Bück dich, Bro: Wird 2016 das Jahr des Peggings?

So verletzlich habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. Flach auf meinem Rücken, mit einem Kissen unter meinem Hintern, die Beine angezogen; meine Knöchel sind so nah an meinen Augen, dass ich den Aufbau meiner Knochen genau inspizieren kann. Und dann legt sie sich auf mich mit ihrem heißen Atem. Sie ist bereit, ein Abbild von Großspurigkeit und Kontrolle.

„Willst du meinen Schwanz?”, fragt sie, lehnt sich über mich und stößt mit einem rutschigen, kalten Gegenstand in meinen intimsten Raum vor.

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„Ja”, wimmere ich. „Ich will…”, schließe meine Augen und denke an Charlie Glickman.

Wir haben das Jahr 2011. Japan erlebt das schlimmste Erdbeben seit über einem Jahrhundert, der arabische Frühling spaltet den Nahen Osten und die Aufstände in England setzen die Städte in Brand wie Guy Fawkes. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen, dass die Welt zur Hölle fahren wird—und zum jetzigen Zeitpunkt vorzuschlagen, dass die Antwort auf diesen großen Haufen Scheiße auf der Spitze eines Dildos zu finden ist, nun ja, das ist Borderliner-Logik. Es sei denn, du bist Sex- und Beziehungscoach Charlie Glickman PhD.

Natürlich standen Glickmans Gedanken, als er seinen Blogbeitrag „Wie Pegging die Welt retten kann”, nicht direkt im Zusammenhang mit den oben erwähnten Ereignissen. Bedauerlicherweise hat er nicht gesagt, dass es der beste Weg, um den Weltfrieden wieder herzustellen, zumindest nicht direkt. In Wirklichkeit setzte sich Glickman für einen Rollenwechsel im Schlafzimmer ein, durch den heterosexuelle Männer einen Einblick—„wenn es beim Sex eher um das Fangen als um das Werfen geht”—in das Lustempfinden, das eventuelle Unwohlsein und die Verletzlichkeit ihrer Partnerin bekommen könnten.

„[Pegging] wird die Kommunikation nicht auf irgendeine magische Art einfacher machen und es wird auch nicht alle Probleme in Bezug auf sexistische oder genderbasierte Ungerechtigkeiten lösen [aber] was es tun kann (abgesehen davon, dass es ziemlich viel Spaß macht) ist, dass es den Leuten helfen kann, Empathie, Mitgefühl und Verständnis für ihren Partner zu entwickeln”, schreibt er. „Und je mehr es davon in der Welt gibt, desto besser.”

Fünf Jahre später und Glickmans Prophezeiung rückt immer näher (etwa 15 cm, wenn ihr es genau wissen wollt). Immerhin wird das Thema mittlerweile sogar in der Mainstreamunterhaltung, durch Serien wie Broad City oder im diesjährigen Blockbuster Deadpool, aufgegriffen. Natürlich ist Pegging nichts Neues. Der Klassiker The Opening of Misty Beethoven aus dem Jahr 1976, dem goldenen Zeitalter der Pornografie, enthält ebenfalls eine Pegging-Szene. Eine solche Szene tauchte dann wieder—zumindest in bisexuellen und homosexuellen Kreisen—in Carol Queens Aufklärungsvideo Bend Over Boyfriend aus dem Jahr 1998 auf. Seinen Höhepunkt erreichte das Ganze, als Dan Savage zum ersten Mal den Begriff „to peg” mit einer Abstimmung auf seinem Blog Savage Love im Jahr 2011 prägte (der Begriff „bob” = bend over boyfriend, nach dem Video von Queen, war ebenfalls im Rennen).

Abbi denkt über Pegging mit ihren Date nach. Screenshot: Broad City | Paper Kite Productions

Weitere massenmediale Darstellungen wie in Peep Show (2005), Weeds (2006) und Dirt (2007) folgten. Während Pegging in den meisten Darstellungen jedoch einen Moment des Fremdschämens einschloss—beziehungsweise suggerierte, dass es absolut seltsam sei, einem Mann etwas in den Hintern zu schieben, wurde es in Broad City und Deadpool vollkommen wertungsfrei zelebriert. Im ersten Fall stellt sich Abbi der Herausforderung (mit der Hilfe des Enthusiasmus von Ilana), ihr super-heißes Date zu nageln und bei Deadpool wird es einfach so mitten in eine Montage aus Sexszenen eingebaut, als wäre es keine große Sache. Es passiert einfach.

Die Porno- und Sexindustrie erlebt ebenfalls einen echten Pegging-Boom. Die US-amerikanische Produktionsfirma Evil Angel, die Hardcore-Pornos produziert und deren Zuschauerschaft zu 99 Prozent aus Männern besteht, hat mir gesagt, dass ihre Serie Strap Some Boyz (Link NSFW) über die letzten Jahre immer beliebter wurde. Die pärchenfreundliche Sexspielzeugmarke LELO hat das Jahr 2016 zu dem Jahr erklärt, in dem Pegging durchstarten wird, nachdem ihre Verkäufe von „analen Lustobjekten” für Männer um 200 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sind. Wie LELO in ihrer jährlichen Pressemitteilung zu den aktuellen Trends betont, werden vor allem Männer durch die „größere Kenntnis über geschlechtsspezifische Ausdrucksformen und sexuelle Identität” sowie durch „die gendergerechte Sprache” von den konventionellen Schranken in Bezug auf sexuelle Identität, Geschlechter und Lustempfinden befreit.

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Dr. Chauntelle Tibbals, Soziologin und Autorin von Exposure: A Sociologist Explores Sex, Society and Adult Entertainment, erzählte mir, dass diese zunehmende Akzeptanz von „tabuisierten” Sexspielen die Geschlechterrollen in Frage stellt und dazu führen könnte, dass unser soziales „Ideal” von Sex aufgebrochen wird. „In den letzten 10 Jahren haben wir eine regelrechte Explosion im öffentlichen Bewusstsein und Verständnis für Geschlechterrollen erlebt, genau wie den Willen, diese Grenzen und sozialen Normen, die wiederum zum Aufbau dieser Grenzen beigetragen haben, auszuloten”, sagt sie. „Es ist nur logisch, dass Pegging jetzt etwas ist, was wir in einer Comicbuchverfilmung aus Hollywood (Deadpool) zu sehen bekommen.”

r/pedding ist ein Subreddit für Pegging-Enthusiasten. Mehr als 34.000 Redditors posten dazu alle möglichen Sachen: von nützlichen Tipps bis zu „Wir haben’s getan!”-Beweisfotos (Link NSFW). Ich habe mit Zwei von ihnen gesprochen, um herauszufinden, wie sie zum Pegging gekommen sind und welchen Einfluss es auf ihr Sexleben hatte. Drew Harris* ist ein Bauarbeiter aus den USA. Ein paar Tage nachdem er zum ersten Mal „gepegged” wurde, haben wir miteinander geschrieben. „Meine Frau hat geglaubt, dass sie diese Macho-/Harter-Kerl-Attitüde in ihrem Leben haben wollte, [aber diese Erwartung] hat mich nicht glücklich gemacht, weil ich normalerweise nicht so bin und sie war auch nicht besonders glücklich”, sagte er mir.

„Als wir die Rollen getauscht haben [seine Frau in der Rolle des dominanten Sexpartners und er in der Rolle des Subs], fühlte es sich für beide von uns richtig an.” Ich habe auch getsome187 geschrieben, der Pegging in seinen letzten vier Beziehungen eingeführt hat. „Einige der Mädchen haben sich gefragt, ob ich bisexuell wäre oder haben sich komisch dabei gefühlt einen falschen Schwanz zu tragen, aber irgendwann kamen sie drüber hinweg”, sagt er. „Es ist, als würde ich etwas sehr Intimes mit ihnen teilen und es bringt uns einander näher, weil damit eine gewisse Verletzlichkeit einhergeht.”

M hat mir eine Nachricht über Fetlife, ein soziales Netzwerk für Fetischisten, geschrieben. Sie hat bereits zwei ihrer männlichen Partner „gepegged” und stimmt dem zu: „Es kann ein wirklich intimer Moment sein, es kann aber auch sehr dominant und schmutzig sein”, sagt sie. „Ich bin der festen Überzeugung, dass man seinem Partner so näher kommen kann. Es tut gut, wenn einem jemand seine eigene Verwundbarkeit anvertraut.”

Es scheint so, als wäre dieses gemeinsame Wissen von der Verwundbarkeit des anderen darauf zurückzuführen, dass man beide Seiten derselben Münze erlebt: die der Penetration. „Für einen Mann, der noch nie anal penetriert wurde, findet Sex außerhalb des Körpers statt”, sagt mir Glickman in einer E-Mail. „Während Männer also das Bedürfnis nach einem Warm-up vor der Penetration rein intellektuell verstehen, ist es nicht dasselbe, wie es zu erfahren. Man bekommt eine andere Perspektive, wenn man es auf einem körperlichen Level erfährt und ich habe mit vielen Frauen gesprochen, die gesagt haben, dass die Erfahrung mit Pegging ihre Partner beim Sex einfühlsamer und geduldiger gemacht hat.”

Kann Pegging die Welt retten? Es hat meine definitiv auf den Kopf gestellt. Infolge des Peggings habe ich mich nicht entmannt, sondern eher bestärkt gefühlt. All die sozialen Normen, die sagen, wie ein heterosexueller Mann im Bett zu sein hat (Ich habe den Penis, ich habe hier das Sagen), wurden wortwörtlich in die Bedeutungslosigkeit gefickt.

„Ich glaube, immer wenn jemand seinen Partner penetriert, egal ob mit einem Schwanz oder mit einem Strap-on, geht es dabei um die Lust”, sagte mir Jessica Drake, Star in und Produzentin von Wicked Sex: Anal Play for Men, per Mail. „Jeder sollte es wenigstens mal versucht haben.”