Popkultur

#FreeBritney zeigt das ganze Ausmaß von Britney Spears’ tragischem Leben

Britney Spears singt bei einem Konzert. Die Dokumentation Framing Britney Spears erzählt ihr Leben nach und geht der Frage nach, ob die Vormundschaft ihres Vaters berechtigt ist

Wenn die altehrwürdige New York Times sich eines Themas annimmt, dann muss da doch was dran sein, oder? Am Freitag hat die Zeitung die Dokumentation Framing Britney Spears in den USA veröffentlicht. In Deutschland findet man die Doku mit etwas Glück bei YouTube oder bei Hulu. Sie zeigt den Aufstieg und Fall der Popsängerin, ihr Comeback und behandelt natürlich die Frage, wie gerechtfertigt es ist, dass Spears unter der Vormundschaft anderer Leute steht.

Muss man sich die Doku jetzt anschauen? Das kommt drauf an. Einerseits erfährt man wenig Neues. Andererseits ist das, was wir erfahren, hübsch aufbereitet, spannend erzählt und wird von beeindruckenden Leuten präsentiert. Viele New York Times-Redakteure kommen zu Wort, aber auch hochkarätige Wegbegleiter von Spears und Schlüsselfiguren ihres Lebens.

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Natürlich wissen wir noch, wie alles begann. Wer erinnert sich nicht an die erbitterten Streits im Kunstunterricht, ob man nun Team Britney oder Team Christina Aguilera ist? Trotzdem ist es schön, das alles noch mal zu sehen: die Auftritte einer wirklich noch winzig kleinen Britney Spears, die auf großen Bühnen schon ein gigantisches Stimmvolumen präsentiert, um sich danach von einem creepy Moderator die Frage stellen lassen zu müssen, ob sie denn schon einen Boyfriend habe. “Die sind alle gemein!”, sagt sie. Ob er nicht stattdessen in Frage käme? “Ich bin doch nicht gemein”, sagt er.

Eine Vorahnung

Diese kurze Szene deutet dann auch schon den Absturz der Britney Spears an. Wie eine dunkle Vorahnung erkennen wir, dass diese Reduktion auf ihr Geschlecht und später ihre Sexualität nicht gut gehen kann. Das Schlagwort Misogynie fällt im Laufe des Films, auch wenn hier noch viel mehr hätte erzählt werden können.

In einer der letzten Einstellungen des Films sitzt Spears in der Badewanne. Sie zeigt eine rote Rose. Sei die nicht schön? Dann hält sie die Blume ins Wasser, die Rose zerfällt. “It’s just soap”, sagt sie. “It’s not a flower at all.” Diese Rose ist natürlich die Metapher für Spears’ Karriere und das Bild, das wir von ihr hatten. Wie poetisch.

Denn Spears wurde schon früh sexualisiert. “Baby One More Time” bediente offensichtlich die Lüsternheit schmuddeliger Familienväter.

Die Texte, die knappen Outfits: Für Erwachsene symbolisierte Britney Spears Sex und für Kinder eine Art Empowerment. Im Film sagt ein homosexueller Mann, dass Britney ihm damals das Gefühl gegeben habe, der sein zu können, der er sein will. Und an anderer Stelle sagt ein Musikjournalist, dass Kinder in Spears eine Figur sahen, in der sie sich selbst wiedererkannten – und die sie dafür bewunderten, wie viel Kontrolle sie über sich hatte und wie selbstverständlich sie den Raum um sich beanspruchte.

Es begann mit einer Brustvergrößerung – oder?

Britney Spears schlug fast zur gleichen Zeit in den USA ein wie der Skandal um Bill Clinton und Monica Lewinsky. Das Land, heißt es, sprach plötzlich auf eine Weise über Sex wie nie zuvor. Nämlich reichlich explizit. Gleichzeitig begehrte und verteufelte es Lewinsky. Ähnlich sollte es auch Britney Spears ergehen.

Die Doku deutet an, dass alles mit der Diskussion um eine Brustvergrößerung begann. Plötzlich musste Spears in Talkshows übergriffige Fragen nach ihrem Körper weglächeln und versuchen, dabei Würde zu bewahren, ohne anstrengend zu wirken. Nahbarkeit war schließlich ein Schlüssel zu ihrem Erfolg.

Timberlake ist der Widerling

Ein weiterer Schlag war die Beziehung mit Justin Timberlake. Und das hat man womöglich so gar nicht mitbekommen oder schon wieder verdrängt. Denn der wird als schmieriger Widerling gezeigt. Nicht nur setzte er nach dem Ende der Beziehung das Gerücht in die Welt, dass Spears ihn betrogen habe – als ihr Image noch das des unbefleckten Blümchens war –, sondern er erzählte auch im Radio-Interview, dass er mit ihr “gefickt” habe. Ob man dieses “Kein-Sex-vor-der-Ehe”-Ding vorher geglaubt hatte oder nicht: Es war ein mieser Move und wird in der Doku auch als solcher bezeichnet. Es war eine männliche Rache-Fantasie, die Timberlake da ausgelebt hat.

Nun war Spears also in der öffentlichen Wahrnehmung nicht mehr das brave Schulmädchen, sondern die eiskalte Homewreckerin. Sie habe alle Mütter des Landes enttäuscht. In einem Interview von 2003 wurde sie damit konfrontiert, dass die Ehefrau irgendeines Provinz-Gouverneurs gesagt haben soll, dass sie sie erschießen würde. Da beginnt Spears zu weinen. Ihr Absturz hatte begonnen.

2004 dann die Ehe mit Kevin Federline, das erste Kind und die Explosion der Paparazzi-Industrie um ihre Person. Bis zu einer Million Dollar habe man für ein Foto bekommen, erzählt einer, der dabei war, sich aber als seriöser Filmemacher versteht und mit fadenscheinigen Erklärungen rechtfertigt, warum er den Menschen Britney Spears bis zum Äußersten getrieben hat. Zum Beispiel die Fotos, mit denen belegt werden sollte, was für eine schlechte Mutter sie sei, weil sie etwa mit Kind auf dem Schoß Auto fuhr.

Von Partygirls und Glatzen

Zwei Jahre später ließen sich Federline und Spears scheiden. Und nun beginnt die Phase, an die sich wohl die allermeisten noch sehr gut erinnern: Partynächte mit Paris Hilton und immer unvorteilhaftere Fotos. In einem Video kann man klar sehen, wie Spears sich durch unzählige Männerkörper mit schwarzen Gerätschaften vor dem Gesicht kämpft und dabei murmelt “I’m scared”.

Das alles kulminierte 2007 in einem Moment der Popgeschichte, den wohl niemand verpasst hat: die Glatze. Das sei der Moment gewesen, in dem Spears einfach hingeschmissen habe, als sie es nicht mehr aushalten konnte: die Paparazzi, den Kampf ums Sorgerecht, die Berichterstattung, heißt es in der Doku. Die Person, als die man sie einmal kannte, sei nicht mehr. Sie sei zerstört worden von all dem. So gesehen kann man die Glatze als Selbstermächtigung betrachten. Oder als letzten Akt der Verzweiflung.

Bald verlor sie das Sorgerecht für ihre Kinder, rastete wieder vor Kameras aus. Und durfte ihre Kinder erst mal gar nicht mehr sehen. Sie hatte sich zu Hause verbarrikadiert und wurde kurzzeitig in die Psychiatrie eingewiesen. Und hier beginnt dann der zweite Teil der Doku: die Frage um die Rechtmäßigkeit der Vormundschaft ihres Vaters Jamie über Britney Spears.

Was darf eine junge Frau dürfen?

Spears soll sich gegen das “conservatorship”, wie es im Englischen heißt, auch gar nicht so sehr gewehrt haben. Ihr sei nur wichtig gewesen, dass es nicht ihr Vater ist, der über sie bestimmen darf.

Bald durfte Spears immerhin ihre Kinder wieder sehen, ab 2009 ging es auch mit ihrer Karriere wieder vorwärts. Sie startete eine Tournee, trat im Fernsehen auf, hatte eine Show in Las Vegas, verdiente viel Geld und gewann Preise. Und das alles, obwohl sie seit Januar 2008 unter der Vormundschaft ihres Vaters und eines Anwalts steht. Ist das gerechtfertigt?

Die Doku findet keine endgültige Antwort. Aber sie zitiert viele Menschen, die meinen, eine gefunden zu haben. Britney-Advokaten, #FreeBritney-Aktivistinnen. Denn wie es ausschaut, wird Spears jenseits von ihren öffentlichen Auftritten hermetisch von der Außenwelt abgeriegelt. Kein Interview findet mehr ohne Überwachung der Familie statt. Und nur Instagram dient ihr als Fenster zur Wahrheit. Hier, meinen ihre Fans und fröhliche Verschwörungstheoretiker, verschicke sie heimlich Botschaften. Dass man sie retten solle. Dass sie sich die Freiheit wünsche. All so was. Und wenn man will, kann man in ihrem Feed durchaus Anzeichen dafür finden, dass das stimmt. Aber man kann auch Hinweise darauf finden, dass Echsen die Menschheit unterwandert haben und lange schon ihre Geschicke bestimmen – wenn man das unbedingt will.

Im Oktober 2018 kam dann ein handfester Hinweis darauf, dass das Conservatorship womöglich nicht ganz fair ist. Der Anwalt, der sich zuvor die Vormundschaft mit Jamie Spears teilte, sagte, dass es Britney Spears zunehmend besser gehe, schon weil sie so viel arbeite.

Der Rück- oder ein Befreiungsschlag?

Kurz darauf in Las Vegas: Spears soll ihre neue Show ankündigen, ein Riesending, Millionen Dollar schwer. Doch anstatt das einfach durchzuziehen und sich ans Skript zu halten, kündigte sie nichts an, ging von der Bühne direkt zurück in den Backstage. Ein Hilfeschrei? Auf jeden Fall kursierte das Gerücht, dass Spears sich zu arbeiten weigere, solange ihr Vater noch die Vormundschaft über sie besitzt.

Die Show sagte sie bald darauf ab, verwies auf den schlechten Gesundheitszustand ihres Vaters und tauchte unter. Monatelang gab es kein Lebenszeichen von Britney Spears. Neue Gerüchte: Wurde sie gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingewiesen? Der Hashtag #FreeBritney explodierte. Die Verschwörungstheorien nahmen zu. Es wurde sogar berichtet, dass Spears und ihr Vater sich endgültig zerstritten hätten. Kevin Federline verbot ihm den Kontakt zu den Kindern, weil er eins davon körperlich angegangen haben soll.

Im September 2019 gab Jamie Spears dann einen Teil der Vormundschaft auf. Seitdem kann er nur noch über Spears’ Geld bestimmen. Der offizielle Grund: die Gesundheit. Die Gründe, die die Doku angibt: Mysteriös. Doch Britney reichte das nicht, sie fordert, dass eine Bank ihr Vermögen verwaltet. Das klappte halb, im Sommer 2020 urteilte ein Gericht, dass die Bank die Verwaltung zusammen mit Jamie Spears übernehmen kann. Der, heißt es, wolle die ganzen Streitereien geheim halten, als Familienangelegenheit behandeln.

Britney aber setzte auf den Support der Straße. Sie erkannte die Bemühungen der Fans an, die zu ihr hielten, und verschaffte der ganzen Bewegung neuen Auftrieb. Bis zum Ende wird nicht klar, wie ernst die Leute das alles meinen und ob das Ganze auf mehr basiert als einem Witz.

Am Ende zeigt die Doku Spears als Menschen, der weiß, was er will. Als eine Frau, der übel mitgespielt wurde und die nicht die volle Verantwortung für die schlimmen Dinge trägt, die ihr widerfahren sind. Ob ihr auch juristisch Unrecht geschehen ist, kann der Film nicht beantworten, dafür fehlen die Beweise und die Einsicht in Unterlagen.

Die Doku endet mit einer Texttafel. Die New York Times habe versucht, Britney Spears persönlich zu interviewen und zu alldem zu befragen. Es sei unklar, ob sie die Anfragen je erhalten hat. Man ahnt also schon, auf wessen Seite die Zeitung steht.

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