Die beiden größten Straßengangs in San Salvador sind Mara Salvatrucha (MS-13) und Barrio 18 (M18). Beide wurden in den 80ern in Los Angeles von einer Gruppe armer, zumeist illegaler Immigranten gegründet. Ursprünglich bestanden die Mitglieder nahezu ausschließlich aus Leuten, die vor dem Bürgerkrieg in El Salvador geflüchtet waren. Als man viele dieser Bandenmitglieder nach Kriegsende auswies, exportierte man damit auch eine rücksichtslose Gangkultur.
Fast 20 Jahre lang haben die Gangs sich seither untereinander auf brutalstmögliche Weise gegenseitig abgeschlachtet und sich in der Zwischenzeit in ganz Lateinamerika ausgebreitet. 2011 erreichte die Mordrate in El Salvador mit 15 Tötungsdelikten pro Tag ihren Höhepunkt. Letztes Jahr wurde mit der Unterstützung von Vertretern der katholischen Kirche und der Regierung ein Waffenstillstand zwischen MS-13 und M18 ausgehandelt. Ziel des Deals war es, der eskalierenden Zahl von Schießereien und Todesfällen Einhalt zu gebieten, indem man sich auf die jüngeren Gangmitglieder konzentrierte, und einen Teil der Waffen von der Straße holte. Die Bandenführer fanden die Zeit wäre reif, um Gespräche zu führen und die Gewalt zu beenden. Nach der Unterzeichnung des Abkommens, das in den Medien für große Aufmerksamkeit gesorgt hatte, waren die Folgen nahezu sofort spürbar und die Mordrate sank in 15 Monaten um 52 Prozent. Im Juli dieses Jahres kam es jedoch erneut zu einem Überkochen der Spannungen, und als in einer einzigen Woche 103 Morde begangen wurden, erinnerte das viele Salvadorianer daran, dass sich manche Dinge vielleicht nie ändern werden.
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Kurz vor diesem Ausbruch der Gewalt begab ich mich in einen rauen Vorort 20 Meilen außerhalb von San Salvador, um dort einige Zeit mit dem örtlichen Polizeichef und den Einheiten zu verbringen, die für die Kontrolle dieser ganz besonders problematischen Gegend zuständig sind. Hier leben und „arbeiten” die Mitglieder von M18 und MS-13. Den Namen des Polizeichefs bzw. seine Zuständigkeit möchte ich nicht verraten, denn ich befürchte, seine Offenheit und die Zugangsmöglichkeiten, die er mir gewährte, könnten zu Repressalien führen. Er widmete mir großzügig seine Zeit und brachte mir eine Menge über Polizeiarbeit in einem Land im Waffenstillstand bei. Besonders stolz war er darauf, dass er Polizistinnen für die Bearbeitung von Fällen häuslicher und sexueller Gewalt rekrutiert und für die Beratung und Hilfe für Opfer dieser Verbrechen gesorgt hatte.
Als ich an meinem letzten Tag auf der Polizeistation mit ihm plauderte, sprach er die schlimme Überfüllung in den salvadorianischen Gefängnissen an. Als ich nachbohrte, bot er mir an, mir die sogenannten „Bandenkäfige” zu zeigen, und begleitete mich zu dem von vier bewaffneten Wachen beaufsichtigten hinteren Teil der Station.
In einem ranzig riechenden, glühend heißen Gefängnishof, umgeben von einer hohen, von Stacheldraht gekrönten Mauer, befanden sich drei Käfige. Sie waren etwa 3,5 Meter breit und 4,5 Meter hoch—und vollgestopft mit jeweils über 30 menschlichen Körpern. M18 und MS-13 hatten jeweils einen eigenen Käfig, während der dritte „gewöhnlichen Kriminellen” vorbehalten war. Ursprünglich waren sie als Zellen für einen Gewahrsam von 72 Stunden gedacht gewesen, aber wie mir berichtet wurde, waren viele der Insassen bereits seit über einem Jahr hier eingepfercht. Einen Großteil ihres Tages verbringen sie damit, ihre Kleidung aufzutrennen, um mit den Fäden Hängematten zusammenzunähen, in denen sie dann wie Holzscheite übereinandergestapelt schlafen.
Ich sprach mit einem einbeinigen Bürgerkriegsveteranen, der erzählte, man habe ihn über fünf Monate lang im Käfig für gewöhnliche Kriminelle eingesperrt, weil er gegen die radikalen Kürzungen der Zahlungen für medizinische Leistungen durch die Regierung protestiert hatte. Im M18-Käfig traf ich auf einen der Bandenbosse, der das Abkommen von 2012 mitunterzeichnet hatte. Er nannte sich Henry. Durch die Gitterstäbe erzählte er mir mit leiser Stimme von der Rolle, die er bei der Niederlegung der Handwaffen seiner Gang gespielt hatte. „Der Deal war, dass alle, auch die Polizei, ihre Handwaffen niederlegen sollten. Ich war dabei, als die Waffen eingesammelt und eingeschmolzen wurden. Wir, die Gangs, haben das gemacht, die Polizei jedoch nicht. Eine Sache, die uns wichtig ist, ist für die Bildung und Erziehung der jüngsten Kinder, die im Bandenumfeld geboren werden, zu sorgen. Wir haben Sonntagsschulen aufgebaut und Bibeln verteilt. Wir versuchen, die Gewalt zu stoppen, und der Glaube kann dabei helfen.”
Nach 40 Minuten in der Anlage wurde ich von den Wachen aufgefordert zu gehen. Ich fragte den Polizeichef, ob ich mein Gespräch mit den Gefangenen am nächsten Tag fortsetzen könne, und er erklärte sich einverstanden.
Als ich wiederkam, wurde klar, dass die Käfige normalerweise für die Presse nicht zugänglich waren. Der Polizeichef erzählte mir, dass seit zehn Jahren kein Fotojournalist die Käfige mehr zu sehen bekommen hatte und die Nachricht von meinem Besuch vor Ort irgendwie an die Pressestelle der Polizei von San Salvador gelangt sei. Dort war man überhaupt nicht glücklich darüber, so der Polizeichef, und anscheinend habe man sich aus San Salvador schon auf den Weg gemacht, um mit mir zu „reden”. Die Wachen hatten Henry erzählt, dass meine Rückkehr untersagt worden sei, und weil die Gefangenen keine Besucher empfangen dürfen, wurde er sehr wütend und fing an, sie zu bedrohen.
Meine Lage verschlechterte sich mit jeder Sekunde. Der Polizeichef forderte mich sogar auf, die Fotos zurückzugeben, die ich von den Käfigen gemacht hatte. Ich weigerte mich. Er zeigte Verständnis, forderte mich aber auf, sofort zu gehen, bevor der Leiter des Pressebüros eintreffen würde. Ein paar Minuten später hatte er sich wieder beruhigt und wir unterhielten uns freundlich, als er mich zum Wagen begleitete. Er war sichtlich beunruhigt angesichts des heraufziehenden Ungemachs, schien insgesamt aber auch irgendwie resigniert.
Im Nachhinein denke ich, dass der Polizeichef mir die Käfige gezeigt hatte, weil er einfach frustriert war über die unmenschlichen Bedingungen, die er täglich beaufsichtigen musste, ohne jegliche Hoffnung, dass die Situation sich in nächster Zeit ändern könnte. In den meisten unserer Gespräche erwähnte er, dass noch nicht mal ein Budget für die Grundbedürfnisse der Häftlinge wie Essen, Platzbedarf angesichts der Überfüllung und die häufigen gesundheitlichen Probleme der Insassen vorgesehen sei. „Wir bräuchten hier einen Arzt in Vollzeit”, sagte er. „Die Käfige sind voll und viele sind sehr krank. Vielleicht können Ihre Bilder irgendwie helfen?”
Das war das Letzte, was er zu mir sagte, als ich ins Auto stieg. Zwei Stunden später war ich am Flughafen, um für meinen Rückflug nach New York City einzuchecken.
Fotos von Giles Clarke, zur Verfügung gestellt mit Genehmigung von Getty Images