Kele Okereke braucht Zeit für sich

Kele Okereke hat es echt nicht leicht. Der (Ex-/oder vielleicht noch immer?-) Sänger von Bloc Party hat eine der wunderbarsten Stimmen des Musikwelt inklusive einem klanglichen Wiedererkennungswert, der irgendwo bei 99 Prozent liegen dürfte. Wie wird man dem gerecht? Sind nicht die meisten Songs zu schade, die meisten Instrumentals zu profan für dieses im wahrsten Sinne einmalige Instrument, dieses unnachahmliche Instrument?

Ach was. Mit solchen seltsamen Fragen beschäftigt sich Kele überhaupt nicht. Warum auch, schließlich hat er seine Stimme schon immer, vollkommen normal also. Genauso normal, wie seine Entwicklung vom Frontmann einer der interessantesten Newcomerbands des Jahres 2005/06 zu einem beachteten DJ und Produzenten, vom Erlöser der Indie- zu einem Teil der elektronischen Welt. Sein neues, zweites Soloalbum Trick ist vorletzte Woche erschienen, ein angenehm unaufgeregtes Werk auf halber Strecke zwischen House und Pop, das Keles Stimme die Basis bereitet, sich zu voller Größe zu entfalten. Ganz normal.

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Noisey: Wie geht’s dir?
Kele Okereke: Ich bin ein bisschen müde, ich habe sehr schlecht geschlafen letzte Nacht.

Warst du aus?
Nein. Es ist ja schließlich mitten unter der Woche und ich muss auch noch ein bisschen arbeiten: Hier sitzen und den ganzen Tag über mich reden zum Beispiel. (lacht) Aber heute Abend besuche ich eine Freundin.

Wenn du Leute triffst, die du lange nicht gesehen hast, musst du vermutlich auch die ganze Zeit über dich reden!
Nein, in dem Fall nicht. Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, hat sie mir erzählt, dass sie schwanger ist. Ich nehme das als Anlass, nur über sie zu reden. Ich will meine Stimme nicht mehr hören. (lacht)

Du hast vor Jahren das Lied „Kreuzberg“ geschrieben, wie eng ist deine Verbindung zu Berlin?
Ich war schon sehr häufig hier, auch schon vor Bloc Party. Daher habe ich sehr viele positive Erinnerungen. Und ich habe auch eine Handvoll Freunde, die hier leben. Aber wenn ich ehrlich bin, habe ich zuletzt oft Leuten gar nicht gesagt, wenn ich in Berlin war. Auf diese Art konnte ich die Stadt ganz allein erleben.

Ich kenne das Gefühl, wenn man sich verpflichtet fühlt, innerhalb eines Wochenendes jeden treffen zu müssen, den man aus der Stadt kennt. Und am Ende hat es gar keinen Spaß gemacht, weil es stressig wurde.
Ja! Und die Leute denken, du bist unhöflich, aber weißt du, manchmal brauchst du auch Zeit für dich. Mein Lieblingsclub auf der ganzen Welt ist hier.

Das Berghain?
Ja. Manchmal komme ich nach Berlin und sage es niemandem. Ich komme nur her, um zu tanzen. Das tut mir gut, es ist sehr beruhigend. Ich war vor zwei Wochen hier, einfach nur zum Tanzen.

Ganz allein?
Ääh, naja, ich bin über den Freund eines Freundes auf die Liste gekommen, also musste ich ihn erstmal treffen. Aber ich habe ihn dann irgendwann stehen lassen. (lacht)

Du fliegst also nach Berlin, gehst ins Berghain, tanzt zwei Tage und fliegst dann wieder nach London?
Nein, nein. Ich war in Brüssel, wo ich aufgelegt habe und ich hatte das Gefühl, mal wieder was für mich tun zu müssen. Also bin ich von da nach Berlin geflogen. Aber ich mache das nicht jedes Wochenende, so soll das nicht klingen! Ab und zu musst du dir was gönnen und ich gehe eigentlich kaum noch in London clubben. Wenn ich in Clubs bin, dann meistens als DJ und das ist eine ganz andere Erfahrung. Wenn du tanzen gehst—und das noch allein—dann tust du das nur für dich. Da ist außerdem dieses Gefühl, wenn du in einer fremden Stadt bist—du kannst dich von allem abnabeln, keiner interessiert sich für dich. Das ist eine Art von Freiheit.

Es geht darum, jede Art von Stress oder Druck, die sich über die Woche oder den Monat aufgestaut haben, loszuwerden. Es geht darum, mit deinem Körper allein zu sein und den Dancefloor mit Leuten zu teilen, die dasselbe erleben und ähnliche Dinge spüren. Ich liebe es schon immer zu tanzen, ich liebe den Spaß, den es bringt. Das ist mehr als ein Hobby oder ein Zeitvertreib, ich brauche das, um mich wohl zu fühlen. Also muss ich in meinem Leben Zeit und Raum finden, um tanzen zu können. Einmal die Woche, einmal in zwei Wochen oder auch nur einmal im Monat. Aber ich muss sicherstellen, dass ich mir Zeit dafür freihalte. Sonst werde ich nicht glücklich sein können.

Reicht dir tanzen als Eskapismus oder brauchst du auch Drogen, um komplett abschalten zu können?
Ich hatte eine Phase als ich in New York gelebt habe, in der ich komplett abstinent gelebt habe. Kein Alkohol, keine Drogen, ich hatte noch nicht mal Sex. Und ich habe dieses Gefühl wirklich genossen. Die Klarheit, die meine Gedanken und meinen Körper eingenommen hat… Aber ich bin da nicht mehr so streng.

Wie lang hast du das gemacht?
Ich habe so etwa ein Jahr in New York gelebt.

Und in dieser Zeit warst du komplett abstinent.
Naja, nicht ganz. Ich hatte in dem Jahr vielleicht zwei Mal Sex und ich habe nicht getrunken. Oder zumindest habe ich sehr wenig getrunken.

War das ähnlich wie mit Berlin, dass du dich allein in einer fremden Stadt verlieren wolltest?
Äh, ja, ein bisschen. Der Grund, den ich Leuten genannt habe, warum ich in New York bin, war, dass ich ein Buch geschrieben habe, eine Sammlung von Kurzgeschichten. Aber eigentlich war das, glaube ich, eine Entschuldigung, um allein in dieser Stadt zu sein. Wenn du nichts hast, keinen Alltag, keine Familie, keine Freunde, kein Job, kann alles passieren. In New York brauchst du aber auch immer eine Art von Antrieb und Disziplin, weil New York ein ziemlich harte Stadt ist. Es ist nicht wie in Berlin, wohin ganz viele Leute gehen, ohne zu wissen, was sie dort machen wollen. Wenn du in New York keinen Plan hast, gerätst du vermutlich in irgendwas hinein und das könnte durchaus gefährlich werden. Deshalb habe ich mich jeden Tag hingesetzt und geschrieben. Ich habe also gearbeitet, als ich da war und nicht die ganze Zeit Party gemacht oder so.

Viele Menschen suchen Entspannung und Abstand, indem sie aufs Land fahren. Raus aus der Stadt. Du hättest dich für ein Buchprojekt auch auf eine Insel verziehen können, stattdessen gehst du nach New York—ziehen dich Metropolen so stark an?
Ich mag große Städte. Ich bin in London aufgewachsen, das hat mich geprägt und es hat definiert, wonach ich in anderen Orten suche. Deshalb ende ich in Orten wie Berlin oder New York—ich weiß, was ich an Städten mag, ich weiß, was Städte haben müssen, damit sie für mich interessant sind. Es muss einfach ein Gefühl vorhanden sein, was dir die Nacht bietet. Das ist wichtig.

Du hast musikalisch eine interessante Entwicklung genommen, denn dein neues Album klingt nicht nur sehr anders als Bloc Party, sondern auch komplett anders als dein erstes Solo-Album. Woher kommt das?
Ja, es ist anders als mein erstes Solo-Album, auch wenn es ebenfalls ein elektronisches Album ist. Damals wusste ich nicht so wirklich, was ich tat, ich war nur sehr begeistert von der Idee, komplett allein ein Album zu machen. Deshalb glaube ich, dass es nicht so stimmig war. Ich glaube nicht, dass es wirklich funktioniert hat. Das neue Album macht als Gesamtwerk viel mehr Sinn. Woher das kommt? Ich vermute, wenn ich ehrlich bin, dass viel aus meinen Erfahrungen als DJ entstanden ist. In den letzten zwei Jahren habe ich mindestens alle zwei Wochen aufgelegt. Das ist wie eine komplett neue Welt, die sich mir in dieser Zeit erschlossen hat, mit Regeln, was im Club-Kontext funktioniert, was gut ist. Das hatte definitiv einen Einfluss darauf, was für ein Album ich machen wollte.

Viele Musiker erzählen mir, dass sie kaum Zeit haben, selbst Musik zu hören und vor allem, sich mit neuer Musik zu beschäftigen, weil sie sich darum kümmern müssen, eigene Musik zu schreiben. Als DJ wiederum muss man konstant neue Musik entdecken. Wie ist das bei dir?
Ja, du hast Recht, aber das ist gut! Jede Woche muss ich mir Zeit nehmen, neue Musik zu entdecken—und das ist etwas, was ich lange nicht getan habe, seit wir mit Bloc Party bekannt geworden sind. Natürlich habe ich immer Musik gehört und gemacht, aber ich war sechs oder sieben Jahre lang nicht sehr aktiv dabei, Dinge herauszufinden. Jetzt muss ich das. Und ich muss darüber nachdenken, wie das im Club funktionieren wird, wie es in ein Set passt und so. Das hält mich wach, das zwingt mich, mich mit Musik zu beschäftigen.

Hast du in dieser Zeit die Musikrichtung entdeckt, die du mit deiner Musik bedienen willst?
Ja, klar. Ich meine, du beginnst mit einer sehr groben Vorstellung davon, was du machen möchtest und je mehr du Musik hörst desto klarer wird dir, was du willst.

Von außen betrachtet, scheinst du einen sehr natürlichen Weg zu nehmen in deiner musikalischen Entwicklung: Von Indierock über ein Phase vom Spielen und Ausprobieren mit elektronischer Musik zum klar definierten House-Sound deines neuen Albums.
Mmh, ich weiß nicht. Ich habe das Gefühl, das diese Evolution nicht unbedingt natürlich ist. Das ist einfach ein Teil meines Lebens. Dieses neue Album Trick klingt so, wie ich Ende 2012 und dann nochmal Anfang 2014 Musik machen wollte—denn das waren die Zeiträume, in denen ich an diesem Album gearbeitet habe. Wenn ich heute die Arbeit an einem neuen Album beginnen würde, würde es anders klingen. Das ist eine wichtige Sache, die ich klarstellen möchte: Wenn ich Musik mache, ist mein einziges Ziel, darzustellen, wie ich zu dem Zeitpunkt Musik verstehe. In einem Jahr werde ich anders über bestimmte Dinge denken, darüber, was ich erreichen will, was ich erschaffen will. Deshalb mache ich immer wieder neue Musik.

Du hast eine sehr außergewöhnliche Gesangsstimme.
Ja, ich weiß nicht, ob es so außergewöhnlich ist, aber ja, viele Leute haben eine Meinung darüber.

Sie ist auf jeden Fall—im positivsten Sinn—sehr wiedererkennbar. Ich könnte irgendwo auf der Welt in einem Taxi sitzen, wenn ein Lied mit deinem Gesang im Radio liefe, wüsste ich, dass du singst.
Ja, das ist eine gute Sache: eine wiedererkennbare Stimme zu haben. Das ist auf jeden Fall etwas, auf das ich stolz bin. Dies ist jetzt auch das sechste Album, das ich gemacht habe. Und die Breite des Songmaterials, auf das ich gesungen habe, ist meiner Meinung nach ziemlich einmalig. Ich habe da durchaus Glück.

Bekommst du sehr viele Anfragen von Produzenten, auf ihre Stücke zu singen?
Ja, ich bekomme schon viele Angebote und Feature-Anfragen. Aber in letzter Zeit habe ich nicht so viel für andere Leute gemacht. Klar habe ich in der Vergangenheit schon ein paar Features gemacht, und das ist ja auch cool. Aber es ist eben nicht wirklich deine Musik, deshalb habe ich mich da zuletzt etwas zurückgenommen.

Hast du jemals das Gefühl, dass bestimmte Musik deiner Stimme nicht gerecht wird?
Nein, diese Sorge habe ich eigentlich nicht. Ich sehe es eher andersherum: Wie kann ich der Musik Gutes tun. Was kann ich dem Track geben.

Auf dem Album sind zwei Gast-Sängerinnen. Wieso hast du dich entschieden, deinen Gesang mit weiblichen Stimmen zu verbinden?
Ich habe schon immer eine starke Reaktion auf weiblichen Gesang gespürt. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass sie naturgemäß mehr Ausdruckskraft besitzen und mehr Gefühle übertragen können. Das ist, glaube ich, auch der Grund, warum ich selbst sehr hoch singe. Ich habe so das Gefühl, mich von meinem Körper zu lösen, es fühlt sich beinahe engelsgleich an. Deswegen mochte ich weibliche Stimmen schon immer.

Als das erste Album von Bloc Party erschien, ist deine Bekanntheit explodiert. Was hat das aus heutiger Sicht mit dir gemacht? Ich habe gelesen, dass nicht mal deine Eltern wussten, dass du Musik machst.
Sie wussten, dass ich Musik mache, aber sie wussten nicht, dass ich mein Studium abgebrochen hatte. Ich wollte ihnen das nicht erzählen, bevor wir unseren Plattenvertrag unterschrieben hatten, weil ich wusste, dass sie durchdrehen würden. Was die Karriere angeht, naja, wir kannten es ja nicht anders. Wir wussten nicht, dass es auch ganz anders gehen kann. Wir dachten einfach, dass es bei allen so ist, die ein Album veröffentlichen. Erst viel später realisierten wir, dass uns damals etwas sehr Besonderes widerfahren ist. Und dass wir dafür dankbar sein müssen. Wer hat schon die Möglichkeit, um die ganze Welt zu reisen und dabei noch Leute zu treffen, die sich für dich, und was du machst, interessieren? Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar.

Dadurch, dass es so schnell ging, erwarteten die Leute allerdings auch sehr viel von euch. Wünscht du dir nicht manchmal, dass es ein bisschen langsamer gegangen wäre?
Ach weißt du, es ist halt so passiert, wie es passiert ist. Ich kann nicht sagen, wie es gewesen wäre, wenn es weniger schnell oder weniger groß gewesen wäre. Keine Ahnung. Wir haben ein internationales Publikum und wir hatten das von Anfang an und ich bin glücklich, dass das so ist. Das ist viel besser, als wenn es superanstrengend gewesen wäre, überhaupt jemanden dazu zu kriegen, unsere Musik zu hören.

Es gab unendlich viele Gerüchte über Bloc Party—Auflösung, doch nicht Auflösung, neues Album, nie wieder ein neues Album. Was ist da los?
Ja, was ist das los? Ich konzentriere mich gerade auf mein Album, Trick, und denke gar nicht so viel darüber nach, was bei Bloc Party los ist. Keine Ahnung. Als wir nach Intimacy eine Pause gemacht haben, gab es keine Pläne für eine Reunion. Das passierte einfach, als wir wieder Lust drauf hatten. So ähnlich fühlt es sich jetzt auch an.


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