Freitag, 26. August 2016, Signes in Südfrankreich: Die Angestellten einer Produktionsstätte von Coca-Cola haben einen ungewöhnlichen Fund gemacht. In einem Container aus Südamerika fanden sie 370 Kilo Kokain.
Xavier Tarabeux von der Staatsanwaltschaft Marseille schätzt den Verkaufswert gegenüber der AFP auf „circa 50 Millionen Euro”, er gehört mit zu den spektakulärsten in Frankreich in den letzten Monaten. Nein, das Kokain war nicht in Dosen mit Namen versteckt, sondern in Beuteln.
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Das weiße Pulver gehört schon immer zur Geschichte der berühmten Limonade. Es ist eine dieser Urban Legends rund um Coca-Cola und könnte einige der Fragen, die man sich schon immer rund um Cola gestellt hat, beantworten:Warum wird das Rezept in einem Safe in Atlanta aufbewahrt? Warum hat man es den GIs „verabreicht”, bevor man sie in die Normandie schickte?
Cola und Kokain hatten anfangs eigentlich eine ganz harmonische Beziehung. Ihre gemeinsame Geschichte beginnt Ende des 19. Jahrhunderts: Angelo Mariani, Sohn eines korsischen Apothekers, geht nach Paris und entwickelt dort belebende Tonika, die damals voll im Trend lagen, erinnert sich Aymon de Lestrange. Er hat eine Biografie über ihn geschrieben (Angelo Mariani 1838-1914, erschienen bei Intervalles) und vor Kurzem mit TV5Monde gesprochen.
„Er sollte verschiedene Mischungen ausprobieren, mit Chinin aus der Chinarinde, das auch gegen Malaria eingesetzt wurde, mit Kolanuss oder mit Kokablättern. Er hatte das Gefühl, aus dieser neuen Pflanze etwas machen zu können.”
Mariani ließ 60 Gramm Kokablätter in einem guten Bordeaux über mehrere Monate einweichen. Ein oder zwei Gläser pro Tag, das entsprach circa einer Line Koks. Es war also wirklich ein belebendes Getränk.
Mariani probiert seine neue Kreation auch an den Kunden aus, wie de Lestrange in einer Anekdote erzählt. „Eines Tages kommt eine Sängerin in seine Apotheke und fragt nach einem Mittel gegen Heiserkeit. Mariani erzählt ihr, dass er gerade an einer Mischung aus Bordeaux-Wein und Kokablättern arbeitet. Die Sängerin probiert, findet es großartig und bestellt mehrere Flaschen bei ihm.” So entstand der Vin Mariani.
Anfangs wird der Vorläufer der Coca-Cola bei Grippe, Schlafstörungen und Magenbeschwerden verschrieben. Darin finden sich auch Spuren von Kokain, einem der Inhaltsstoffe der Kokapflanze, die seit Jahrtausenden den Andenvölkern bekannt ist.Für de Lestrange ist es nur einer von vielen Inhaltsstoffen, ein Alkaloid unter etlichen andern. „Mariani ließ 60 Gramm Kokablätter in einem guten Bordeaux über mehrere Monate einweichen. Ein oder zwei Gläser pro Tag entsprachen circa einer Line Kokain. Es war also durchaus ein belebendes Getränk.”
Der Mariani-Wein wurde ein durchschlagender Erfolg und verbreite sich auch über die Landesgrenzen hinweg. Päpste, Herrscher, Berühmtheiten und sogar US-Präsident Ulysses S. Grant verfielen seinem Zauber. Viele versuchten, es nachzumachen und de Lestrange weiß von hunderten Plagiaten, die, weil dieses geistige Eigentum nicht geschützt war,nicht verfolgt wurden. Und genau kommt Coca-Cola ins Spiel.
Ein Apotheker aus Atlanta, John Pemberton, begann sich ebenfalls für die belebenden Mixturen zu interessieren und brachte seinen „French Wine Coca” auf den Markt—für de Lestrange „ein Eingeständnis”, der sich sicher ist, dass der Amerikaner sich von der Idee des Franzosen inspirieren ließ. „Er sagt es selbst. Zu seinem Unglück—oder Glück—kamen zu der Zeit auch die ersten Prohibitionsgesetze in den USA. Also muss er den Wein in seiner Mixtur durch etwas anderes ersetzen. Und er entschied sich für Sodawasser.”
1886 kommt eine „unschuldigere” Version auf den Markt mit Zuckersirup, Zitronensäure, Muskatnuss, Vanille, Kassiaöl und zwei weiteren Zutaten, die dem Getränk seinen Namen gaben: geriebener Kolanuss und Extrakt aus Kokablättern.
Der Alkohol ist zwar schon früh verschwunden, beim Kokain dauert es aber noch ein bisschen. Anfang des 20. Jahrhunderts ist Kokain in den Staaten noch nicht illegal und wird zu medizinischen Zwecken als Pulver oder Pille verabreicht: bei Kopfschmerzen, Verstopfung, Impotenz, Asthma oder Übelkeit. Später entwickelten Wissenschaftler eine Möglichkeit, alle Spuren von Kokain aus dem Extrakt zu entfernen, damit ist der Weg zum Erfolg frei.
Das korsische Getränk hat es jedoch nie so weit geschafft und wurde später in Frankreich und auch in Deutschland verboten.
Heute wissen wir dank moderner Techniken, was sich in den Cola-Dosen befindet: Selbstverständlich keine Spur von Kokain, dafür aber eine Menge Zucker und Stoffe, mit denen man auch Münzen auflösen kann. Vor allem aber die Überbleibsel einer Erfindungeines korsischen Apothekers, die den Durst der berühmtesten Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts gestillt hat.
Alle Bilder aus Angelo Mariani 1838-1914, le vin de coca et la naissance de la publicité moderne von Aymon de Lestrange, erschienen auf Französisch bei Intervalles.