Kärntner in Wien

Zwei Männer mit Lederhosen und Turnschuhen

Foto: filedump | Flickr | CC BY 2.0

Rund 1,8 Millionen Menschen leben in Wien. Mehr als die Hälfte davon ist nicht in Wien geboren. Demnach sind Wahlwiener nicht nur mit einer ziemlich guten Alliteration als Oberbegriff gesegnet, sie sind auch in der Überzahl: Aktuellen Angaben der Stadt Wien zufolge sind rund 652.000 Wiener aus dem Ausland zugezogen—und ungefähr 324.000 stammen ursprünglich aus den restlichen Bundesländern Österreichs.

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Letzteren wird umgangssprachlich oft das Präfix “Exil-” verliehen. Das macht mich zum wahlwienerischen Exil-Kärntner—und damit zu einem von rund 25.000, die 2016 in den Aufzeichnungen der Stadt erfasst wurden. Und das bedeutet wiederum, dass etwa 1,5 Prozent der Wiener Gesamtbevölkerung einen geheimen Käsnudel-Vorrat im Gefrierfach lagert. 

Tatsächlich fühlt es sich oft so an, als wäre diese Stadt in erster Linie von Exilanten wie mir bewohnt. Echte Wiener sind meiner Erfahrung nach so was wie extrem seltene Pokémon. Ich lebe seit drei Jahren in Wien und die Ureinwohner, die seitdem über lange oder kurze Zeit in meinem direkten Umfeld aufgetaucht sind, kann ich an zwei Händen abzählen. Dafür kenne ich mittlerweile halb Oberösterreich. Ich schwöre, die sind überall.

Fairerweise muss man sagen, dass Kärnten von allen Bundesländern wahrscheinlich der lauteste Ruf vorauseilt.

Grundsätzlich wird ja allen Exil-Truppen in Wien nachgesagt, sie würden am liebsten unter ihresgleichen bleiben—und Bundesländer-spezifischen Vereinen, Facebook-Gruppen oder ganzen Studentenheimen nach zu urteilen, ist da natürlich was dran. Trotzdem wird einem als Kärntner die Eigenbrötelei gefühlt immer noch ein bisschen stärker vorgeworfen.

Fairerweise muss man sagen, dass Kärnten von allen Bundesländern wahrscheinlich der lauteste Ruf vorauseilt—vor allem in Wien. Aber ich kann halt echt nichts für Haider. Oder alles andere, das uns immer wieder vorgeworfen wird. Außerdem gibt es mindestens genau so viele wertvolle Dinge, die ihren Ursprung in Kärnten haben, und die ihr scheinbar alle schon wieder vergessen habt: Reindling! Sieben Jahre in Tibet mit Brad Pitt! Der Name der wichtigsten Nobel-Einkaufsstraße in Wien! Ingeborg Bachmann! Glundner Käse! Der Ausdruck “einen Schleim haben”! Udo Jürgens! Der erotischste Dialekt der Republik! Dieses unmotivierte “Nach Kärnten”-Schild auf der Südautobahn, das niemand checkt! LARISSA MAROLT! Nichts zu danken, olta. 

Gleichzeitig erfreut sich aber auch Wien in vielen Teilen Kärntens—wie auch im Rest des Landes—nicht gerade größter Beliebtheit. Der Grazer Soziologe Max Haller erwähnt gegenüber dem Kurier: “Es gibt eine Gruppe von Österreichern, die alle anderen kritisch sehen, die Wiener.” Kärnten und Wien haben ganz einfach nicht viel gemeinsam—zuletzt haben das die Ergebnisse der Bundespräsidentenwahl unterstrichen. Folgerichtig fühlen sich Kärntner Großeltern auch persönlich angegriffen, wenn der Dialekt ihrer exilierten Enkel langsam schwindet, im schlimmsten Fall sogar beginnt, Wienerisch zu klingen.

Im Grunde genommen wird man als wahlwienerischer Exil-Kärntner also in zweierlei Hinsicht angeschissen: Von Wien, weil man Kärntner ist, und von Kärnten, weil man jetzt Wiener ist. In Wahrheit ist man beides nie so richtig—und am Ende gibt es nur eine Gruppe von Menschen, vor der sich Exil-Kärntner niemals rechtfertigen müssen: Andere Exil-Kärntner.

So beginnt das Vorurteil, Kärntner würden sich immer nur mit Kärntnern abgeben, auch langsam Sinn zu ergeben. Aber dieses Unter-sich-Bleiben, der Gedanke an eine homogene Kärnten-Bubble in der Bundeshauptstadt, das klingt so nach Inzest, nach Stillstand und irgendwie nicht nach der Diversität, für die Wien ja schließlich steht. Die Sache ist die: Wir alle umgeben uns vorzugsweise mit Menschen, zu denen wir im weitesten Sinn eine Art Verbindung haben. Und manchmal ist diese Verbindung eben die Postleitzahl der Eltern. Jemandem deshalb Rückschrittlichkeit vorzuwerfen wäre nicht fair. Ich weiß das, weil ich das selbst gemacht habe.

Es gibt nur eine Gruppe von Menschen, vor der sich Exil-Kärntner niemals rechtfertigen müssen: Andere Exil-Kärntner.

Die Gruppe “Kärntner in Wien” ist eine der größten Wiener Exilanten-Organisationen auf Facebook, die nicht ausschließlich dem Finden einer Mitfahrgelegenheit dient und kein Verein ist. Egal, ob man gerade einen Schlafplatz, VSV-Karten oder einfach nur Glundner Käse sucht—Solidarität ist der bedingungslose Grundtenor. Es ist dieser Sinn für Zusammenhalt, der vor allem bei Exil-Kärntnern besonders ausgeprägt zu sein scheint und ja, irgendwie rührt mich das. Großes Gefühlskino, nicht nur online.

Das Schrittesser im ersten Wiener Gemeindebezirk wird von Kärntnern liebevoll “Kärntner Bar” genannt und ist genau das: eine Kärntner Bar. In Kärnten selbst ist die Existenz der Bar eine Art moderner Mythos und fixer Bestandteil eines jeden Check-ups mit skeptischen Verwandten: “Was gibt’s Neues in der Stadt? Bist öfter in der Kärntner Bar?” Die Tatsache, dass es in Wien diesen Ort gibt, an dem man zum Glück eine “gscheide Jausn” bekommt, scheint viele besorgte Tanten einfach zu beruhigen. Und, ich mein, sie haben ja auch recht, Kärntner Jause ist saugeil.

Einmal im Monat wird im Schrittesser ein Stammtisch ausgerichtet, bei dem Kärnten und Wien eine unerwartet gut funktionierende Symbiose eingehen. Denkt an hausgemachtes Speckbrot, Hirter Bier und Unisex-Toiletten—the best of both worlds. Und selbst für die Sorte Exil-Kärntner, die nicht besonders heimatverbunden ist (Seas!), fühlt sich so ein Abend beinahe familiär an. Auch wenn man sich nicht kennt, kennt man sich letztendlich doch. Unterm Strich teilt man mehr als nur die Herkunft—man teilt Erfahrungen, Erinnerungen und im besten Fall sogar Freunde. Und wenn das Heimat ist, dann ist das eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl.

Franz auf Twitter: @FranzLicht

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