Foto: dirtyboxface | Flickr | CC BY 2.0
Das Szenario: Deine Freundin hat den Abend unschuldig mit zwei Gläsern Wein zum Essen begonnen, ist dann zu Bier übergegangen, gefolgt von ein paar Shots und dem ein oder anderen Mischgetränk. Alles, was danach passiert ist, lässt sich nicht mehr genau rekonstruieren. Jetzt ist sie zu Hause, ihr Bauch voll mit Flüssigkeit. Alles dreht sich und ihr ist ein bisschen schlecht. Damit es ihr besser geht, will sie kotzen. Das hat bis jetzt eigentlich immer geholfen. Sie steckt sich also den Finger in den Hals und übergibt alles, was von diesem Abend der schlechten Entscheidungen übrig ist, der Kloschüssel. Das ist ihr persönlicher “Life Hack”, um die fatalen Auswirkungen eines zu feuchtfröhlichen Abends abzumildern. Es würde gegen die Übelkeit helfen, man würde schneller ausnüchtern und habe keinen schlimmen Kater am nächsten Tag, behauptet sie.
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Das Schlimmste, was passieren kann: Derartiges Präventivkotzen ist anders als deine natürliche Körperreaktion, wenn du ein paar Drinks über den Durst hattest. Alkohol ist ein Gift und wenn dein Körper zu viel davon hat, will er das Zeug schleunigst loswerden. Auch wenn es für dich (oder die armen Nachbarn, deren Hecke du gerade mit angedauten Dönerresten eingedeckt hast) im entsprechenden Moment eher unangenehm ist, ist das ein normaler Vorgang, den wir alle bestimmt schon mehrere Male in unserem Leben über uns ergehen lassen mussten.
Absichtliches Übergeben ist potentiell noch gefährlicher als der natürliche Kotz-Reflex
Problematisch wird es, wenn Menschen absichtliches Erbrechen zur Gewohnheit machen – insbesondere nach ein paar Erwachsenengetränken zu viel. Selbst vereinzelte Präventivmaßnahmen dieser Art im Monat können sich negativ auf deinen Verdauungstrakt auswirken. “Du erbrichst eine Mischung aus dem Alkohol, den du gerade konsumiert hast, plus Magensäure, plus teilweise verdaute Speisepartikel oder unverdaute Speisereste”, sagt Benjamin H. Levy, Gastroenterologe beim Mount Sinai und Holy Cross Hospital in Chicago. “Wenn du dich übergibst, muss alles durch die Speiseröhre. Weil dabei Magensäure mit hochkommt, verursacht das eine ordentliche Entzündung in der Speiseröhre. Wenn Essen mit dabei ist, kann es auch passieren, dass etwas auf dem Weg hängenbleibt.”
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Absichtliches Übergeben ist dazu potentiell noch gefährlicher als der natürliche Reflex, weil du aktiv versuchst, so viel wie möglich rauszubekommen. Das belastet deine Speiseröhre zusätzlich. Sich regelmäßig oder besonders heftig zu übergeben, kann sogar Risse in der Speiseröhre verursachen – auch bekannt als Mallory-Weiss-Syndrom – und dazu führen, dass du Blut kotzt.
Indem du deine Speiseröhre regelmäßig Magensäure und Alkohol aussetzt, begünstigt du außerdem die Entstehung einer Ösophagitis, einer Speiseröhrenentzündung. Die kann dauerhafte Schäden verursachen. Und schlimmer noch: Eine chronische Ösophagitis erhöht das Risiko, an Speiseröhrenkrebs zu erkranken – ganz so schnell geht das in der Regel aber nicht. Außerdem besteht das Risiko der Aspiration, also sich zu verschlucken oder Speisereste in den falschen Hals zu bekommen.
“Egal ob selbstherbeigeführtes oder natürliches Übergeben, die Gefahr ist sehr hoch, dass Alkohol, Magensäure und Speisereste in die Lungen gelangen”, erklärt Levy. Das könnte zu einer Lungenentzündung führen oder im schlimmsten Fall zum Ersticken.
Was wahrscheinlich passiert: Neben der Ösophagitis, die Levy zufolge eine gängige Nebenwirkung von regelmäßigem Übergeben ist, kann das Erbrechen von Alkohol und Magensäure auch zu Sodbrennen führen. Das dürfte das Letzte sein, mit dem du dich rumschlagen willst, wenn dir bereits schlecht und schwindelig ist. Du könntest es auch mit einer Refluxösophagitis zu tun bekommen – der sogenannten Refluxkrankheit, wenn Mageninhalte zurück in die Speiseröhre rutschen und dort Irritationen verursachen. Gut für deine Zähne ist das alles auch nicht. Die ganze Magensäure, die in deinen Mund kommt, greift deinen Zahnschmelz an und kann deine Zähne empfindlich machen und zu Karies oder Zahnfleischentzündungen führen. Ungesunde Zähne sind ein bekanntes Problem bei Bulimie-Patienten. 2014 fand eine Studie heraus, dass Patienten, die sich regelmäßig übergeben, fast 20 Prozent eher Zahnerosionen entwickeln als andere Menschen.
Ist es das alles wert? Auch wenn es sich erleichternd anfühlen kann, seinen Magen zu leeren, befindet sich der ganze über den Abend konsumierte Alkohol noch immer im Körper. Klar, die letzten Getränke, die jetzt in der Schüssel schwimmen, wurden noch nicht absorbiert, aber viel nüchterner wirst du dadurch nicht. Dank des Sodbrennens geht es dir wahrscheinlich sogar schlechter.
Die Risiken sind es einfach nicht wert
Die Risiken, die mit Saufgelagen und regelmäßigem absichtlichen Erbrechen einhergehen, sind es laut Levy einfach nicht wert. “Ich rate von selbstherbeigeführtem Erbrechen als Heilmittel gegen übermäßigen Alkoholkonsum ab. Die Risiken einer Aspiration von Alkohol, erhöhter Magensäure und dem möglichen Eindringen halbverdauter Speiserest in die Lunge sind einfach zu groß. Das heftige Würgen birgt außerdem das Risiko eines Speiseröhrenrisses in sich.”
Wenn deine Freundin reflexartig nach zu viel Alkohol kotzt, halte ihre Haare zurück und lass ihren Körper sein Ding machen. Falls sie einschläft, solltest du sicherstellen, dass sie auf der Seite liegt, um zu verhindern, dass sie eventuell erstickt. Falls du Anzeichen für eine Alkoholvergiftung bemerkst – Erbrechen, Verwirrung, Krämpfe, verlangsamte Atmung und Bewusstlosigkeit – hol’ umgehend medizinische Hilfe.
Natürlich ist es am allerbesten, gar nicht erst so viel zu trinken. Saufgelage selbst bringen ihre ganz eigenen Probleme mit sich – Alkoholvergiftungen und Alkohol-Hepatitis sind nur einige davon. Wenn deine Freundin aber doch mal zu viel getrunken haben sollte und ihr schlecht ist, ist sie besser damit beraten, viel Wasser oder isotonische Getränke zu trinken, ins Bett zu gehen und am nächsten Tag ins Fitnesscenter.