Die Lösung für einen schmerzhaften Kater könnte eine Schüssel blutiger Rindfleischsuppe sein – zumindest in Südkorea. Und da die Trinkkultur im Land blüht, werden auch Anti-Kater-Mittel immer beliebter.
In Südkorea wird weltweit am meisten Hochprozentiges getrunken: Die Südkoreaner trinken mehr als die wodkaverliebten Russen und vier Mal so viel wie wir Deutschen. Und am liebsten mögen sie Soju – billigen Reisschnaps, der oft für einen fiesen Kater sorgt.
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Ein Grund für den erhöhen Alkoholkonsum in Südkorea: hweshik, alkoholgeschwängerte Firmenessen, bei denen es unhöflich, wenn nicht gar unmöglich ist, Alkohol abzulehnen. Hier werden wichtige Geschäftsentscheidungen oder Gehaltserhöhungen besiegelt.
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Doch diese Gelage mit Erlaubnis vom Chef sind nicht der einzige Grund, dass ein ganzes Land verkatert ist. „Die jüngere Generation zwischen 20 und 40 tendiert immer mehr zum honsul, zum Trinken allein”, erklärt Su Yun Kim, die an der Universität Hongkong Koreastudien lehrt. „Sie trinken lieber allein, ohne von ihrem Boss dazu gedrängt zu werden.”
Die Trinklaune der Koreaner wird auch durch den niedrigen Preis angefeuert, meint sie. Die Regierung hält den Preis unten, Soju „ist billiger als Kaffee”, erklärt Su Yun Kim.
Die Lebensmittelindustrie schlägt aus dem kollektiven Kater der Koreaner derweil Profit und entwickelt eigene Mittelchen, darunter ein Eis, das von den Schmerzen einer durchzechten Nacht befreien soll, es gibt Pillen und Kosmetika. Insgesamt setzt die Katerindustrie jährlich umgerechnet 115 Millionen Euro um.
Doch die Koreaner haben ein viel traditionelleres Anti-Kater-Mittel, das man in jedem günstigen koreanischen Restaurant bekommt: Die sogenannte „Katersuppe” oder haejangguk. Eine heiße, scharfe Suppe mit den verschiedensten Zutaten, die Balsam für Magen und Seele sein soll. Ich habe eine Schüssel davon mit viel roten Chilis, Schweinehack und zartem Tofu auf der Insel Jejudo probiert – hier verbringen viele Koreaner ihre Flitterwochen.
Aber es gibt nur ein traditionell koreanisches Rezept für haejangguk, wie es in einem bekannten Restaurant namens Cheongjinok serviert wird. Nach einer langen Nacht mit „Soju-Bomben” – dabei werden Soju-Shots in Biergläsern versenkt – und mit einem ordentlichen Kater mache ich mich auf den Weg, das beste und authentischste Katermittel Südkoreas zu probieren.
Das Cheongjinok versteckt sich in einem kleinen Einkaufszentrum in einem belebten Geschäftsviertel in der Nähe des Rathauses von Seoul. Es sieht ganz anders aus als die gläsernen Kästen in der Umgebung: Die Fassade ist komplett aus Holz, ein Jahrzehnte alter Baustil. Und ungefähr genauso lange, seit 1937, gibt es hier die berühmte Katersuppe – seitdem wird der Laden auch von derselben Familie geführt.
Das Restaurant ist 24 Stunden geöffnet, damit die Einwohner von Seoul ihren fiesen Kater den ganzen Tag loswerden können. Anscheinend ist der Laden immer gut besucht, den als ich frage, ob ich mit dem Koch sprechen könnte, sagt man mir, dass er keine Zeit hat, die Küche zu verlassen, da er noch Vorbereitungen für den Rest des Tages machen muss.
Ich schnappe mir einen Platz in der oberen Etage auf eine Holzbank – es ist ein Dienstagnachmittag, der Laden ist auch nach der Rush Hour zur Mittagszeit voll. Mir fällt auf, dass auf beiden Ebenen des Restaurants nur Männer sitzen. Es riecht stark nach Rindfleisch und Kohl – und ironischerweise nach Sujo. Ich werfe einen Blick in die Karte: Das erste Gericht ist haejangguk.
Die Kellnerin, eine ältere Frau mit einem roten Bandana, erzählt mir, wie die Suppe gemacht wird. Einen ganzen Tag lang werden Knochen in einer Brühe gekocht, dann rührt der Koch eine Sojabohnenpaste ein, so schmeckt die Suppe weniger streng nach Rind. Es folgen dicke Klumpen aus Rinderblut, Kutteln und Bohnensprossen. Als sie mir nur wenige Minuten später die kochend heiße haejangguk vorsetzt, gibt sie noch eine großzügige Portion Frühlingszwiebeln aus einer Metallschüssel darüber und lässt mir noch ein bisschen was davon da.
Schon der erste Löffel – eine Mischung aus Brühe, Blut und Kutteln, in denen sich Sprossen verfangen haben – bringt mich zum Schwitzen. Es schmeckt metallisch, wie Blut, und scharf. Die Kutteln sind ziemlich dick und genauso zäh, die Blutklumpen machen unglaublich satt. Nach dem dritten Löffel ist mein Magen schon zum Bersten gefüllt und ich bin schweißüberströmt.
„Es ist nur Essen, keine Medizin”, meint Eric Huang Fu, der eine Klinik für traditionelle koreanische Medizin in Hongkong leitet. „Das ist genauso, als würde man nach zu viel Alkohol Kaffee trinken, genau das Gleiche.”
Ich will endlich wissen, wie gut die Suppe wirklich gegen einen Kater hilft, also bestelle ich mir eine kleine Flasche Soju. Soju ist die Art von Alkohol, die ich normalerweise nur schwer im Magen behalten kann. Die Kellnerin erklärt mir, dass ich einen Soju-Shot trinken soll, den ich dann mit einem Löffel haenjungguk runterspülen muss. Also trinke ich den Soju, gefolgt von der Suppe. Ich merke sofort, dass die Suppe den Soju-Geschmack überdeckt – und der Soju brennt auch nicht in meinem Magen wie sonst.
Aber mein Schädel dröhnt immer noch genauso wie vor der Katersuppe – selbst nach einer ganzen Schüssel haejangguk.
„Ich bin mir nich sicher, ob diese Katersuppe wirklich gegen Kater hilft” meint Rhiannon Brooksbank-Jones, die in einem koreanischen Kindergarten arbeitet. Sie lebt seit über zwei Jahren in Seoul und hat einige hweshik mitgemacht.
„Aber das Gute an der Katersuppe”, meint sie und zeigt auf ihr Herz: „Sie wirkt hier. Wenn du am Dienstag ein Firmenessen hast und am Mittwoch eine warme Katersuppe isst, dann kannst du auf jeden Fall bis Freitag durchhalten.”