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Kedr Livanskiy ist das neue Gesicht der russischen Underground-Eletcro-Szene

Wenn es um boomende Electro-Szenen geht, ist Moskau nicht unbedingt die erste Stadt, die einem in den Sinn kommt. Kedr Livanskiy ist jedoch auf der Mission, dies zu ändern. Die Produzentin und Sängerin—deren richtiger Name Yana Kedrina ist—wurde 1990 während des Zerfalls der Sowjetunion geboren. Der sich seit damals vollziehende nationalistische Wandel hat die ehemalige Punkmusikerin nachhaltig geprägt. Sie fand Trost in der isolierten Electro-Szene von Moskau. Gleichzeitig griff sie auf westliche Einflüsse zurück.

Yana ist Mitglied bei dem DIY-Kollektiv Johns’ Kingdom, welches eine neue Garde russischer Künstler repräsentiert. Sie bauen gerade eine offene Community auf und nutzen das Internet, um internationale Beziehungen zu etablieren.

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Das beste Beispiel für Letzteres ist vielleicht die von den meisten Kritikern bislang gefeierte Debüt-EP, January Sun, die auf dem neuen Label von Mike Simonetti und Mike Sniper, 2MR, erschien. Die beiden hatten Kedr Livanskiy auf Soundcloud entdeckt. Obwohl die EP in einem der härtesten Klima der Welt komponiert wurde, hat Yanas minimalistische Musik eine gewisse Wärme und erinnert an ähnlich gesonnene Außenseiter wie Hype Williams, Laurel Halo und Grimes vor Art Angels.

Vor dem Hintergrund ihrer ersten Shows in Europa diesen Frühling haben wir mit der aufstrebenden Künstlerin gesprochen (übersetzt wurde das Ganze von 2MR-Labelmanager Adam Gerrad). Dabei ging es um Moskaus kulturelle Landschaft, wie Yana durch russische David-Bowie- und Ian-Curtis-Parodien gelernt hat, Musik zu lieben, und mehr.

THUMP: Du hast an der Moscow School of New Cinema studiert. Was hat dich dazu bewogen, eine Karriere in der elektronischen Musik zu verfolgen?
Kedr Livanskiy: Ich habe mich lange bevor ich zur Filmschule gegangen bin, mit Musik auseinandergesetzt. Im Alter von 19 oder 20 war ich Sängerin einer Punkband. Davor habe ich ein paar Mal Schlagzeug in einer Sludge-Band gespielt. Ich habe viel Musik gehört, auch vor der Filmschule. Ich habe fünf Jahre an der Universität Literatur studiert. Dieser Background hat mir geholfen, Musik zu verstehen und mich ihr aus einer anderen Perspektive zu nähern. [Die] literarische Ausbildung hat mir geholfen, tiefer in die Sprache vorzudringen. Das alles fand in der Musik von Kedr Livanskiy zusammen.
Musik ist für mich das Gleiche wie Film—der Ausdruck der Welt. Die Suche nach der narrativen Form ist präsent, aber Instrumente nehmen sie in Besitz und es ist eine andere Sprache. Hier mache ich alles selbst und ich finde es einfacher zu arbeiten, da Musik für mich immer noch die geeignetste und natürlichste Form des Ausdrucks ist.

Wie kamst du zum Produzieren?
Während der letzten sechs Jahre war ich Mitglied einer Crew aus Musikern und Regisseuren—meinem Freundeskreis—Johns’ Kingdom. Irgendwann haben wir alle ein großes Interesse für elektronische Musik entwickelt und fingen an, überall zu jammen—in der Natur, auf dem Land, bei einer Party. Wir haben einfach eine Menge Alkohol gekauft, irgendwelche Instrumente mitgebracht und stundenlang gejammt. Dann haben wir uns alle unseren eigenen Projekten gewidmet und individuell losgelegt. Es ist nicht einfach bloß ein Label sondern eine Community aus Leuten mit gemeinsamen Interessen und Visionen. Es erlaubt dir, dich selbst von der Scheiße zu isolieren.

Kannst du die Verbindung zwischen dem Titel der EP und den Songnamen erklären („Winds Of May”, „January Sun”, „April”)?
Am Anfang hatte ich nicht die Absicht, das alles mit den Jahreszeiten zu verbinden, erst später habe ich realisiert, dass es natürlich geschah. Viele dieser Songs wurden im Winter geschrieben und im Winter gibt es ein besonders deprimiertes Gefühl mit vermehrter Reflexion. Der Winter hier in Russland ist nicht so sehr ein Naturphänomen sondern eher ein Gemütszustand. Er ist viel mehr gefühlsbedingt.

January Sun bewegt sich zwischen Experiment und Pop. Zu welcher dieser beiden Seiten neigst du eher?
Ich höre nicht viel Popmusik. Ich habe bloß einen 90er-Fetisch. Da klang Pop cool, hauptsächlich weil er von elektronischer Tanzmusik beeinflusst war. Ich höre viele elektronische Produzenten und alten Industrial, EBM, Electro, Breakbeat, Neofolk und Shoegaze.
Die EP ist eine Mischung aus meinen Teenager-Jahren, in denen ich MTV geschaut habe, und dem, was ich im letzten Jahr gehört habe. Ich denke, meine Musik wird Formen und Klänge verändern, aber eine gewisse Popkomponente wird bleiben.

Wie sehr beeinflusst russische Musik die Musik, die du machst?
Ich höre viel russische Musik. Ich bin damit aufgewachsen. Als Kind habe ich viele russische Kopien amerikanischer und europäischer Rockmusik gehört. Ob es nun The Cure, David Bowie oder Joy Division war, es gab ein russisches Gegenstück.
Es waren größtenteils schamlose Parodien, aber sehr einzigartig und lebhaft. Wir hatten auch eine große Punk- und Noise-Szene mit Anarcho-Ausrichtung und wirklich heroischen Texten. Die Texte haben den Zuhörer immer ermutigt, ein anderes Leben zu führen, aber auch egoistische Bilder gezeichnet. Das stammt alles von der Russischen Revolution. Dieser Einfluss ist in der Literatur und Musik sehr stark. Als Kind habe ich mehr Punk- und Rockmusik gehört, später dann elektronische und experimentellere Musikstile geliebt.

Wie sind 2MR dazu gekommen, die EP zu veröffentlichen?
Adam [Gerrard] von 2MR sagte mir, dass er sich die EP eines finnischen Musikers bei Soundcloud angehört hatte, die ihm von einem Freund empfohlen worden war. Als sie zu Ende war, wurde mein Track „Sgoraet” zufällig gespielt und es hat ihn „sofort umgehauen” (seine Worte, nicht meine). Also schrieb er mir und wir einigten uns, die Platte zusammen zu veröffentlichen.

Beschreib die russische Electro-Szene für die, die sich nicht auskennen.
Vor ein paar Jahren war sie recht beschränkt und sehr lokal. Zunächst war es nötig, die Umgebung zu erschaffen, sodass die Musik physisch wird und Leute zu Partys gehen, um irgendwo zusammen Musik hören zu können. In den letzten vier Jahren haben sich die Dinge allmählich verändert, in vielerlei Hinsicht dank Johns’ Kingdom. Es ist eine Community, die durch diese ästhetische Vision in sich geschlossen ist und die Leute werden davon angezogen. Ich denke, sobald wir hier mit der Vinyl-Produktion beginnen, erreichen wir ein neues Level.
Wir haben nicht wirklich einen Markt oder eine Musikproduktion und sowieso keine Erfahrung, Electro-Labels zu erschaffen. Es gibt allgemein keine Musikindustrie. Also sind die Leute in der Community zusammengekommen, für die es interessant war, und haben sich gegenseitig unterstützt. All das hat natürlich kein Geld gebracht, aber mittlerweile können wir unsere Kosten decken, weil die Leute kommen.

Was würdest du sagen, wie sich Moskau von anderen großen Musikstädten wie Berlin, Paris oder London unterscheidet?
In diesen Städten gibt es eine Kultur des Austauschs—eine offene Grenze. Russland ist seit Langem abgeriegelt. Wir hatten die Sowjetunion, während überall anders Musikrevolutionen stattfanden; nichts davon hat uns erreicht. Musik ist fast nie durchgedrungen, außer in einzelnen Fällen. Erst in den 90ern hatte sie ein vollständiges Leben. Es gab hier keine Kontinuität in der Musik. Die Tradition ging verloren und es wurde etwas Eigenes, entwickelt in einem geschlossenen Zustand, anders als überall auf der Welt.
Die ganze progressive Musik ist jetzt durchgedrungen, aber nur in sehr kleinen und verzerrten Mengen. Die Menge an Leuten, die zur Zeit des eisernen Vorhangs Zugang dazu hatten, kannst du an einer Hand abzählen. Im Zeitalter des Internets hat sich das natürlich jetzt geändert. Der russische Staat hat sich geöffnet. In der modernen Welt des Internets können Musiker überall leben und auf einem Label in einem ganz anderen Land veröffentlichen und sich wohlfühlen. In dieser Hinsicht ist Musik international.

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