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LEGAL HIGHS

(Halb-)Legale Räusche: Lachgas

Es gibt Gefühle, von denen manche gar nicht wissen, dass sie existieren. Für mich war es lange Zeit das Gefühl, in einem mit Wasser gefüllten Ballon zu leben, während einem beim Musikhören Steine durchs Gehirn purzeln.

Die schlimmste Droge unserer Zeit ist ja für viele anhaltende Nüchternheit. Weil aber soziale Ächtung, Beschaffungskriminalität und komplette Abhängigkeit fast genauso schlimm sind, haben wir in unseren rauschverliebten Jugendtagen alle das eine oder andere Mal zu (halb-)legalen Alternativen gegriffen. Deshalb packen wir ab heute die schwammigsten und schönsten Erinnerungen an unsere „Barely Legal Highs" aus—also zu Räuschen, die zumindest zu der jeweiligen Zeit oder in der jeweiligen Gegend legal waren. Nach ​Wahrsagesalbei, ​Poppers, ​Aspirin, ​Kratom-Tee, ​Ägyptischem Lotus und ​Slivovitz folgt heute Lachgas.

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​Es gibt Gefühle, von denen manche gar nicht wissen, dass sie existieren, weil sie in ihrem normalen, behüteten, von geeichten Abläufen bestimmten Leben niemals auf natürliche Art vorkommen würden. Für Deutschnationale ist das zum Beispiel Liebe und für Linksautonome das Gefühl von Leistungsdruck. Für mich war es lange Zeit das Gefühl, in einem mit Wasser gefüllten Ballon zu leben, während einem beim Musikhören Steine durchs Gehirn purzeln.

Das liegt daran, dass die Einnahme von Lachgas eigentlich nicht unbedingt zu den Dingen gehört, die einem zufällig passieren. Immerhin konsumiert man Lachgas nicht wie Shots oder Zigaretten quasi im Vorbeigehen und ich mir fällt auf Anhieb auch kein einziger Coming-of-Age-Film ein, der irgendwie mit dem Inhalieren von Schlagobers-Kapseln—egal ob als Mutprobe oder coole Übersprunghandlung beim Abhängen auf dem Shopping Center-Parkplatz—zu tun hätte.

Dabei ist Lachgas in jedem Supermarkt zu haben. An der Verfügbarkeit scheitert es also schon mal nicht. Und auch der Warnhinweis auf der Kapselpackung, dass die Patronen ausschließlich für die Herstellung von schaumigem Schlagobers und auf gar keinen Fall für lustige Inhalier-Spiele genutzt werden sollten (der bestimmt schon einige Hausfrauen ziemlich ratlos und vielleicht ein bisschen neugierig zurückgelassen hat) wird wohl kaum der Grund sein, warum Lachgas nicht längst zur Nummer 1 unter den Rauschmitteln für Jugendliche aufgestiegen ist.

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Ich glaube viel eher, dass es an der Kombination aus mangelnder Coolness und durchaus vorhandener Komplexität liegt. So nehmt ihr Lachgas am besten zu euch: Zuerst besorgt ihr euch einen „Entkapsler" (der aussieht wie ein geriffelter Metall-Dildo ohne zugespitztes Ende), eine Packung Luftballons (die im Idealfall besonders reißfest sein sollten, weil ihr nach dem dritten Mal Inhalieren Probleme mit der Dosierung haben werdet) und eine Ladung Isi-Patronen (oder welche Marke auch immer der Supermarkt eures Vertrauens für Omas, die ihren Kaffee ausschließlich mit einem Brocken Schlagobers von der Größe eines Golfballs genießen können, bereithält).

Als nächstes führt ihr die drei Dinge zusammen. Das bedeutet, dass ihr den Entkapsler öffnet, die Patrone einlegt, einen Luftballon über das eine Ende zieht und dann dabei zuseht, wie die Physik den Rest erledigt. Bedenkt dabei immer, dass ihr von außen ausseht wie eine Gruppe Montessori-Schüler, die sich gerade im Sesselkreis auf einen Kindergeburtstag vorbereitet. Es wird auch nicht viel cooler, wenn ihr den Luftballon wie ein gebrauchtes Kondom abzieht, an euren Mund führt und das Clown-Äquivalent von An-einem-Joint-anziehen an einem der bunten Luftballons ausführt.

N2O kann auch zu heftigen Vergiftungserscheinungen bis hin zum Tod führen—regelmäßiger Konsum zieht neurologische Probleme nach sich, die sich in Taubheit der Extremitäten oder Gehstörungen äußern.

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Gleichzeitig füllt sich der ansonsten bestimmt sehr adrette Boden eures Partyzimmers zunehmend mit den leeren Hülsen der ausgelutschten Patronen, die genauso gut von einer Pumpgun stammen könnten und dem ganzen Szenario noch einen Hauch von Amoklauf-Tatort geben.

So viel also zu Szenario und Setup. Lachgas ist nicht die Art von Droge, bei der ihr wollt, dass eure coolen Freunde spontan auf Besuch vorbeikommen. Dem Image hilft es auch nicht unbedingt, dass ​N 2O zu heftigen Vergiftungserscheinungen bis hin zum Tod führen kann und regelmäßiger Konsum beziehungsweise Abhängigkeit ​neurologische Probleme nach sich zieht, die sich in Taubheit der Extremitäten oder Gehstörungen äußern. Wer auf Lachgas hängenbleibt, kriecht irgendwann buchstäblich auf dem Zahnfleisch (oder zumindest auf seinen offenen Nervenenden) daher.

Foto von VICE Media

In meinem Fall kam das Lachgas—wie vermutlich bei den meisten, die es nur mal ausprobieren wollen—am zweiten Tag einer Party zum Einsatz, wo die Hemmschwelle gemeinsam mit dem letzten Bisschen Würde als ungebetener Gast vor die Tür gesetzt wurde. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass am ersten Abend ​irgendwie bereits LSD im Spiel war und der Einkauf im Supermarkt, den wir mit Fertigpizza, Bier und Lachgas-Kapseln verließen, dank einiger kaum überbrückbarer Hürden fast in einem Nervenzusammenbruch und panischem Davonlaufen geendet wäre.

Als wir dann wieder mehr oder weniger wohlbehütet in meiner Studentenwohnung ankamen, drehten wir die Musik auf volle Lautstärke und bedienten uns einige Male ungeschickt am Entkapsler, dessen Ähnlichkeit mit einem Dildo auch nach der zweiten Runde nicht geringer wurde. Interessanterweise bringt einen Lachgas nicht unbedingt zum Lachen. Was es aber sehr wohl schafft, ist, dein Gehör massiv durcheinanderzubringen und eine Trennwand aus Unterwasser-Akustik zwischen dich und den Rest der Welt einzuziehen.

Apropos Trennwand: Da die zur Wohnung meines damaligen Nachbarn nur aus Rigips bestand, hatten wir wenig später einen bemüht entspannten Alt-Achtundsechziger vor der Türe stehen, der nicht schlecht über die Szenerie staunte, als er extra die 4 Stockwerke von Stiege 1 runter und die 4 Stockwerke zu Stiege 4 raufgelaufen kam, um uns seine kleinlaute Beschwerde über unsere Musiklautstärke vorzutragen. Er hatte bestimmt mit vielen gerechnet, aber Jugendliche, die in einem Haufen leerer Patronen Luftballons aufblasen und mit einem Dildo hantieren, gehörte ziemlich sicher nicht dazu.

​Markus lebt seine Unterwasser-Räusche auch auf Twitter aus: @wurstzombie


Titelbild: Steve Jurvetson | ​flickr | ​cc by 2.0