Popkultur

Die erste lesbische Datingshow der Welt ist ein Trash-TV-Meisterwerk

"Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie gerne leckt ihr?" – Irina, die 'Princess Charming'
Fünf Frauen in Bikinis vergnügen sich in einem Whirlpool; es handelt sich um Kandidatinnen der lesbischen Datingshow Princess Charming, ein Trash-Tv-Meisterwerk
Alltag in der 'Princess Charming'-Villa | Foto: RTL

In den ersten paar Minuten wirkt Princess Charming noch wie alle Datingshows. Eine riesige Villa auf einer griechischen Insel. Blaues Meer, zwei Pools, drumherum Olivenhaine, Liegestühle und eine Bar. Trash-TV-Grundausstattung. Eine Off-Stimme erklärt, dass hier demnächst 20 "Ladies" einziehen, um das Herz einer "Princess" zu erobern. Sie alle verbinde die "Liebe zu Frauen" und man wolle herausfinden, "ob die griechischen Liebesgötter auch Prinzessinnen wohlgesonnen sind".

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Nein, denkt man. Verbindungen wollen wir nicht sehen. Lieber Drama. Schließlich gucken wir so gern Datingshows, weil sie die schmuddeligsten aller Trash-TV-Register ziehen. Wir wollen wunderschöne Menschen aus Kleinstädten sehen, die vorschwindeln, sie würden "Liebe" suchen. Dabei geht es ihnen um ein paar Tausend Euro und eine Chance auf das Dschungelcamp – und die will verdient sein. Mit Intrigen, Streit und nackten Körpern. Oder je nach Sendezeit wenigstens unverpixelten Brüsten.


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Die TVNOW/RTL-Produktion Princess Charming – Fortsetzung der erfolgreichen schwulen Show Prince Charming – hat mit dem Haus in Kreta und dem Dramalevel von 20 Kandidatinnen eigentlich alle Voraussetzungen, genau so zu werden. Aber sie ist anders – viel besser! Nicht nur, weil Princess Charming, so absurd das im Jahr 2021 klingt, die erste lesbische Datingshow der Welt ist. 

Die "Princess" heißt Irina Schlauch und ist Immobilienanwältin aus Köln. Sie mag Sport, würde gern mal mit dem Bulli verreisen und ist ein "Beziehungstyp". Also sehr normal und ein kleines bisschen spießig. Aber wie beim Bachelor spielen sowieso die Kandidatinnen die Hauptrolle. 

Die werden, wie immer in Dating-Shows, auf ein gut merkbares Merkmal reduziert. Eine Cheerleaderin. Eine, die bei der Bundeswehr war. Eine, die Gedichte schreibt. Eine, die nach einem traumatischen Erlebnis Buddhistin geworden ist. Eine Fußballerin, eine Ingenieurin, eine angehende Arzthelferin. Mit Lebensmottos zwischen "Carpe Diem" und "No Risk, No Fun". 

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Ein paar von ihnen ziehen sich High Heels an, die Kamera zoomt langsam auf ihre flachen Bäuche und Tattoos. So weit, so Bachelor. Aber: Die meisten Teilnehmenden tragen normale Straßenkleidung: Basecaps, weite Shirts, ausgewaschene Tops, Jogginghosen. Sie kommen im Pickup in der Villa an, brüllen "Pussy Power" und wedeln mit einer Regenbogenflagge. Spätestens da ist klar: Das hier wird anders.

Eine halbe Stunde läuft die erste Folge Princess Charming, da spult man kurz zurück. Es geht auf die zweite Hälfte der Sendung zu, in der meistens alle besoffen rummachen und bald die Entscheidung namens "Ladies Night" ansteht. Eine der Kandidatinnen macht sich Sorgen, dass ihr Körper nicht schön genug sei für die Princess.

"Du bist perfekt!", widerspricht die Frau neben ihr.

"Du hast richtig schöne Kurven!", eine andere. 

Haben die das gerade wirklich gesagt? Wo bleibt die Häme, das Drama, das Bodyshamen? Als wenig später zwei Kandidatinnen nach einer körperlichen Auseinandersetzung gehen müssen, sind die anderen vor allem besorgt, was das für ein Licht auf die "Community" werfen könnte. 

Princess Charming ist ein Grundkurs Feminismus – aber mit Knutschen. Und ohne so missionarisch zu sein, wie eine dieser Tatort-Folgen mit gesellschaftspolitischer Botschaft. Nichtmal wenn die Kandidatinnen ihre Finger in anatomisch korrekte Vulva-Muffins bohren und "No Shame in the fucking Vulvagame" rufen. 

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Princess Charming Irina steht an eine Wand gelehnt, sie sucht in der ersten lesbischen Datingshow eine Partnerin

Prinzessin und Immobilienanwätin Irina Schlauch | Foto: RTL

Niemand will einem hier Diskurse aus dem Gender-Studies-Master unterjubeln. Aber trotzdem ist das Private eben politisch, wenn man queer ist. Zwischen Trinken und Knutschen sprechen die Teilnehmenden Themen an, die man keinem Bachelor in den Mund skripten könnte. 

Einmal zum Beispiel liegen Jana, Kati und Saskia in der Sonne. Saskia, 25, trägt Glatze und ist bis zum Kinn tätowiert.

Jana: "Hast du schon mal nachgedacht, dich umoperieren zu lassen?"

Saskia: "Nee."

Jana: "Gar nicht?"

Saskia: "Kommt gar nicht für mich in Frage."

Kati: "Nee. Du bist woman, ne?"

Saskia stimmt zu.

Kati: "Du bist she, her, du bist Cis-Frau!"

Weil es bei Princess Charming keinen übergriffigen Off-Erzähler gibt, bleibt das einfach so stehen. "Cis-Frau" ist im deutschen Privatfernsehen angekommen. "Ich bin stolz, eine Frau zu sein, und möchte das auch für immer bleiben", sagt Saskia noch. Es wirkt nicht aufgesetzt, wenn auf dem offiziellen Princess Charming-Instagram-Account die Followerinnen ermutigt werden, ihre Pronomen in die Bio zu schreiben. "Macht einen Screenshot. Markiert uns und 5 Freund*innen."

Eine Szene weiter, in der Küche, sprechen Wiki, eine feministische Rapperin aus Köln, und Gea aus Berlin über Strap-Ons. Gea ist nicht-binär, auch wenn RTL in der ersten Folge 20 "Ladies" angekündigt hatte.

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Gea: "Ich mag Schwänze, ohne Scheiß. Strap-Ons und so."

Wiki: "Ich mag auch Dildos."

Gea: "Aber ich find Schwänze nice, ich würde nicht sagen 'Iiih' oder so."

Wiki: "Kommt auf den Dude an."

Gea: "Nicht nur Dudes haben Schwänze."

Wiki: "I know."

Nicht immer läuft es so friedlich. Eine Diskussion darüber, ob es transfeindlich ist, wenn man als lesbische Frau nicht auf Frauen mit Penis steht, endet in Tränen. Eine andere Diskussion über Consent endet im Streit. Eine Kandidatin hatte die Princess vor den anderen angefasst, der war das sichtlich unangenehm. Die Kandidatin wird von den anderen darauf angesprochen – fair, aber bestimmt. 

- "Ich finde, du warst bisschen übergriffig."

- "Ja, ist mir auch egal."

Ab da wird die Princess vor jedem Kuss kurz gefragt, ob man sie küssen dürfe. Das macht die Sendung kein bisschen schlechter oder biederer: Eine Folge später knutscht Irina trotzdem mit allen und kickt danach zwei von ihnen raus. Und natürlich geht es darum, wer ein Übernachtungs-Date bekommt. Und während Lou, die Cheerleaderin, danach kichernd behauptet, es sei gar nichts passiert, und im Bett nach ihrer Pyjamahose fischt, sind die Verschmähten in der Villa den Tränen nahe. Lupenreines Trash-TV! Und gleichzeitig der Beweis für eine weitere Lektion im Grundkurs Feminismus: Consent ist sexy. 

Die Dramaturgie von Princess Charming ist clever, die Gespräche für eine gescriptete Sendung erschreckend echt ("Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie gerne leckt ihr?" – Irina; "Wenn man sich verliebt, ist jeder beziehungsfähig" - Miri). Höhepunkt ist der Plottwist in Folge vier, einfach ein Reality-TV-Geniestreich. Achtung, Spoiler: Die Princess hat eine Zwillingsschwester. 

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Princess Charming ist revolutionär. Und das Absurde ist: Eigentlich war die Sendung mal als sexistischer Bullshit gedacht. Im Oktober 2020 kündigte RTL das neue Format – eine "Weiterentwicklung" von Prince Charming – so an: "Bi-Lady geht auf die Suche nach der großen Liebe."

Als Teilnehmende waren lesbische und bisexuelle Frauen und heterosexuelle Männer geplant. "Unter den bunten und diversen Liebesanwärtern [...] werden Klischees befeuert – oder entkräftet", hieß es. RTL versprach "Catfights bis hin zu heißen Flirts". Am Ende sei die Frage: "Wer überzeugt die Single-Dame am meisten? Mann oder Frau?"

Hetero-Männer zur Beruhigung des Massenpublikums? Befeuerte Klischees? Und erwachsene Frauen, deren Konflikte zu "Catfights" degradiert werden? Nach negativen Reaktionen und auf Wunsch von Bewerberinnen wurde das Konzept umgeworfen. Tatsächlich haben die Produzentinnen stattdessen auf jedes einzelne Klischee verzichtet. 

Princess Charming Irina sucht in der ersten lesbischen Datingshow eine Partnerin, ihr gegenüber stehen die rausgeputzen Kandidatinnen

Nicht mehr ganz 20 rausgeputzte und mit Sahneschnaps beschwipste Teilnehmende | Foto: RTL

Und gleichzeitig ist die Sendung so schlau gecastet, dass viel lesbische Vielfalt über den Bildschirm läuft. Kleinstadt und Großstadt, Ost und West, Raspelschnitt und blonde Mähne, eher femme oder mehr butch. Und alle möglichen Körperformen. Abgesehen davon natürlich, dass fast alle Kandidatinnen weiß sind.

Dass Princess Charming so großartig ist, ist nur fair, wenn man bedenkt, wie lange queere Frauen darauf warten mussten. Es ist die erste lesbische Datingshow der Welt. Produziert in Deutschland, wo die wöchentliche LGBT-Quote im deutschen Fernsehen selten auf mehr als 2 Prozent steige, misst zumindest das Portal QueerIMDB. Gerade läuft mit Loving her in der ZDF-Mediathek die erste deutsche Serie mit hauptsächlich lesbischen Figuren. Genau wie Princess Charming landen diese Formate (noch) nicht im linearen Fernsehen.

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Einige Kandidatinnen von Princess Charming sind genau deshalb angetreten. Sie sind nicht nur zum Feiern nach Kreta geflogen (obwohl eine später im Podcast des MISSY-Magazins erzählt, die Produktion habe ihnen schon an Tag zwei gesagt, sie hätten mehr gesoffen als die Männer bei Prince Charming). Miri hätte als Teenager im Fernsehen gerne andere gesehen, die Frauen lieben, sagt sie. "Wir sind hier alle reingegangen, weil wir wissen, dass wir was repräsentieren", sagt Wiki. 

Im Podcast erzählt Wiki, dass sich die Villa auch hinter den Kulissen wie ein Safe Space angefühlt habe. Vor den Entscheidungen hätten sich alle unter Tränen umarmt, dann an den Händen genommen und einen Spruch aus Die Wilden Kerle gerufen: "Sei wild, gefährlich und wild. 1, 2, 3, aaaahhhhhhh!" Weil es so traurig gewesen sei, wenn eine die Runde verlassen musste. Das stelle man sich mal beim Bachelor vor. 

Faires Trash-TV geht also. Kandidatinnen, für die man sich nicht schämt, auch wenn sie lügen, betrügen und heulen. Die nicht genötigt werden müssen, sich emotional nackt zu machen, sondern das alles freiwillig tun. Mal abgesehen davon vielleicht, dass sie vor dem Partyabend jeweils mit einem Glas voller ekligem Sahneschnaps des Hauptsponsors Baileys anstoßen müssen. Aber vielleicht haben sie die leeren Flaschen ab Tag zwei auch einfach mit Ouzo aufgefüllt.

Princess Charming läuft bisher in der TVNOW-Mediathek und soll demnächst bei Vox ausgestrahlt werden. Das Casting für die zweite Staffel läuft schon. "Catfights" werden nicht mehr versprochen, nur noch der Hauptgewinn: "Die ganz große Liebe!" 

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