Wir leben in einer kapitalistischen Hölle, in der es immer noch Luft nach oben gibt: Wer gut ist, könnte noch besser sein. Wer zweimal die Woche zum Sport geht, könnte auch viermal gehen. Und natürlich könnten wir alle weniger Zeit in den sozialen Medien verbringen, wenn wir eigentlich arbeiten sollten. Wir hören andauernd, dass wir uns selbst pushen müssen, um immer besser zu werden.
Wer solche Anforderungen erfüllen möchte, braucht angeblich vor allem eins: Selbstbeherrschung. Denn wer erfolgreich sein will, muss Abstriche machen. Eine 2012 erschienene Studie der American Psychological Association stellte fest, dass mangelnde Selbstbeherrschung in den Augen vieler Menschen einer der Hauptgründe ist, warum wir unsere Ziele nicht erreichen. Dementsprechend groß ist die Auswahl an Büchern und Artikeln, die uns immer und immer wieder erklären, wie wir an unserer Selbstbeherrschung arbeiten können, um unserem Erfolg nicht selbst im Weg zu stehen. Eine aktuelle Studie kam nun allerdings zu dem Schluss, dass genau das Gegenteil der Fall ist und der Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung letztendlich alles nur noch schlimmer macht.
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Im Rahmen ihrer Studie haben Forscher der Bar-Ilan University vier unterschiedliche Experimente durchgeführt, um herauszufinden, welchen Einfluss der Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung auf unsere Leistungsfähigkeit hat. Die Teilnehmer sollten entweder einfache Aufgaben ausführen, die nur sehr wenig Selbstbeherrschung erforderten oder schwierige Aufgaben, die mehr Konzentration verlangten. Ihr Wunsch nach Selbstbeherrschung wurde vorab bestimmt und durch eine Reihe von Experimenten so manipuliert, dass er zu- oder abnahm. (Beispielweise sollten sie einen Aufsatz darüber schreiben, warum Selbstbeherrschung kritisch zu betrachten ist, beziehungsweise warum Selbstbeherrschung unerlässlich ist, um bestimmte Ziele zu erreichen.)
Wie die Forscher feststellten, schnitten die Teilnehmer, die sich mehr Selbstbeherrschung wünschten, in allen Versuchen, die mehr Selbstbeherrschung erforderten, tendenziell schlechter ab. “Ihre Leistung nahm ab, weil ihr Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung dazu führte, dass sie schneller aufgaben oder sich weniger anstrengten”, merken die Forscher der Studie an. “Sie waren davon überzeugt, dass Aufgaben, die mehr Selbstbeherrschung erforderten, ihr (vermeintliches) Unvermögen nur bestätigen würden. Das hatte wiederum zur Folge, dass ihre Motivation sank.”
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In anderen Worten: Wer denkt, er sei nicht gut genug – oder könnte besser sein – fühlt sich schlecht und rettet die Situation auch nicht damit, dass er sich selbst geißelt – eine selbsterfüllende Prophezeiung. “Auch äußere Einflüsse, die den Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung wecken (z.B. Medien, die immer wieder von den Vorteilen von Selbstbeherrschung sprechen), könnten unwillkürlich negative Auswirkungen haben, die in der Vergangenheit nicht ausreichend berücksichtigt wurden”, schreiben die Forscher.
“Eine der Kernaussagen unserer Arbeit ist: Unsere Gesellschaft mag zwar davon profitieren, dass Kinder und Erwachsene über ein hohes Maß an Selbstbeherrschung verfügen, doch allein der Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung könnte uns bei der Verwirklichung dieses Ziels im Weg stehen”, erklärt Dr. Liad Uziel, einer der Autoren der Studie, in einer Pressemitteilung. “Obwohl man Menschen vielleicht damit helfen möchte, dass man in ihnen den Wunsch nach mehr Selbstbeherrschung weckt, könnte man damit riskieren, dass man ihr Selbstbewusstsein mindert und Selbstzweifel schürt, die sie letztlich auch daran zweifeln lassen, dass sie die Fähigkeit haben, selbstbeherrschter zu sein.”
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“Ich glaube, ganz grundsätzlich möchten wir mit unserer Studie sagen, dass man seine Ziele nur erreichen kann, wenn man an sich selbst und seine Fähigkeiten glaubt. Außerdem sollte man sich vor Augen halten, dass es immer ein Kampf ist, der mit einer gewissen Frustration verbunden sein kann, wenn man versucht, ein Ziel zu erreichen”, erklärt Dr. Uziel gegenüber Broadly. “Wer sich dessen bewusst ist, nimmt sich selbst den Druck und geht konstruktiver an Herausforderungen heran.”
Also entspann dich. Du machst das schon!