Die meisten Fotografen dürfen ihre Kameras nicht mit in Stripclubs nehmen oder damit dokumentieren, wie sie mit den Bloods abhängen. Aber Ivar Wigan—vielleicht wegen seines sanften, schottischen Scharms—scheint immer und überall willkommen zu sein.
Wigan zelebriert in seiner Fotoserie The Gods die Kultur und Gemeinschaft der HipHop-Szene im Süden der USA. Die vor allem in Atlanta, New Orleans und Miami entstandenen Bilder sind provokativ und cinematisch. Sie zeigen uns die Kultur der Straße aus einer Perspektive der Bewunderung, sind aber gleichzeitig auch unglaublich intim.
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Wigan ist in Schottland auf die Welt gekommen und in London aufgewachsen. Das Unersättliche, mit dem er an seine Arbeit herangeht, erinnert mich ein wenig an ein berühmtes Zitat von Susan Sontag aus ihrem Buch Über Fotografie: “Der Fotograf, eine bewaffnete Spielart des einsamen Wanderers, pirscht sich an das großstädtische Inferno heran und durchstreift es—ein voyeuristischer Spaziergänger, der die Stadt als eine Landschaft wollüstiger Extreme entdeckt. Ein Adept der Schaukunst und Connaisseur des Effektvollen, findet der Flaneur die Welt ‘pittoresk’.”
The Gods greift auch Themen von Wigans vorangegangenen Arbeiten auf, zu denen die Ausschlachtung afrikanischer Stammeskultur, die jamaikanische Dancehall-Szene und Bilder von seinen ausgiebigen Reisen durch den Süden der USA gehören.
VICE: Warum sind so viele Bilder von The Gods in Stripclubs entstanden?
Ivar Wigan: Alles in der Serie dreht sich um die Welt des Gangster-Rap und Stripclubs sind der Haupttreffpunkt dieser Kultur—quasi so etwas wie die Kirche. In den Stripclubs spielt sich eine Menge ab. Man geht dort zum Abhängen hin, Rapper spielen ihre neuen Platten vor, die angesagtesten HipHop-DJs legen dort regelmäßig auf. Für manche Frauen in der Szene ist es das höchste Ziel, in einem dieser Clubs tanzen zu dürfen. Wenn du zum Beispiel in Atlanta eine Tänzerin im Magic City bist, dann schauen die Menschen zu dir auf, weil die Mädchen dort mehr Geld machen als alle anderen. Die sind oft erst 21 oder 22 und verdienen locker 5.000 US-Dollar pro Nacht. Viele Mädchen können es also kaum erwarten, 19 zu werden, damit sie sich eine Tänzerinnenlizenz besorgen können. Und die Typen wollen alle die Startänzerinnen daten und mit ihnen gesehen werden.
Das klingt gut. Selbst in wirklich sexpositiven Communitys von New York werden Frauen, die sich für Geld ausziehen, noch immer stigmatisiert—auch wenn sie sagen, dass ihnen die Arbeit gefällt.
Ja, in Atlanta wird der Job als Tänzerin nicht ansatzweise als etwas Negatives wahrgenommen. Ich bin in England aufgewachsen, wo Stripclubs als verrucht gelten—ein Ort, an den alte, einsame Männer gehen, um eine gekünstelte erotische Erfahrung zu erleben. In Atlanta ist das ganz anders. Jeder geht dort in Stripclubs: Paare, Frauengruppen, selbst einen Pastor habe ich dort schon getroffen. Man guckt dort zusammen Basketball oder Football, isst zusammen zu Abend. Wenn es dann später wird, kocht die Stimmung aber hoch und alle fangen an zu tanzen. Dann hat es fast schon was von einem Club. Es ist also ein fröhliches, durchmischtes Umfeld, in dem Menschen miteinander interagieren. Die Tänzerinnen sind schöne, junge Frauen mit einer positiven Einstellung. Das ist eine Besonderheit des amerikanischen Südens und Atlanta ist mit 65 Stripclubs das Zentrum davon.
Deine Motive wirken heroisch, geradezu göttlich. War das so beabsichtigt?
Ja. Ich versuche, die Menschen von der Straßenecke auf einen ikonenanhaften Status zu erhöhen. Jemand anders wäre dieses Thema bestimmt sehr anders angegangen—mit düsterem, unvorteilhaftem Licht oder sehr politisch. Ich möchte aber schöne Bilder machen, die die Fotografierten auch gerne mögen.
Kommt da auch der Name, The Gods, her?
“Gods” werden die Veteranen der Straße genannt—Typen, die mal im Gefängnis waren. Die Jungen bezeichnen die Älteren als Götter.
Es passiert nicht gerade oft, dass Menschen im Stripclub ihre Kamera auspacken dürfen—oder in der Gegenwart von Gangs. Wie hast du diesen Zugang bekommen?
Als ich in Atlanta ankam, kannte ich niemanden. Nachdem ich gelandet war, habe ich zu meinem Taxifahrer einfach gesagt: “Bring mich in das billigste Motel!” Von da an habe ich dann die Stadt kennengelernt, Freunde gemacht und mich eingelebt. Ich habe über ein Jahr dort gewohnt, aber in den ersten neun Wochen noch nicht mal meine Kamera ausgepackt. Ich bin einfach nur durch die Stadt gefahren und habe versucht, sie zu verstehen—die unterschiedlichen Communitys und die Gegenden. Ich war viel unterwegs und habe mit Menschen gesprochen.
Als ich dann die Clubs gefunden hatte, in denen ich arbeiten wollte, bin ich jeden Abend dorthin, bis ich alle Tänzerinnen, die Securitys und die Betreiber kannte. Beziehungen sind das A und O. Ich war damals Teil der Szene. Ich hatte auch immer mein iPad dabei und habe ihnen darauf meine Bilder gezeigt. Die Arbeit reißt dann die Barriere nieder und sie können sehen, woran sie bei mir sind.
Würdest du deine Bilder eher als Porträts, dokumentarisch oder beides bezeichnen?
Ich habe mir nie wirklich Gedanken darüber gemacht, ein paar Porträts sind definitiv dabei. Aber bei den Bloods zum Beispiel … Nun, es ist nicht so, dass man einfach immer mit den Bloods abhängen kann, also kannst du die Situation auch nicht wirklich kontrollieren—du fotografierst dann einfach alles, was du vor die Linse bekommst. In der Hinsicht ist es eher dokumentarisch, aber andererseits ist es jetzt nicht so, dass ich zwanghaft versuchen würde, alle Aspekte zu dokumentieren.
Ich habe immer sehr auf Momente des Lichts im Sturm gewartet. Es ist eine sehr dramatische Welt. Eigentlich habe ich mehr so was wie Hochzeitsfotografie gemacht—ich versuche, einen Zugang zur Welt dieser Menschen zu bekommen, in ihr zu leben, mit ihnen zu feiern und ihnen etwas zurückzugeben, was sie lieben und behalten wollen. Immer wenn ich konnte, habe ich den Leuten Abzüge gegeben. Alle haben sie geliebt.
Wie gehst du mit der feinen Grenze zwischen Bewunderung und Fetischisierung um, zwischen Dokumentation und Instrumentalisierung? Machst du dir bei deiner Arbeit viele Gedanken über so was?
Fetischisierung impliziert einen erotischen Gehalt, den ich in dieser Serie überhaupt nicht sehe. Ich würde auch nicht sagen, dass Fotografie ein Prozess der Instrumentalisierung ist, wenn dahinter die Intention steckt, ein positives Resultat unvergänglicher Schönheit zu produzieren. Was für ein besseres Geschenk kann man einem Menschen machen, als ihn in der Blüte ihres Lebens zu porträtieren und diese Bilder auszustellen?
Deine Arbeiten werden oft mit denen von Nan Goldin verglichen, obwohl ich ihre viel düsterer finde.
Ich mag Nans Arbeiten unglaublich gerne—ich habe einen Abzug von ihr über meinem Bett hängen. Sie ist immer eine Inspiration für mich gewesen, aber sie macht ihre Bilder aus einem sehr dunklen Ort heraus. Auch wenn meine Fotos ihre Ecken und Kanten haben, sehe ich keine Dunkelheit darin. Sie sind für mich positiv—eher eine Huldigung. Eins von Nans berühmtesten Bildern ist die Hand eines AIDS-Kranken im Endstadium, die die Hand seines Freundes hält. Es ist ein sehr kraftvolles Bild und ich respektiere es, aber ich selbst hätte das Foto nicht gemacht. Das ist einfach nicht mein Zweck als Künstler. Mein Zweck ist es, Dinge zu finden, um sie zu feiern.
Ivar Wigans The Gods wird bis zum 19. Juni in der Little Big Man Gallery in Los Angeles ausgestellt. Mehr Bilder gibt es hier unten: