Es ist kein Geheimnis: Ich bin ein Stoner mit einer Leidenschaft für nachhaltiges Gras. Deswegen bin ich in den letzten Jahren durch die Teile der Welt gereist, in denen Cannabis seinen Ursprung hat. Nach Indien, Nepal und Pakistan stand Afghanistan mit seiner einzigartigen Cannabis-Kultur als nächstes auf meiner Liste.
Die Landschaft Afghanistans ist geprägt von Gebirgen, es gibt keinen Zugang zum Meer. Weil viele wichtige Handelsrouten zwischen Zentralasien und dem indischen Subkontinent durch Afghanistan führten, haben im Laufe der Jahrhunderte schon viele Imperien versucht, das Land zu erobern. Die unerbittliche Landschaft sowie die harschen klimatischen Bedingungen haben solche Eroberungsversuche jedoch immer vereitelt.
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Im Jahr 1979 besetzte die Sowjetunion Afghanistan, eine kommunistische Regierung kam an die Macht, die bei der Bevölkerung auf wenig Gegenliebe stieß. Die sowjetischen Truppen mussten außerdem gegen die Mudschaheddin kämpfen, islamistische Guerrilla-Kämpfer, die von den USA unterstützt wurden. Die in sich zusammenbrechende Sowjetunion zog sich 1989 schließlich aus Afghanistan zurück, der Bürgerkrieg war damit aber noch lange nicht vorbei. 1996 übernahmen die Taliban die Kontrolle über Afghanistan, 2001 wurden sie durch die US-Militärinvasion wieder abgesetzt. Seit 2017 gewinnen die Taliban allerdings wieder mehr und mehr afghanische Gebiete zurück, die Terrorgruppe gilt als stärker denn je.
Unterm Strich haben diese Jahrzehnte des Konflikts jegliche wirtschaftliche Entwicklung in Afghanistan verhindert und das Land quasi vom Rest der Welt abgeschnitten. Währenddessen boomt die Cannabis-Industrie weltweit, investiert wird wegen des Profits vor allem in Hybrid-Grassorten mit maximalem psychotropischen Effekt. Aus diesem Grund stammt ein Großteil des weltweit angebauten Cannabis von den gleichen hochgradig THC-haltigen Sorten.
Afghanistans Jahrzehnte der Isolation haben die einheimischen Cannabis-Sorten vor den modernen Hybriden geschützt und so einen Hotspot der biologischen Vielfalt für Cannabis geschaffen. Genau deswegen wollte ich diese seltenen natürlichen Cannabis-Sorten dokumentieren, bevor es sie nicht mehr gibt. 2018 hatte ich einen Termin in der afghanischen Botschaft, wo man mich davor warnte, wie gefährlich das Land sei, und mir den Tipp gab, mein Hotel dort am besten nicht zu verlassen.
Nachdem ich einen Monat lang per Anhalter durch Usbekistan gereist war, kam ich über die sogenannte Brücke der Freundschaft endlich nach Afghanistan. Über diese Brücke, die den Fluss Amudarja überspannt, haben die sowjetischen Truppen am 15. Februar 1989 nach einem Jahrzehnt des Kriegs Afghanistan verlassen.
Mein Ziel war Masar-e Scharif: Die viertgrößte Stadt Afghanistans liegt in einer der fruchtbarsten Regionen des Landes. Dort baut man unter anderem Baumwolle, Getreide und verschiedenes Obst an – und auf etlichen Feldern Cannabis.
In Masar-e Scharif fielen mir ein paar kleinere Cannabis-Pflanzen auf, die bei den Leuten zu Hause wuchsen und wahrscheinlich für den persönlichen Gebrauch gedacht waren. Aber je weiter wir uns vom Stadtzentrum entfernten, desto auffälliger wurden die Cannabis-Pflanzen zwischen den Baumwollfeldern. Schließlich nahmen die Pflanzen ganze Landstriche ein.
Obwohl es dort schon seit Jahrhunderten angebaut wird, ist Cannabis in Afghanistan seit den 1970er Jahren illegal. Deshalb wusste ich auch, dass ich mich zu meiner eigenen Sicherheit sofort mit den örtlichen Marihuana-Farmern gut stellen musste. Tagsüber ist Masar-e Scharif eine pulsierende, einladende Stadt, aber nachts ist es dort gefährlich genug, dass die Leute nicht mehr auf die Straße gehen. Zuerst waren die Farmer mir gegenüber misstrauisch, aber als ihnen klar wurde, dass ich nur Fotos von ihrer Arbeit machen wollte, ließen sie mich genauer zusehen.
Was mich sofort beeindruckte, war, wie viele verschiedenen Cannabis-Pflanzen man in einem Feld vorfand – egal ob groß oder klein, mit dünnen oder breiten Blättern, grün, blau oder lila, mit Blüten voller Samen oder mit einer glänzenden Schicht Harz. Einige Pflanzen rochen nach Beeren, andere nach Katzenpisse. Die offensichtliche Biodiversität wird durch den traditionellen Ansatz der Bauern erhalten: Anstatt beim Anbau auf neue Samen zu setzen, säen sie lieber einen Teil der Samen vom Vorjahr aus, die aus bestäubten Blüten stammen.
In Afghanistan liegt die Erntezeit zwischen Oktober und Dezember. Danach werden die Pflanzen getrocknet und weiterverarbeitet. Die Afghanen rauchen kaum Cannabis-Blüten, stattdessen stellen sie Haschisch her. Bei dieser traditionellen Vorgehensweise wird das Cannabis-Harz herausgefiltert und konzentriert. Seinen Ursprung soll dieser Vorgang im Mittelalter und irgendwo zwischen dem Nordiran und dem Norden Afghanistans haben.
Die aktiven Bestandteile von Cannabis – THC und CBD – werden von Trichomen produziert, also kleinen Harzdrüsen auf der Oberfläche der Cannabis-Blätter. Bei der Haschisch-Produktion wird das körnige Harz von den Blätter getrennt und mehrmals gesiebt. Anschließend presst und erwärmt man es, damit es seine Öle freisetzt. Afghanisches Haschisch hat normalerweise eine dunkle Oberfläche und ist innen heller.
In der Region rund um Masar-e Scharif wird gerne Haschisch geraucht, wenn man sich mit Freunden und Familie trifft. Dabei wird eine alte Rauchtechnik namens “Naysha” angewendet: Eine Kugel Haschisch wird in einen Haufen glühende Kohlen gegeben, danach saugt man den Rauch durch einen Strohhalm in den mit Wasser gefüllten Mund. Das Ganze ist ziemlich effektiv, der Mund wird so quasi zur Bong.
Afghanen benutzen auch Shillums, also in der Hand gehaltenen Wasserpfeifen aus Holz. Viele Cannabis-Farmer haben bei sich zu Hause ein kleines Schillum-Zimmer, wo sie Gäste empfangen. In den Städten gibt es Schillum-Bars, wo sich die Rauchenden treffen und beim Haschisch-Konsum grünen Tee trinken. Ich persönlich habe mit den Haschisch-Konsumenten in Masar-e Scharif nur positive Erfahrungen gemacht, sie haben sich alle über einen Touristen in ihrer Runde gefreut. Die Stimmung war immer total entspannt, beim Kreisen der Pfeifen wurde stets viel geredet und gelacht.
Natürlich raucht man in Afghanistan auch Joints. Ab und an konnte ich beobachten, wie Leute pures Haschisch in ihre leeren Zigarettenhülsen stopften. Manche befeuchteten ihre Joints auch vor dem Anzünden, denn dann setzt das Haschisch leichter seine Öle frei und verbrennt langsamer. So kann ein Joint rund 20 Minuten lang zwischen zehn Leuten herumgereicht werden, ohne auszugehen.
Meine Beobachtungen legen nahe, dass sich die Cannabis-Kultur in Afghanistan über Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat. Nach Jahrzehnten des Konflikts liegt die Wirtschaft des Landes in Trümmern und ist vor allem auf den Anbau einer anderen, gefährlicheren Pflanze angewiesen: Mohnblumen für Opium. Die Profite der Mohnfelder gehören zu den Haupteinnahmequellen der Taliban, obwohl die USA schon lange versuchen, der Opiumproduktion in Afghanistan ein Ende zu setzen.
Es ist vor allem eine Sache, dir mir von meiner Reise durch Afghanistan bis heute im Gedächtnis geblieben ist: der Kontrast zwischen dem konservativen Alltag und der lange zurückreichenden Cannabis-Kultur des Landes.
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