Julie Watai versammelt in ihrer Fotografie den ganzen Sex-Appeal von Japans Popkultur

Julie Watais fotografische Werke, mit ihren lebhaften Farben, kitschigen Kompositionen, „Kawaii“-Mädchen und Superflat-Grafiken, repräsentieren viele Charakteristika der zeitgenössischen japanischen Pop-Kultur. Wie bei Murakami, Mr., Kyary Pyamyu Pyamyu und anderen haben ihre Arbeiten rund um den Globus Aufsehen erregt – ihre erste Fotokollektion, Samurai Girl, wurde 2006 von dem italienischen Herausgeber Drago veröffentlicht und verkaufte sich weltweit über eine Million Mal–aber was macht die Faszination ihrer Kunstwerke aus?

Leute, die Watai als Künstlerin gerade erst neu entdeckt haben, fragen sich oftmals, ob ihre Werke aufgrund ihrer grafischen Natur und scheinbaren Ausblendung der Realität überhaupt als Fotografie betrachtet werden sollten. Watai modifiziert die reale Welt, wie es ihr beliebt, und ihre extremen Bildbearbeitungstechniken verwischen die Grenzen zwischen 2D und 3D. Digitale Bildmanipulation ist heutzutage Standard in der Fotografie, doch Watei hat ganz eigene Gründe, warum sie dieses Stilmittel einsetzt:

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Glitch Fantasy

“Ich ziehe für mich eine Befriedigung daraus, Dinge, die ich mag oder die meine Fantasie anregen, auf Fotos festzuhalten. Durch das Fotografieren dieser Dinge gehören sie irgendwie mir. Ich mache das, weil ich irgendwann einfachen keinen Platz mehr hätte, würde ich weiterhin reale Gegenstände sammeln. Es ist ähnlich wie mit der Schönheit. Wenn du ein hübsches Mädchen fotografierst, dann hältst du diese Schönheit für immer fest, selbst wenn sie eines Tages vergangen sein sollte.“

In der neuen Dokumentation von The Creators Project (siehe oben) wird ziemlich schnell klar, dass Watai von ihrem starken Verlangen angetrieben wird, einen Augenblick in der realen Welt mit eigenen Händen zu erschaffen – und diesen Moment für die Ewigkeit festzuhalten. Aber sie will noch mehr.

 Hinami-chan, 2013

Hinami-chan, 2013  

Seit Jahrhunderten beschäftigt sich die Menschheit mit ihrer Beziehung zu Maschinen, vom Klassiker Frankenstein oder Der Moderne Prometheus, über das Manga Ghost in The Shell bis hin zur daraus resultierenden Erschaffung moderner, humanoider Roboter, sogenannter Androiden. Wenn man darüber nachdenkt, wie unvorhersehbar die zukünftige Entwicklung ist, kann es durchaus sein, dass man zwischen Angst und Wissbegierde hin und her gerissen ist. Im Fall von Watei scheint die Neugier auf diese unbekannte Welt zu überwiegen. Vielleicht, weil die Künstlerin in einer Umgebung aufwuchs, in der sie von Trickfilmen wie Akira von Katsuhiro Otomo, Videospielen wie Dragon Quest und Science-Fiction-Romanen wie Neuromancer und Snow Crash umgeben war. Vielleicht liegt es auch einfach in ihrer Natur..

Robotics Girl, 2012

Als Watai einmal gefragt wurde, warum sie sich ständig selbst porträtiere, antwortete sie: “Ich glaube nicht, dass mein Körper zu mir gehört. Er ist nur Material für meine Arbeiten.“ Mit den Selbstporträts im „Cute girl“-Style, die ihren Körper als Gadget inszenieren, verfolgt sie aber noch ein weiteres Ziel, das über normalen Narzissmus hinausgeht: „Es beunruhigt mich, dass ich meine kindlichen Züge wahrscheinlich durch das Altern verlieren werde. Es ist mir klar, dass ich nicht ewig jung bleiben kann, aber das ist der Grund, warum ich eine Menge Selbstporträts von mir mache. Ich werde mich weiterhin fotografieren und die Bilder auf meinem Computer speichern, so kann ich bis zu meinem Tod mit ihnen experimentieren.“

Die Otaka-Bewegung, deren Wurzeln im Anime- und Manga-Fankult liegen, gründet sich auf den Kreislauf von Konsum, Kopieren und Produktion, auf den jegliche Arten von Wünschen zurückgeführt werden können. Watei fing an, die Manga-Charaktere zu kopieren, um Parodien von ihnen herzustellen. Das Ergebnis sind nicht einfach nur Duplikate, sondern Reproduktionen des ursprünglichen Bildes. So verzerrt und grotesk – und dabei begehrlich – diese Kunstwerke auch wirken mögen, Watai kreiert weiter ihre eigene Welt als Teil des fortlaufenden Zyklus der japanischen Pop-Kultur. 

Love Valley, 2014  

Love Valley, 2014  

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