In den gar nicht mal so dunklen Ecken des Internets wird gerade angeregt über das Medikament Modafinil diskutiert. Es wird als Droge aber nicht zum Vergnügen konsumiert, sondern um besser Arbeiten zu können, konzentrierter zu sein und länger wachzubleiben.
„Es hilft uuuuunglaublich bei meiner Tippgeschwindigkeit. OMG! Ich bin so schnell so schnell so schnell so schnell so schnell so schnell so schnell so schnell”, schreibt ein Konsument auf einer Facebook-Seite zu der Droge. „Mein Gehirn ist auf Ninja-Level”, schreibt ein anderer.
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Modafinil wurde von der amerikanischen FDA als Mittel gegen Narkolepsie zugelassen und wird in den USA unter dem Markennamen Provigil verkauft—in Österreich und der Schweiz unter dem Handelsnamen Modasomil. Einige Menschen verwenden das Medikament aber auch off-Label und ohne Verschreibung vom Arzt—also illegal—in der Hoffnung, ihre geistigen Fähigkeiten zu verbessern.
Eine kritische Betrachtung von 24 Studien, die älteste von 1990, hat das Mittel im August in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, da die Forscher zu dem Ergebnis gekommen waren, dass das Medikament in der Tat die kognitiven Fähigkeiten verbessert. Den Wissenschaftlern zufolge sind die Ergebnisse aber wesentlich nuancierter, als es die momentan kursierenden Überschriften vermuten lassen.
Modafinil wird des Öfteren mit Adderall und Ritalin verglichen—Letztere sind in den USA zugelassene Amphetamine, die in erster Linie zur Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizitstörungen (ADHS) und einigen Schlafstörungen eingesetzt werden. Alle drei Medikamente erfreuen sich aber auch unter gesunden Menschen enormer Beliebtheit, die sie nehmen, um für Prüfungen zu lernen oder an wichtigen Projekten zu arbeiten.
Trotz umfangreicher Forschungen ist weiterhin unklar, wie genau Modafinil im Gehirn wirkt. Es wird zwar als Stimulanz wie Adderall und Ritalin gesehen, aber anstatt Dopamin und Noradrenalin auszuschütten—biochemische Botenstoffe, die stimulierend auf das Nervensystem wirken—, vermutet man, dass Modafinil einen anderen Botenstoff namens γ-Aminobuttersäure vermindert, der das Gehirn normalerweise abbremst. Amy Potts, eine Pharmazeutin am Monroe Carell Jr. Children’s Hospital in Vanderbilt, sagte gegenüber VICE News, dass dieser „Doppel-Negativ-Effekt” dazu führt, dass Modafinil als Stimulanz funktioniert, obwohl es anders wirkt als klassische Stimulanzien.
Im Gegensatz zu Adderall und Ritalin verursacht Modafinil keine Euphorie. Die Drogenvollzugsbehörde der USA (DEA) geht deswegen auch davon aus, dass das Mittel kein hohes Sucht- und Missbrauchspotenzial aufweist und hat es als Schedule IV Substanz kategorisiert. Nichtsdestotrotz sprach VICE News mit diversen Moda-Konsumenten, die sich die Droge illegal für nicht-medizinische Zwecke besorgen.
„Dein Konzentrationslevel bei Prüfungen geht durch die Decke.”
Ein 33-jähriger College-Student namens Quinn, der nur mit seinem Vornamen genannt werden wollte, sagte gegenüber VICE News, dass er Modafinil zum ersten Mal im letzten Semester probiert hätte, nachdem ein Freund ihm die Pillen mit der Bemerkung zugeschickt hatte, dass er sich damit wie Bradley Cooper in dem Film Ohne Limit fühlen würde. In Ohne Limit spielt Cooper einen Mann mit Schreibblockade, der sich eine fiktionale, intelligenzsteigernde Pille einwirft, mit der es schafft, sein Buch fertig zu schreiben, mehrere Sprachen flüssig zu sprechen und an der Börse reich zu werden.
„Ich habe nur eine halbe Tablette probiert und es hat funktioniert”, berichtete Quinn. „Ich hatte mehr Energie. Ich konnte besser sehen. Meine kognitiven Fähigkeiten waren besser. Dinge ergaben mehr Sinn.”
Er sagte, dass er Modafinil nicht täglich nehmen würde und auch nie das Bedürfnis gehabt hätte, es zu anderen Zwecken zu nehmen. Dafür verbesserte sich sein Durchschnitt aber um eine ganze Note. Im Gegensatz zu Ritalin und Adderall, die bei ihm Herzklopfen verursachten, hat er bei Modafinil keinerlei Herzsymptome wahrnehmen können. Seine einzige Beschwerde war, dass er durch das Medikament manchmal nicht einschlafen konnte—eine nicht gerade ungewöhnliche Nebenwirkung eines Medikaments gegen Narkolepsie.
Laut eines aktuellen Berichts der staatlichen Abteilung für Substanzmissbrauch und geistige Gesundheit der Gesundheitsbehörde beginnen etwa 137.000 Studenten in den USA jedes Jahr damit, verschreibungspflichtige Stimulanzien zu missbrauchen. Der Bericht, der auf einer alljährlichen Umfrage mit 67.500 Teilnehmern basiert, zählt zwar keine bestimmten Stimulanzien auf, zeigt aber, dass der Konsum im November, Dezember und April seinen Höhepunkt erreicht—das sind alles Schlüsseltermine im akademischen Kalender. Eine kleinere, weniger wissenschaftliche Umfrage, die in der britischen Zeitung The Tab erschienen war, schätzt, dass jeder fünfte britische Student schon mal auf Modafinil zurückgegriffen hat. In Deutschland hat 2013 laut einer Studie ebenfalls jeder fünfte Student leistungssteigernde Mittel, jedoch nicht nur Modafinil, genommen.
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„Dein Konzentrationslevel bei Prüfungen geht durch die Decke”, schrieb jemand in einem Reddit-Thread zu Modafinil. „[Es ist] großartig. Es gibt aber auch einen Haken. Wenn du den Stoff nicht kennst, wirst du wahrscheinlich [zu] viel Zeit damit verbringen, eine Frage zu beantworten.”
Laut einem Administrator einer Modafinil-Facebook-Gruppe, der ebenfalls nur mit seinem Vornamen Mike genannt werden wollte, sind 80 oder 90 Prozent der Modafinil-Nutzer, die er kennt, Männer—die Altersspanne würde dabei von Anfang 20 bis Mitte 50 reichen.
„Das ist vielleicht so, weil Männer mehr darauf aus sind, sich Vorteile zu verschaffen”, schlug er während des Telefoninterviews als Erklärung vor. „Sie sind generell eher dazu bereit, Risiken einzugehen. Das wäre jedenfalls meine Erklärung.”
Mike sagte, dass ihm auch ein paar Frauen über den Weg gelaufen seien, die Modafinil nehmen. Er meinte, dass diese tendenziell „sehr aufstiegsorientierte Menschen” seien—„Unternehmerinnen oder Geschäftsfrauen.” Das stimmt mit anderen anekdotischen Berichten über das Medikament überein. Das Men’s Jounal schrieb schon 2008 darüber, dass das Mittel als Wachmacher „bei Piloten der Air Force, bei Ärzten in Notaufnahmen und in Unternehmern im Silicon Valley sehr beliebt [sei].”
Ruairidh Battleday und Anna-Katharine Brem, zwei Wissenschaftler in Oxford, sichteten 24 Studien, die zwischen 1990 und Dezember 2014 erschienen waren, um zu schauen, ob Modafinil die kognitiven Fähigkeiten bei gesunden Individuen wirklich verbessert. Sie fanden tatsächlich heraus, dass es das tat, und widerlegten damit eine ältere Untersuchung, die zu dem Schluss gekommen war, dass die Menschen nicht besser darin waren, einfache Aufgaben unter dem Einfluss von Modafinil zu lösen als ohne. Battleday und Brem sagten gegenüber VICE News, dass die Aufgaben bei der Untersuchung zu einfach gewesen waren—wenn Nutzer jedoch dazu aufgefordert wurden, auf visuelle und auditive Reize zu reagieren, entpuppte sich Modafinil als wirksam.
Trotzdem möchten die Forscher ihre Untersuchung nicht als Empfehlung für den Gebrauch der kleinen weißen Pille verstanden wissen. „Dieses Review soll keine Werbung für die Verwendung von Drogen zur Leistungssteigerung darstellen”, so Brem.
Die Studie sollte stattdessen die Aufmerksamkeit auf das Thema „Neuroenhancer” lenken—leistungssteigernde Mittel für das Gehirn wie eben Adderall, Ritalin und Modafinil—sowie auf die ethischen Fragen, die damit einhergehen, und die Methoden, die angewandt werden, um sie zu studieren.
„Ich würde davon abraten, Drogen zu nehmen, um die kognitiven Fähigkeiten zu steigern oder zu verbessern”, sagte Brem weiter und fügte hinzu, dass diese Mittel vielleicht sogar einen negativen Effekt auf das Erinnerungsvermögen haben könnten, da die Konsumenten dadurch weniger schlafen. „Wenn du genug schläfst, gesund lebst, vernünftig isst, genug Bewegung bekommst, ein bisschen Sport machst, dann hat das wahrscheinlich bessere Auswirkungen auf deine Leistung, als eine Pille zu schlucken.”
Battleday und Brem konnten außerdem keine regelmäßigen Nebenwirkungen ausmachen, aber gaben zu bedenken, dass die Menschen in den Studien in der Regel nur eine Dosis Modafinil zu sich genommen hatten. Es ist noch unklar, was passiert, wenn man das Mittel regelmäßig über eine Woche, ein Jahr oder einen noch längeren Zeitraum hinweg einnimmt.
Zu den Nebenwirkungen gehören laut der US National Library of Medicine in den häufigsten Fällen ein brennendes Gefühl auf der Haut, Probleme beim Einschlafen und Probleme mit dem Verdauungstrakt. Zu den selteneren aber ernsteren Nebenwirkungen gehören ein Schmerzgefühl in der Brust, Herzrasen, Depressionen und Gedanken an Selbstverletzung und Suizid. Brem sagte außerdem, dass im Zusammenhang mit dem Medikament auch schon von einer seltenen allergische Reaktion namens Stevens-Johnson-Syndrom berichtet worden war.
Die Forscherin hofft, dass Modafinil eines Tages an gesunden Menschen in einem „lebensnahen” Setting getestet wird. Sie will herausfinden, ob sich der Körper letztendlich auf das Modafinil einstellt und dementsprechend immer mehr braucht, um den gleichen Effekt zu erzielen.
„Es zu finden, ist nicht schwer. Eine Quelle mit guter Qualität zu finden, ist viel schwieriger.”
„Das Design solcher lebensnahen Experimente ist sehr schwierig und momentan fehlen uns die Möglichkeiten dazu”, sagte Brem.
In der Zwischenzeit schreiben die Menschen munter in den Facebook-Gruppen und Reddit-Threads über Modafinil—geben sich Tipps, wo man es bekommt, wie viel man nehmen sollte und was davon zu erwarten ist.
Mike, der Admin der Facebook-Gruppe, sagte, dass er vor Kurzem ein Buch geschrieben hat—fast wie Coopers Rolle in Ohne Limit—und dass er ein- oder zweimal die Woche Modafinil nimmt.
Er sagte, dass die Modafinil-Community auf Facebook ein toller Ort sei, um Fragen zu stellen und diese von erfahrenen Menschen beantwortet zu bekommen. Er würde den anderen Mitgliedern davon abraten, Modafinil später als 9 Uhr morgens zu nehmen—sonst würden sie am Abend Probleme beim Einschlafen bekommen. Und er warnte, dass es wichtig sei, daran zu denken, Wasser zu trinken und alle 30 oder 45 Minuten eine Pause einzulegen, was manchmal gar nicht so leicht ist, weil das Modafinil dazu führt, dass man sich extrem in Aufgaben vertieft.
Die Leute würden oft fragen, wo man die Pillen kaufen kann, erzählte er und erklärte, dass es die billigsten in Asien und Indien geben würde, wo sie zwischen 1 und 5 US-Dollar pro Stück kosten. In den USA kosten Modafinil-Pillen 20 US-Dollar das Stück und auch sie kommen ohne Gewährleistung. Es gibt anscheinend auch einige Betrüger da draußen.
„Es zu finden, ist nicht schwer”, sagte er. „Eine Quelle mit guter Qualität zu finden, ist viel schwieriger.”
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Das FBI rät natürlich von jeder Online-Apotheke ab, die kein Rezept und medizinische Vorgeschichte einfordern würde—die Medikamente könnten verfälscht, verunreinigt, nachgemacht, abgelaufen oder falsch etikettiert sein.
„Halten Sie sich von illegalen Internet-Apotheken fern—selbst wenn die Preise verlockend sind”, heißt es auf der Webseite des FBI. „Es geht immerhin um ihre Gesundheit.”
Mike, der sein Modafinil im Internet kauft, beschreibt die Wirkung des Medikaments wie einen natürlichen Zustand „totaler Konzentration”, aber „besser” und ohne das Flattern, die nervöse Unruhe oder die harte Landung, die bei anderen Mitteln oder Koffein auftreten können. Laut eigener Aussage kann er sich damit für etwa fünf volle Stunden am Stück konzentrieren, ohne das Verlangen zu bekommen, seine Facebook-Seite zu checken oder sich anderweitig abzulenken.
„Ich kann mit Nachdruck sagen, dass die Pillen off-Label sehr gut zur Steigerung der Konzentration funktionieren”, so Mike.
Auf die Frage, ob er eventuell nur einen Placebo-Effekt verspürt, antwortete Mike: „Wenn ich ehrlich bin, ist das gar nicht so unwahrscheinlich”—nur um dann hinzuzufügen, dass das ja auch für viele andere Medikamente gelten würde.
„Ich weiß nur, dass es funktioniert. Das ist alles, was für mich zählt.”