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Popkultur

'Blau ist eine warme Farbe' ist endlich mal ein Film über authentische Girl-on-Girl-Liebe

Kommen wir gleich zum Punkt. Es geht um Sex. Viel Sex. Lesbischen Sex. Acht unglaublich lange Minuten von Girl-on-Girl-Action, in denen geleckt, gesaugt und gekniffen wird—und wir haben einen exklusiven Clip aus dem Film.

Kommen wir gleich zum Punkt. Es geht um Sex. Viel Sex. Lesbischen Sex. Acht unglaublich lange Minuten von Girl-on-Girl-Action, in denen geleckt, gesaugt und gekniffen wird—und es wird heftiger.

Eine Menge Gedanken kommen mir in diesen acht Minuten in den Sinn, jedes zweite Wort davon ist „wow“. Wow, was geht ab? Wow, ist das simuliert oder haben die beiden hier wirklich Sex? Wow, ist es wirklich OK, bei diesem Lustspektakel dabei zu sein, oder wird es Konsequenzen für uns als Zuschauer haben?

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Jedenfalls … Wow … Respekt. Respekt an Adèle Exarchopoulos und Léa Seydouxs, die die Schülerin Adèle und Kunststudentin Emma spielen. Die beiden offenbaren nicht nur alles, was der nackte weibliche Körper offenbaren kann, sondern—viel eindringlicher—sie offenbaren ihre Seelen. Denn letztendlich geht es um Liebe und Liebe bringt die heftigsten Emotionen in uns hervor, ob positiv oder negativ. Als Zuschauer glauben wir dieser Liebesgeschichte, die in sich auch absolut zerbrechlich ist, trotz der härtesten Sexszenen, die es seit Langem zu sehen gab. Aber vielleicht fällt das auch nur so auf, weil wir einfach viel zu sehr an den Hollywood-Schmalz gewöhnt sind, der uns sonst so präsentiert wird, und vergessen haben, dass Zuneigung auch heißt, die Genitalien unseres Liebsten/unserer Liebsten in den Mund zu nehmen.

Trotz der Liebesgeschichte im Mittelpunkt wäre es nicht recht, den Film nur aufgrund dessen zu diskutieren. Die Zeitspanne des Filmes umfasst mehrere Jahre und obwohl die Story an sich nichts Neues bietet, stört eigentlich nichts an Kechiches Erzähltechnik, obwohl kleinere Konflikte nicht aufgelöst werden und die Motivation der Charaktere manchmal nicht ganz klar ist. Aber es geht nicht darum, eine schlüssige Story zu haben, denn c’est la vie—und das Leben ist keine perfekt durchgeplante Geschichte. Deshalb ist der französische Titel La Vie d’Adèle sehr viel passender, denn es geht um Adèles Leben. Sehr viel mehr als im Schlafzimmer passiert im Klassenzimmer und am Küchentisch, von den anfänglichen Flirtereien mit einem Jungen über ihr behütetes Leben mit ihren etwas spießigen Eltern. Eine der herzzerbrechendsten Szenen spielt am Schulhof, wo sie vor allen ihren Freundinnen mit der Frage konfrontiert wird, ob sie lesbisch sei.

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©AlamodeFilm/WildBunch

Seit der Film im Mai die begehrte Palme d’Or in Cannes gewonnen hat, wird fast täglich über die Kontroversen des Filmes und die umstrittene Geschichte über die Dreharbeiten geschrieben. Es ist geil, der Geschichte einer Alltagsheldin zu folgen, die selbst die Handlung vorantreibt und nicht auf einen Mann angewiesen ist. Adèle teilt mit uns ihre Sehnsüchte, Träume und Ängste und tut dies unglaublich aufrichtig. Auf der anderen Seite jedoch ist es schwierig, Abdellatif Kechiche zu ignorieren, den egozentrischen Regisseur, der angeblich Adèle und Léa 6 Monate lang gepeinigt haben soll (die Sexszenen allein dauerten 10 Drehtage). Die Person hinter der Kamera ist ein Mann und es ist schwer, seinen Fetisch für Adèle Exarchopoulos’ Lippen nicht zu bemerken. Sie isst und schläft mit offenem Mund, sie weint, sie lacht—und immer wieder hängt die Kamera an ihren Lippen. Wir werden in die Welt von Adèle geschleudert, sind so nah, dass wir ihr die Spaghetti-Flecken vom Mund wischen oder die nervige Strähne, die ihr immer ins Gesicht hängt, hinters Ohr stecken wollen. In dem Moment, wo es um Sex geht, entfernt die Kamera sich dann wieder ein wenig, ohne wiederum völlig in die Totale abzuschweifen. Geht es am Ende also doch wieder nur darum, den weiblichen Körper zur Schau zu stellen und dem Publikum das zu geben, wonach es verlangt? Egal, wie und aus welcher Entfernung sie jetzt gefilmt wird, die Story an sich rechtfertigt die Szene, denn es geht um Liebe und Lust, und nackt zu sein ist das Natürlichste, wenn man verliebt ist.

Lesbischer Sex wird trotzdem immer eine Männerfantasie bleiben, auch wenn diverse lesbische Blogger im Internet bestätigen, dass sie die Sexszenen glaubhaft fanden. Klar, ohne die Sexszenen wäre Blau ist eine warme Farbe nicht das, was es ist. Ob pornografisch oder realistisch, das kann gerne diskutiert werden. Jedenfalls werden wir, während der Rest des Filmes dank seiner Schauspielerinnen unglaublich authentisch wirkt, durch die Sex-Szenen trotzdem irgendwie aus der Realität des Filmes gerissen. Aus gender-theoretischer Sicht könnte man Blau ist eine warme Farbe also in alle möglichen Richtungen kritisieren. Aber wie viele vergleichbare Filme gibt es überhaupt, in denen zwei Mädels ihren Wünschen kompromisslos nachgehen, für das kämpfen, was für sie Leben bedeutet, Fehler begehen, aber trotzdem aufstehen und verkünden, es geht weiter? Das ist einfach cool.

Adèle Exarchopoulos, Léa Seydoux und Abdellatif Kechiche wurden zu dritt für die Goldene Palme in Cannes ausgezeichnet. Das gab es noch nie und eins ist sicher—die drei haben alles gegeben und das sieht man im Film. Respekt.