Ich war auf einer Kuschelparty und habe Freunde gefunden

Foto: Smellyavocado | Wikimedia Commons | CC BY-SA 3.0 (cropped)


Ich bin generell ziemlich touchy und umarme gerne. Auch Menschen, die ich noch nicht ganz so lange kenne und für die das anfangs vielleicht etwas befremdlich wirken mag, aber auch die gewöhnen sich früher oder später daran, dass ich ihnen zur Begrüßung gleich mal um den Hals falle. Das ist so ein bisschen mein Ding: Herzlichkeit. Davon hab ich sehr viel und jeder soll was davon kriegen.

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Die Idee einer Kuschelparty ist also nichts, das ich nicht irgendwie mit mir ausmachen könnte. Meine Angst vor körperlicher Nähe hält sich wie gesagt in Grenzen und eigentlich bin ich eh recht verschmust. Abgesehen davon ist alles, was ich mir darunter vorstellen kann, ein schnurrender Menschenberg—ähnlich wie das Ende von Das Parfum, nur angezogen und ohne den Sex.

Kuschelpartys gibt es in Wien inzwischen schon seit mehr als fünf Jahren. Ursprünglich kommt das Konzept aus den USA, wo es anfänglich zur Paartherapie genutzt wurde und ähnlich wie Fast Food und Britney Spears irgendwann nach Europa rüberschwappte, um unser Leben ein kleines bisschen besser zu machen. In Wien initiiert diese Treffen eine Dame namens Andrea Kiss. Ich schwöre. Ja, das mag vielleicht auch dein alter Myspace-Nickname sein, bei genauerer Überlegung ist es aber auch der einzig richtige Nachname für jemanden, der Kuschelpartys veranstaltet.

Es schüttet wie aus Eimern, als ich mich auf den Weg mache. Passt eh, Kuschelwetter halt. Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte nicht im Vorhinein schon ein bis zwei Persönlichkeitsspritzer gekippt, einfach um mir selbst ein bisschen mehr Spaß zu machen. 1160 macht mich richtig feucht und bis ich in den Räumlichkeiten angekommen bin, riecht mein Pulli nach nassem Hund. Zigarettenfinger stinken aus dem Regen ja auch immer irgendwie schlimmer, könnte also unangenehm werden.

“Komm geduscht und verwende kein starkes Parfüm oder Aftershave, deine KuschelpartnerInnen werden es dir danken.”—So steht es in den offiziellen Richtlinien. Das tut mir im Nachhinein leid, ich miefe nämlich nicht nur nach Rauch und Nicht-ganz-trocken-geworden, darunter lungert auch noch eine Schicht Parfüm aus dem Privatsortiment meines Bruders und jetzt dufte ich wie ein Sandler im dm.

In dem Raum, von dem ich annehme, er wäre eine Art Warteraum, sitzen alle stumm da. 16 Teilnehmer sind da. Altersmäßig scheint von 20 bis 60 alles dabei zu sein, wobei die Tendenz eher nach oben hin geht. Die meisten starren verhalten Löcher in die Luft. Ich auch, aber grinsend—teils wegen des Weins, aber hauptsächlich deshalb, weil mir der Gedanke, ich und diese Menschen in Jogginghosen würden vielleicht schon bald aufeinander liegen, in diesem Moment so grotesk erscheint. Hier und da findet leiser Smalltalk zwischen Leuten statt, die sich augenscheinlich nicht zum ersten Mal begegnen. “Du warst letztes Mal auch schon da”, “Ich habe den Krebs besiegt”, die Richtung. Ich bin völlig falsch angezogen.

Wir werden in den Seminarraum gebeten, Sitzkreis mit Teelichtern in der Mitte. Religionsunterricht-Ästhetik. Ein abgeranztes Stoffviech wird durch die Runde gereicht und wir stellen uns nacheinander vor. Viele Neulinge sind dabei, zwei davon sogar in meinem Alter. Mehr als Namen und Gefühle müssen wir nicht preisgeben: “Ich bin Franz und gespannt” reicht da schon. Manche kennen das schon und machen routinierte Scherze, über die niemand lacht, eine Frau ist extra aus Ungarn angereist, nur für diesen einen Abend, weil sie “neugierig” sei. Ich versuche entspannt zu wirken, aber meine halbtrockenen Jeans sind nun mal nicht annähernd so bequem wie die Pyjamas der anderen. Außer mir ist nur noch eine klein geratene Dame Anfang 50 doof genug gewesen, um auch in Straßenkleidung aufzutauchen. Sie hat diese gesträhnte Mama-Kurzhaafrisur, trägt einen Kilo Goldschmuck auf den Fingern und reißt ihre Augen ganz weit auf, wenn sie spricht. “Das ist eine Gitti“, denke ich mir. Die mag ich.

Andrea Kiss erklärt nochmal kurz den Ablauf des Abends. Rückmeldungen seien das Wichtigste. “Wenn du ein deutliches Nein empfindest, sage Nein. Wenn du ein Vielleicht empfindest, sage Nein.” Das ist ungefähr mein Tinder-Mantra und spricht mir schon mal direkt aus der Seele. Außerdem ginge es hier um “absichtslose Berührung”, Intimzonen wären tabu und Sex finde hier sowieso keiner statt. Die Ungarin seufzt enttäuscht.

Wir tanzen wie Deppen, es ist super. In der ersten Runde soll es darum gehen, locker zu werden—Andrea spielt Safri Duo und alles geht gschamig im Kreis, meine neue beste Freundin Gitti feiert den ärgsten Turn-up ihres Lebens. Ich liebe sie ein bisschen. Dann, noch in der ersten Runde, folgen die für mich wahrscheinlich schlimmsten Sekunden des gesamten Abends: Wir sollen vor der nächstbesten Person stehenbleiben, Augenkontakt aufbauen und diesen anhalten. Mich erwischt ein Norbert. Oder Gerd, würde ich zumindest schätzen. Er ist einer dieser kernigen, eher kleineren Männer Ende 40, die einfach nicht normal dastehen können, ohne dabei ihre Hände an der Hüfte abzustützen—genau in die Bauchfalten—und sich damit so künstlich aufblasen. Norbert und ich haben gefühlte zehn Minuten lang den unangenehmsten Blickkontakt aller Zeiten und ignorieren uns für den Rest des Abends.

“Darf ich dich berühren?”, sollen wir unser Gegenüber, das inzwischen nicht mehr Norbert ist, in der nächsten Runde fragen, bevor wir unsere Hände auf die Schultern des jeweils anderen legen und von da aus streichen, kneifen, wischen, drücken, irgendwas machen sollen. Mit “Ja” oder “Nein” gibt der oder die andere Rückmeldung darüber, ob es für ihn oder sie so angenehm ist, was mich dazu zwingt, ein liebloses “Ja” nach dem anderen abzugeben, während eine Frau Mitte 20 über meinen Oberkörper tastet: “Ja.” Mein Pulli hat einen flächendeckenden gummierten Print vorne drauf, das macht mich nicht gerade flauschig und jedes Streicheln quietscht leicht. “Ja.”

Foto: Mike Goren | Flickr | CC BY 2.0

Als nächstes muss ich dann den aktiven Part übernehmen, will aber niemanden altersbedingt diskriminieren und gehe daher auf einen älteren Öko-Typen mit langen Haaren und Walla-Walla-Hemd zu. “Darf ich dich berühren?” Ich habe nicht den leisesten Hauch einer Ahnung davon, was ich da eigentlich mache, aber dem Typen scheint es ganz schön zu gefallen. “Ja. Ja. Mh. Ja.” Er beginnt richtig mitzuwippen, hat seine Augen schon längst geschlossen und lächelt ein beunruhigendes Lächeln. Nachdem ich ihn durch mein unschuldiges Antatschen allem Anschein nach in eine Art Trance befördert habe, fühle ich mich irgendwie schmutzig, bin mir aber in erster Linie meiner Qualitäten als Hure bewusst. Bin ich womöglich sexy?

In der darauffolgenden “Verwöhnrunde” gibt es jeweils eine Person, die sich auf eine Matratze setzt und sich die Augen verbindet, während zwei weitere Kuschler beginnen, ihn zu berühren. Die Verwöhnenden sollen dabei möglichst nicht sprechen, der Verwöhnte hingegen darf und soll konstant Feedback geben, Wünsche äußern und auch sagen, was seine persönlichen Tabuzonen sind. Ich gebe notgedrungen an, nicht an den Füßen berührt werden zu wollen, damit es zumindest irgendwie den Eindruck erweckt, ich wäre annähernd bei der Sache. In Wahrheit ist mir gerade alles wurscht. Dass ich damit ziemlich alleine dastehe, entnehme ich dem lautstarken Stöhnen auf der Matratze nebenan. Fast schon erlösend klingt es, dieses Raunzen. Die Menschen hier sind so dankbar, körperliche Nähe erfahren zu dürfen. Irgendwie freut mich das.

Gitti heißt in Wirklichkeit Gabi und übernimmt mit mir die Verwöhnung eines älteren Herrn, der sich dazu entschlossen hat, einfach keinerlei Anweisungen zu geben und Gabi und mich im Dunkeln tappen zu lassen, wobei das Dunkle in diesem Fall sein zusammengestauchter Körper ist. Gabi und ich werfen uns ratlose Blicke zu, versuchen, uns irgendwie in Zeichensprache darüber zu verständigen, wer jetzt die Schultern und wer die Unterschenkel bearbeitet, nicht wissend, ob wir ihm gerade schlimme Schmerzen zufügen oder Dreier-Fantasien erfüllen und lachen dabei stumm. Ich liebe Gabi immer noch. Sie findet das alles genau so witzig wie ich.

Einmal bin ich noch mit Verwöhnen dran, diesmal den einzigen jungen Typen. Der ist Anfang 20 und hat zu meiner Verwunderung ziemlich konkrete Vorstellungen davon, wie und wo er es möchte. Haare streicheln, Unterarme kratzen, mit den Fingerspitzen über die Brust tippen, Hände auf dem Bauch auflegen, Beine umfassen. Er dirigiert mich und meine Partnerin, die leider nicht mehr Gabi ist, akribisch genau und macht die Situation dadurch weniger seltsam, weil wir ständig beschäftigt sind. Später wird er mir erzählen, er hätte im Internet aktiv nach einer Möglichkeit gesucht, Berührung zu erfahren. Er ist der einsamste Kerl im Krankenhaus aus Scrubs.

Nachdem immer wieder betont wird, dass es kein Muss gibt und mich “Angel” von Sarah McLachlan ohnehin eher aggressiv macht als beruhigt, bleibe ich während des großen Kuschel-Klimax lieber an der Seite liegen und warte das Ende ab. Das ist der Parfum-Part aus meiner Vorstellung—von außen betrachtet sieht das aber einfach wie ein paar Menschen aus, die friedlich nebeneinander schlafen. Zugegebenermaßen ist es irgendwie bizarr, den 20-jährigen Burschen von vorhin jetzt dabei zu beobachten, wie er mit einer grauhaarigen Dame, die er gerade erst kennengelernt hat, so innig kuschelt wie ein Babykätzchen mit seiner Mama.

Nach ingesamt drei Stunden sind Andrea Kiss und ich durch für heute. Meine Hände sind klebrig, ich fühle förmlich, wie fremder Schweiß zwischen meinen Fingern haftet. Ich umarme Gabi nochmal und gehe gemeinsam mit dem Mädchen, das mir anfangs den Gummi-Pulli abgetastet hat, zur U-Bahn. Wir rauchen, unterhalten uns über den Typen, der so laut gestöhnt hat, ich borge mir Feuer und frage, was sie so macht. “Momentan? Stand Up-Comedian werden”, sagt sie.

Kuschelt mit Franz auf Twitter: @FranzLicht