Dein Chef hat dir nicht geglaubt, als du wegen eines "Haustiernotfalls" zu spät zur Arbeit gekommen bist. Deine Eltern waren misstrauisch, als du angeblich keine Ahnung hattest, woher die Kratzer im Autolack kommen. Und deine Freunde wissen genau, dass du lügst, wenn dich "die Arbeit" mal wieder ein Konzert ihrer Band verpassen lässt.Vielleicht bist du einfach nur ein schlechter Lügner. OK, im Grunde gibt es so etwas wie einen guten Lügner gar nicht. Kompetente aber definitiv. Und in manchen Momenten kann eine Lüge—oder zumindest die Halbwahrheit—eine Menge Leid ersparen. Zum Beispiel wenn eine Domina ihre Arbeit vor ihrer Familie geheimhält. Und manchmal kann eine Lüge auch dem Wohl der Allgemeinheit dienen. Ein Undercover-Polizist nimmt beispielsweise eine falsche Identität an, um pädophile Sexualverbrecher zu schnappen. Mal ganz abgesehen vom moralischen Aspekt des Lügens flunkert doch so ziemlich jeder Mensch irgendwann mal. Manche sind in der Kunst der Täuschung halt einfach nur viel erfahrener als andere.
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Um zu lernen, wie man richtig lügt, haben wir mit einer Domina, einem Graffiti-Sprayer und einem Undercover-Polizisten gesprochen. Folgendes haben sie uns erzählt.
Domina
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Es ist wichtig zu wissen, wie man solche verschiedenen Persönlichkeiten und Auftritte zu seinem Vorteil einsetzen kann. Man muss sich immer an die jeweilige Situation anpassen können. Die Einstellung ist der Schlüssel. Ich habe zum Beispiel ganz oft vorm Spiegel geübt und mir so abgewöhnt, mit den Augen zu zucken oder meine Hände komisch zu bewegen.Um ein guter Lügner zu werden, muss man außerdem an das glauben, was man da von sich gibt, und sich voll und ganz auf das eigentliche Ziel fokussieren. Sobald man auch nur einen Moment zögert oder auch nur einen Gedanken daran verschwendet, dass das Ganze nicht klappen könnte, bröckelt die Fassade.Wenn man sich jedoch zu sehr an das Lügen gewöhnt, kann das ebenfalls zum Problem werden. Ich lüge ja aus praktischen Gründen. Wenn man das Ganze jedoch missbraucht, kann es sich zu einer richtigen Sucht entwickeln—ähnlich wie beim Alkohol.
Graffiti-Sprayer
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Man hat mich schon oft beim Klauen erwischt. Ich konnte mich jedoch immer rausreden, indem ich auf total nett und einsichtig gemacht habe—so nach dem Motto: "Bitte, es tut mir wirklich leid. Ich lasse mich hier auch nie wieder blicken!" Ganz ehrlich, wenn einen irgendwelche Behörden zusammenstauchen, dann sitzt niemand einfach nur da und meint: "Ja, ich war's. Sperrt mich ein!" Man muss eben lernen, wann sich ein Kampf lohnt und wie man sich in einer solchen Situation unter Kontrolle hat—immerhin hat man sich ja selbst in diese Lage gebracht.Bei der eigenen Familie und dem Freundeskreis ist das Ganze schon schwieriger. Da beißt man mit übertriebenen Geschichten und Lügen nämlich ganz schnell auf Granit. "Wo warst du? Warst du wieder mit deinen Kumpels unterwegs? Was hast du dort gemacht? Und was hat da so lange gedauert?" Manchmal musste ich dann auch schon mit der Wahrheit rausrücken—oder zumindest mit einem Teil der Wahrheit.Selbstbewusste Menschen erzählen die besten Lügen, denn Selbstbewusstsein ist der Schlüssel dazu, ein guter Lügner zu werden. Augenkontakt und Körpersprache sind die Dinge, die man beherrschen muss, wenn man die Wahrheit überzeugend verdrehen will. Das Sprayen hilft mir persönlich dabei, mehr Selbstbewusstsein aufzubauen. Man ist dabei draußen unterwegs, legt viel Kreativität an den Tag, zieht sein Ding ordentlich durch und wacht dann morgens trotzdem im eigenen Bett auf und trinkt Kaffee. Dabei wird man automatisch ganz selbstbewusst.
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Undercover-Polizist
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Wenn man sich als jemand ausgibt, der man eigentlich gar nicht ist, dann sind die ersten zwei Minuten entscheidend. In diesem Zeitfenster muss man mittels Einfühlungsvermögen eine Beziehung zum Gegenüber aufbauen und dabei betonen, wer der gemeinsame Feind und was die gemeinsame Angst ist. Und natürlich muss man auch genau wissen, wovon man da eigentlich redet. In meinem Fall war das alles, was mit Drogen zu tun hat—von der Herstellung bis hin zu den Preisen von großen Kokain- und Streckmittel-Mengen.Ein paar Mal drohte meine Identität auch fast aufzufliegen. Mit solchen Situationen umgehen zu können, ist ebenfalls ein wichtiger Aspekt des Lügens. Irgendwann passiert sowas nämlich immer. Eine wirkliche Faustregel gibt es da jedoch nicht. Bei mir kam es einfach immer darauf an, wen ich angelogen habe. Man muss sich anpassen und seinen Gegenüber genau lesen können.Wenn man durch seine Lügen am Leben bleibt, dann wird man automatisch zu einem guten Lügner. Intelligenz und ein gutes Gedächtnis spielen bei dieser Kunst ebenfalls eine wichtige Rolle. Es darf allerdings auch nicht den Anschein haben, als ob man sich an jedes kleinste Detail erinnern könnte. Nein, man braucht das gute Gedächtnis vor allem in Bezug auf die Selbstkenntnis. Man muss nämlich immer wissen, wie man in einer bestimmten Situation reagieren würde und was man bei seinem sozialen Umfeld alles beobachtet hat.Auch beim Lügen gilt: Übung macht den Meister. Und je näher man an der Wahrheit bleibt, desto besser. Wenn eine Lüge im Kontext der ganzen Geschichte relativ klein erscheint, dann geht sie einem auch leichter über die Lippen.Ein guter Lügner zu sein, kann jedoch auch schnell zur Sucht werden. Moralisch gesehen muss man sich dessen bewusst sein. Und Spaß machen kann das Ganze natürlich auch. Am Ende meiner Undercover-Karriere gefiel es mir sogar richtig gut, quasi ständig zu lügen. Mit einer Lüge durchzukommen, stellt manchmal schon eine schöne mentale Herausforderung dar.Das Buch Good Cop, Bad War von Neil Woods in Zusammenarbeit mit JS Rafaeli erscheint am 18. August.