vorher war: Journalisten, Fotografen, Grafikdesigner, Regisseure, Agenturen; eben alle, mit denen man in meiner Branche Kontakt hat.
Schon als Kind hat mich New York fasziniert, all die Graffiti, die Mode, DJs und so weiter. Ich bin zwischen den Häusern umhergeirrt, habe zu den Wolkenkratzern aufgeschaut und mich immer wieder gefragt, wie jedes Viertel seinen ganz eigenen Sound haben kann und wie es möglich ist, dass eine einzige Stadt so viel und so vielfältige Kunst hervorbringt. Ich komme ja schließlich aus einer Kleinstadt, wo man sich sonst einfach angepasst hat und jeder in die gleichen Clubs gegangen ist, egal wofür man sich eigentlich interessiert hat.
Die Wurzeln meiner Musik liegen definitiv in New York. Vor allem A Tribe Called Quest waren für mich der zentrale Grund damit anzufangen selber Musik zu machen und sind nach wie vor meine Nummer eins, wenn es um HipHop geht.
Gibt es da, wo du herkommst auch einen eigenen Sound, der in New York überhaupt nicht ankommt? Oder wie sieht das umgekehrt aus?
Definitiv. Ich hab in all den Jahren unterwegs überall auf der Welt Songstrukturen und Beats kennengelernt, die dort vollkommen abgefeiert werden, aber anderswo überhaupt nicht beachtet werden. Ich mag zum Beispiel eine Menge Musik aus UK; ich habe da auch mal einige Zeit gelebt. Es gibt ein paar Rhythmusstrukturen im Dubstep und 2-Step, mit denen ich meine Freunde hier immer wieder vor den Kopf stoße, wenn ich denen so etwas zeige. Die können damit einfach nichts anfangen.
Oder ein anderes Beispiel: Ich komme ja aus DC, wo ich mit Go-Go-Musik aufgewachsen bin. Das ist einfach der typische Sound dort, wenn man Livemusik macht. Und wenn ich irgendwo außerhalb von DC Go-Go spiele, vor allem in New York, gucken mich die meisten an, als sei ich geisteskrank oder so. Wenn ich dann wiederum meinen Cousins, die sonst nichts außer Trap und der ganzen typischen Southern Music hören, den alten Kram von der East Coast zeige, den ich so feiere, dann bin ich für die allem Anschein nach nicht nur ein Außerirdischer, sondern auch noch aus dem letzten Jahrhundert.
Bei deinen Cousins ist also nur Trap angesagt?
Ja, Trap ist da das heiße Ding. DC ist, was Musik angeht, die typische “southern city”.
Man kann schon sagen, dass Trap eine recht destruktive Message hat. Hast du als Künstler und Texter, der mit A Tribe Called Quest aufgewachsen ist, manchmal das Bedürfnis dem etwas entgegenzusetzen?
Ehrlich gesagt nein. Ich muss auf nichts antworten. Ich möchte aber einen anderen Ansatz als Option zur Verfügung stellen, quasi ein Gegengewicht. Ich schaffe eine Alternative und lasse den Menschen die Wahl.
Siehst du deine Musik als politisch?
Ich glaube, dass viele, die sich meine Musik anhören, da schnell Kategorien wie “politisch” oder “sozialkritisch” im Kopf haben. Aber meine Musik basiert im Wesentlichen auf Beobachtungen. Ich merke immer mehr, dass viele diese Dinge gar nicht so konkret wahrnehmen. Aber unsere Welt ist derzeit einfach geprägt von einem ziemlich angespannten politischen Klima, wir stehen gesellschaftlich gerade vor so vielen wichtigen Entscheidungen, da wüsste ich nicht, wie das keinen Einfluss auf meine Musik haben soll.
Du bist ja auch ein muslimischer Rapper. Fühlst du eine gewisse Verantwortung, um einer vielgescholtenen Minderheit, die im HipHop sonst eigentlich kaum Beachtung findet, eine Stimme zu geben?
Schon irgendwie. Aber auch wenn mich manche Leute gerne in diese Rolle pressen wollen, will ich jetzt nicht das Aushängeschild für irgendeine Bewegung werden. Ja, ich bin Muslim. Aber das heißt jetzt nicht, dass ich muslimische Musik mache, Religion spielt da thematisch keine Rolle.
Aber ich bin auch Rapper und Rap ist vorrangig ein Abbild der eigenen Realität. Natürlich findet sich also auch meine Erfahrung als amerikanischer Muslim in meiner Musik, genau wie meine finanzielle Situation oder mein Liebesleben. Aber bloß weil ich über eine spezielle Sache rede, ist diese eine Sache ja nicht automatisch meine komplette Identität.
Wie sieht es mit den Einflüssen auf deine Arbeit aus? Beziehst du deine Inspiration auch aus anderen Genres und Kunstformen?
Architektur spielt eine große Rolle. Ich bin ein sehr großer Fan von skandinavischem Design, dieses Minimalistische, ohne dabei Abstriche bei Ästhetik oder Qualität zu machen. Das ist alles sehr funktional und zugleich wird keinerlei Material verschwendet. Das ist etwas, das ich auch bei meiner Musik versuche: Die Instrumentierung runterfahren – die Flöten, Glocken und so weiter – und gleichzeitig die Qualität und den Druck halten.
Ich beziehe auch viel Inspiration aus Kunst. Menschen wie Picasso und Dalí oder Basquiat. Menschen, die ihre Umgebung, ihre Heimatstadt und die Welt aufgesogen und in ihre Arbeit gesteckt haben; die einerseits kompromisslos ihren Weg gegangen sind und andererseits zugleich ein breites Publikum ansprechen konnten.
Menschen wie Basquiat faszinieren mich. Wie schafft man es aus den jämmerlichsten Verhältnissen New Yorks die Aufmerksamkeit der gesamten Kunstwelt auf sich zu ziehen? Ich vermute mal, wenn Basquiat HipHop machen würde, wäre er Underground-Rapper. Wenn ich mir seine Arbeiten ansehe, dann denke ich das wirklich.
In meinem Studio hängen ein paar Arbeiten von ihm. Ich muss sie nur ansehen und es gibt mir die Hoffnung, dass ich auch mit meiner ganz eigenen Art von Musik das Potenzial habe, um ein breiteres Publikum zu erreichen.
Was mich an Basquiats Kunst immer gereizt hat, war dieser gekonnte Spagat zwischen kryptisch und politisch. All die kleinen Bilder und Satzfetzen und ausgestrichenen Worte geben dir das Gefühl, dass die Botschaft direkt vor deinen Augen ist, du musst sie nur richtig zusammensetzen. Hast du, wenn du Texte schreibst, manchmal das Gefühl, dass du die Dinge zu offensichtlich darstellst?
Definitiv. Große Kunst lässt Raum zur Interpretation. Ganz gleich in welchem Genre und ungeachtet des Mediums. Meine Musik ist da keine Ausnahme. Ich möchte den Zuhörer gerne in eine gewisse Richtung lenken, aber ich versuche vielschichtig zu schreiben, um einen gewissen Spielraum zu lassen. Ich bin immer wieder fasziniert, wenn ich lese, wie Journalisten und Fans gleichermaßen meine Texte interpretieren und manche Dinge einfach komplett falsch gedeutet haben. Aber es hat auch unzählige Momente gegeben, bei denen es einfach so auf den Punkt war, dass ich mir gedacht habe: “Wow, diese Person kennt mich verdammt gut.” Aber das ist es, was ich letztendlich möchte. Ich lasse anderen den Raum, um es zu interpretieren.