Update: 30.3.: Die Delfine und ihre Trainingsanlage in Sevastopol befinden seit einigen Tagen in der Hand der russischen Marine, die das Programm wieder aufnehmen und weiterbetreiben wird. Wie ein Mitarbeiter des Ozenariums anonym gegenüber der russischen RIA Nachrichtenagentur angab “haben die Wissenschaftler und Mitarbeiter damit begonnen neue Methoden zur Verbesserung der operationalen Unterwasser-Fähigkeiten der Delfine zu entwickeln.”
Mitten in der aufgeheizten Stimmung auf der Krim gibt es ein paar unscheinbare und friedfertige Experten, die schon einige Erfahrung mit dem Überwinden kontroverser Krisen haben. Sie leben im Delfinarium von Sevastopol. In den vergangenen Jahre mussten Meeressäuger auf der Krim schon für die unterschiedlichsten Zwecke herhalten: militärische Jagd-Delfine, Spionage, Autismus-Therapie, Tourismus-Shows und regionale Polit-Possen. Spoiler: Ihre wechselhafte Geschichte spiegelt mehr das bunte Bouquet der Zurichtung von Tieren zu menschlichen Zwecken wieder, als dass es auf ein pazifistisches Flipper-Happy-End Hoffnung macht.
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Bereits 1965 begann in der Stadt am schwarzen Meer das systematische Training von Delfinen: Ein Forschungsprogramm der sowjetischen Marine erkundete und trainierte das Potential der Meeressäuger für die Marine—im Zusammenhang mit den Operationen der strenggeheimen U-Boot Basis in Balaklava.
Selbstverständlich dienten dementsprechend auch nur die hochdekoriertesten Armee-Angehörigen zusammen mit den Großen Tümmlern, deren natürlicher Lebensraum ohnehin das Schwarze Meer ist. Galina Shurepova beispielsweise, die erste weibliche Taucherin in der sowjetischen Armee, trainierte später als leitende Expertin auf der Basis die Militärdelfine.
Josef Stalin höchstpersönlich hatte im Jahr 1953 beschlossen, dass in unmittelbarer Nähe von Sevastopol eine Basis für die gefürchtete Schwarzmeerflotte tief in den Felsen gegraben werden sollte. Die unterirdische Anlage konnte dem direkten Treffer einer Atombombe standhalten, bis zu 3.000 Soldaten über einen Monat autark versorgen, und war unter höchsten Anstrengungen vor feindlichen Aufklärern und Satelliten getarnt worden.
Der Job der verschwiegenen Delfine war es nun unter anderem darauf zu achten, dass sich vom Meer aus keine Spione oder Feinde den Bunkeranlagen näherten. Wie der Wissenschaftler Vadim Gutsman gegenüber AP erklärte, erledigten die Meeressäuger ein Spektrum an Tätigkeiten:
„Ihre Aufgaben reichten vom Suchen militärischer Ausrüstung bis zum Bekämpfen subversiver Unterwasserkommandos, die in bewachte Gebiete eindringen. Sie halfen auch Tauchern mit der Lieferung von Reservesauerstoffflaschen und beim Abschleppen von desorientierten Tauchern.”
Schnell bewiesen die intelligenten Meeressäuger ihre vielfältige Nützlichkeit und so entwickelte sich das Programm zu einem der Höhepunkte in der Domestizierung von Tieren zu Kriegszwecken. Sozusagen ein Unterwasser-Pendant zu den Kamikaze-Tauben, die während und kurz nach dem zweiten Weltkrieg als prä-kybernetische Raketensteuerung fungierten.
Nach dem Ende des Kalten Krieges verließen 1996 die letzten U-Boote den Bunker von Balaklava und die ehemals streng geheime Anlage wurde schließlich zum Marinemuseum umgebaut, während Delfine in Sevastopol vor allem in anderen Programmen zu bestaunen waren: Als Show-Tiere und zu therapeutischen Zwecken.
Die Therapien richten sich an ein internationales Publikum, und wurden lange auch in Deutschland beworben. Eine deutsche Familie berichtete beispielsweise im Jahr 2001 von großen Erfolgen der Therapie bei ihrer unter frühkindlichem Autismus leidenden 4-jährigen Tochter. In 15-20 minütigen Sitzungen entfalteten die Delfine ihre beruhigende soziale Wirkung, und die von ihnen ausgesandten Signale waren als therapeutisches „minimales Kribbeln, ähnlich einer elektrischen Kleinststromtherapie” spürbar, wie die Eltern berichteten. Die Therapie in dem staatlichen Ozenarium der Ukraine, überzeugte jedoch scheinbar nicht vollkommen, da sie „stark von der bekannten Therapieform in den USA ab[weicht].”
Das genaue Schicksal und der Verbleib aller Delfine aus dem Forschungsprogramm lässt sich nach dem Ende des Kalten Krieges nicht vollständig nachvollziehen. Boris Zhourid, der als Cheftrainer die Militärdelfine trainiert hatte und auch über die 1990er noch für sie zuständig war, gab jedenfalls im Jahr 2000 bekannt in den Iran auszuwandern—inklusive einiger der Meeressäuger: „Wäre ich ein Sadist, dann hätte ich in Sevastopol bleiben können.”
Zhourid berichtete, dass er keine Ressourcen mehr zur medizinischen Versorgung seiner Tiere hatte, nachdem die Einnahmen der Touristen vor allem im Winter ausgeblieben waren. Und so wurden insgesamt 27 Tiere—unter anderem auch Seelöwen, Walrosse und ein Weißwal—in ein russische Transportflugzeug geladen und an den Persischen Golf geflogen.
Zur weiteren Verwendung der Söldnerdelfine im Iran machte er nur vage Angaben: „Ich bin bereit zu Allah oder zum Teufel zu gehen—solange es meinen Tieren gut geht.” Die russische Zeitung Kosmolskaya Pravda, der Zhourid diese Worte diktierte, schien im Übrigen eher besorgt und empört über den billigen Ausverkauf des ehemaligen Sowjetprogramms durch die Ukraine.
Andererseits hat eine Quelle aus dem ukrainischen Militär im Jahr 2012 verkündet, dass die landeseigene Marine, dass Programm nie ganz aufgegeben habe, und inzwischen wieder aktiv fortführe. Der Informationskrieg um die Ukraine war übrigens auch vor Monaten schon in vollem Gange, und so gab es im März 2013 eine angeblich mutmaßliche Falschmeldung, unter anderem verbreitet von der russischen Agentur ria, dass drei Killer-Delfine ausgebrochen wären und nun im Meer auf Menschnejagd seien könnten. Just im Sommer 2012 kam zu den Gerüchten um die Wiederaufnahme des militärischen Delfinprogramms durch die ukrainische Marine, auch die Nachricht über das Aus des therapeutischen Einsatzes der Delfine, wie mir eine Mitarbeiterin des Delfinariums von Sevastopol berichtete.
Zuvor hatten sich die Meeressäuger auf der Krim so bewährt, dass sie auch nach dem Ende des Kalten Krieges fröhlich für so ziemlich alles herhalten mussten: Von Auftritten in post-sowjetischen Schnulzen, über die Namensgebung unzähliger regionaler Hotels, bis hin zu für Touristen angebotenen Schwimmstunden in ihren erschreckend kleinen Becken. Laut äußerst aufgeregten Besucherberichten sind diese gerade einmal ungefähr 6 bis 8 Meter groß. Touristen berichteten außerdem, dass das ganze auch für den Geldbeutel von Delfin-Fans eine eher unangenehme Erfahrung sei—10 Minuten Delfin-Schwimmen kosten die, mit dem ukrainischen Durchschnittslohn eher inkompatible, Summe von 50 Euro.
Weit und breit will in Sevastopol also keine Harmonie um die Delfine einkehren. Die Meeressäuger, die für die Bewohner der Stadt inzwischen längst als regionales Inventar gelten, sind vielmehr auch Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges noch für handfeste Konflikte gut.
So wurde vor rund einem Jahr das regionale Delfinarium zu einem heißumkämpften Politikum. Die Auseinandersetzung im April 2013 ging soweit, dass die empörten Anwohner das regionale Verwaltungsgebäude stürmen wollten, wobei eine Demonstrantin im Protestgetümmel sogar ohnmächtig wurde. Klingt nach engagiertem Einsatz, aber auch nur nach „Free Willy” für Anfänger—eine kaum rührende Kampfgeschichte zum Erhalt eingesperrter Delfine.
Als ich mich nach dem weiteren Schicksal der Tiere im Delfinarium von Sevastopol angesichts der Krim-Krise erkundigen wollte, fand ich eine äußerst unaufgeregte und krisenfeste Gesprächspartnerin am anderen Ende der Leitung vor. Die Mitarbeiterin des Delfinariums, die es—vermutlich aus alter Gewohnheit—vorzog anonym zu bleiben, erzählte mir in aller Ruhe: „Wir machen uns keine Sorge, dass der Konflikt irgendwelche Auswirkungen auf unsere Arbeit und unsere Shows haben wird.”
Momentan ist das Delfinarium ohnehin geschlossen und wird erst im April wieder für die reguläre Besuchersaison eröffnet. Die allseits sympathischen Meeressäuger mögen den Kalten Krieg lange überstanden haben—aber ihre Geschichte liest sich mehr wie eine absurde Abhandlung menschlicher Domestizierung, denn wie die Rolle eines effektiven Empathie-Träger für das Miteinander der Menschen auf der Krim. Klingt nicht nach Aussichten auf eine selige Happy-Flipper-Geschichte auf der Krim.