Wenn man Jennifer Mulford aus Atlanta sieht, würde man nicht glauben, dass sie von der britischen Boulevardzeitung Daily Mail als „die Frau, die die Welt schockierte”, beschrieben wurde. Der Grund für diesen dramatischen Titel? Mulford hatte öffentlich verkündet, ihrem 36-jährigen Partner liebend gerne die Brust zu geben. Die Beiden sprachen über ihre spezielle Vorliebe für sexuell konnotiertes Stillen bereits in mehreren Interviews und traten in der australischen Radioshow Matt & Meshel auf.
Dabei sind Fetische im Großen und Ganzen eigentlich nichts mehr, was die Leute sonderlich schockiert—immerhin kann man mittlerweile auch auf Buzzfeed Artikel über Analsex lesen und bekommt BDSM-Tipps von regulären Frauenmagazinen, die sonst eher durch Diättipps auftrumpfen. Aber irgendwas hat dieser Fetisch an sich, mit dem die Leute ganz und gar nicht klarkommen. Der Großteil der Online-Kommentare bezeichneten Jennifer Mulfords Vorliebe als „widerlich” oder „grotesk”. Jemand ging sogar so weit zu sagen: „Ich bekomme davon solche Gänsehaut, dass es mich richtig schüttelt.” Mütter auf Twitter und Facebook warfen der US-Amerikanerin vor, sie würde etwas Wunderschönes und absolut Natürliches sexualisieren und in den Dreck ziehen. (Mulford selbst hat kein Baby, sondern nutzt Hormonpräparate und eine Milchpumpe, um die Milchproduktion künstlich anzuregen.) Doch nichts verbreitet sich im Netz schneller als pure Empörung: Der Mail-Artikel hatte 2.734 Retweets.
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Dabei handelt es sich bei erotischer Laktation keinesfalls um einen ausgesprochen seltenen Fetisch. Es gibt zahlreiche Online-Communities zum Thema Erwachsenenstillen, in denen sich Leute in einer sicheren Umgebung über ihre gemeinsame Vorliebe austauschen können und das Gefühl haben, dass sie nicht allein sind. Adultbreastfeeding.org beispielsweise hat 3.425 Mitglieder und es gibt noch viele andere Leute, die sich über das Thema in Blogs, Foren, auf Tumblr oder in privaten Chat-Rooms unterhalten.Außerdem bekommt man dort Tipps, wie man die Milchproduktion anregen und erhalten kann, selbst wenn man nicht schwanger ist.
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Tatsächlich handelt es sich dabei um einen langwierigen und komplizierten Prozess. Es kann bis zu drei Monate dauern, bis man irgendwelche Resultate sieht. Eine besonders beliebte Methode ist die Verwendung einer Reizstrommaschine, die normalerweise gegen Muskelschmerzen verwendet wird: Dabei werden die Brüste viermal am Tag 20 Minuten lang mithilfe schwacher elektrischer Ladungen stimuliert. Das hört sich ähnlich unsexy an, wie Erwachsenenstillen im Allgemeinen auf Nicht-Fetischisten wirken dürfte.
Kate* sagt, dass die Beziehung zu ihrem Mann sehr viel stärker geworden ist, seit sie ihn stillt. „Das hat uns definitiv näher zusammengebracht. Wir haben jetzt häufiger Sex, aber wir fühlen uns auch im Alltag sehr viel besser, sehr viel verbundener.” Das Stillen, sagt sie, führt zwar meistens zu Sex, aber eben auch nicht zwingend. „Manchmal tun wir es auch, während wir fernsehen.”
Heute ist sie über 50, sie kann sich aber noch daran erinnern, wie sehr sie es genossen hat, ihre Kinder zu stillen. „Ich habe geweint, als meine älteste Tochter endgültig abgestillt war. Ich denke, es hat mir einfach gefehlt. Mein Mann war derjenige, der vorgeschlagen hat, es zu versuchen und es hat uns beiden gefallen. Ich füttere ihn um die vier Mal am Tag.” Die meisten sprechen davon, dass sie dabei ein neues Gefühl von Vertrautheit und Intimität zu ihrem Partner aufbauen.
Andere Frauen, die ihren Partner stillen, sagen, dass das Ganze nichts mit Sex zu tun hat. In einem privaten Online-Forum meinte eine Frau, dass durch das Stillen die Panikattacken ihres Partners gelindert werden.
Wir fühlen uns sehr viel ebenbürtiger, wenn mein Mann an meiner Brust nuckelt.
„Aus psychologischer Sicht kann ich es nicht beurteilen”, schreibt sie, „aber es funktioniert auf einer unterbewussten Ebene. Diese Form des Stillens hat absolut nichts mit Sex zu tun. Es geht nur darum, einen Ort zu haben, an dem unsere Seele zur Ruhe kommen kann, wo sie sich sicher und geliebt fühlen kann, um zu wachsen und sich weiterzuentwickeln.”
Für Menschen, die nicht in einer langjährigen Beziehung leben, ist es sehr viel schwieriger, ihren Fetisch auszuleben. Der 27-jährige Redditor Dan schämt sich dafür, gestillt werden zu wollen und hatte noch nie die Gelegenheit, es auszuprobieren. „Ich habe einfach keine Ahnung, wie ich es ansprechen soll”, sagt er. „Ich habe Angst, dass jemand denken könnte, ich sei eklig oder seltsam. Ich hatte noch nie den Mut, das Thema anzusprechen—und das wird sich vielleicht auch nie ändern.”
Dan hat seinen Fetisch entdeckt, als er im Netz über ein Video gestolpert ist, das eine Frau gezeigt hat, die mit ihrer Muttermilch herumspritzt. „Ich habe es angeklickt, weil ich dachte, dass es mich anekeln würde. Aber es hat mich ziemlich angetörnt und ich weiß nicht wirklich, warum. Ich habe danach nach weiteren Videos gesucht. Ich wünschte, ich könnte es ausprobieren.”
Für Fetischisten, die ihren Partner nicht fragen können oder wollen, gibt es allerdings durchaus Optionen. Mommy Madelaine nennt sich selbst die „Erwachsenen-Babysitterin” und verdient ihren Lebensunterhalt seit 1999 ausschließlich damit, die Rollenspielfantasien anderer Menschen zu erfüllen. Dazu gehört unter anderem auch Erwachsenenstillen. Sie sagt jedoch, dass selbst unter ihren tausenden von Kunden, das Thema Stillen nur sehr selten aufkommt. Der Großteil der erwachsenen Babys scheint kein Interesse daran zu haben, gestillt zu werden.
Mommy Madelaine glaubt, dass es sich bei dem Fetisch durchaus um ein sexuelles Tabu handeln könnte. „Stillen ist eine intime Bindung zwischen Mutter und Kind”, sagt sie. „Jeder Fetisch, der mit dem Säuglingsalter oder der Kindheit zu tun hat (z.B. Age Play, Diaper Lovers, Erwachsenenstillen), ist verpönt, weil die Leute solche Vorlieben irrtümlicherweise mit Pädophilie in Verbindung bringen.”
„Der Fetisch stößt deshalb auf so viel Ablehnung, weil er zwei Dinge miteinander vereint, die uns als Gesellschaft sehr unangenehm sind”, erklärt die Sexualerzieherin und Telefonsex-Anbieterin Tonya Jone Miller. „Zum einen existiert noch immer die Vorstellung, ein Mann sollte nicht von einer Frau abhängig sein—er sollte nicht verwundbar und sie nicht stärker als er sein. Zum anderen stören wir uns an der Vorstellung, eine Frau könnte das vermeintlich Heiligste an ihrem Körpers und ihrer Weiblichkeit sexualisieren.”
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Ich frage Kate, ob sie sich durch das Stillen stärker fühlt oder ob ihr Mann das Gefühl hat, schwächer oder verwundbarer zu sein. „Das würde ich so nicht sagen, nein. Tatsächlich fühlen wir uns sehr viel ebenbürtiger, wenn mein Mann an meiner Brust nuckelt. Wir haben beide das Gefühl umsorgt zu sein und gebraucht zu werden.”
In den meisten Erwachsenen-Stillbeziehungen geht es nicht um Age Play oder Machtspiele. Die Leute, mit denen ich geredet habe, wollten sich nicht wie eine Mutter fühlen. Und auch der Wunsch, wieder in seine Kindheit zurückzukehren—wie es oft bei erwachsenen Babys der Fall ist—kommt auf Seiten zum Thema Erwachsenenstillen nur selten zur Sprache.
Die beiden Fetische scheinen zwar irgendwie miteinander verwandt zu sein, kommen aber nur äußerst selten in Kombination vor. Sicher ist nur, dass die Leute etwas aus der Erwachsenen-Stillbeziehungen ziehen, das Außenstehende wohl einfach nicht nachvollziehen können. „Ich glaube nicht, dass ich das [was mir das Stillen gibt] durch irgendetwas anderes bekommen könnte”, sagt mir Kate. „Das ist einfach einzigartig.”