Eine brennende Turnhalle, ein Syrer im Wirtshaus und Hitler

In Nauen, im lieblichen deutschen Havelland, nicht einmal eine halbe Stunde westlich von Berlin gelegen, brannte vor einer Woche eine Sporthalle, die übergangsweise als Unterkunft für 130 Geflüchtete hergerichtet werden sollte. Die Ermittler gaben nun bekannt, dass es eindeutig ein Brandanschlag gewesen sein muss. Gleich nach dem Anschlag gab es in Nauen eine Mahnwache mit rund 300 Teilnehmern und eine kleine Anti-Rechts-Demo, viele der Demonstranten kamen aus den Reihen der Berliner Antifa.

Ein Freund, der junge und in Syrien und Libanon sehr bekannte Sänger Fayez Hainoun, seit drei Wochen neu in Deutschland, las von dem Brand. Sofort schrieb er mir, dass er Deutschland wieder verlassen wolle, da man hier „Araber nicht mögen” würde, das könne er spüren. Dabei liebt er doch das, was Deutschland für ihn verkörpert so sehr. Freiheit, Frieden, angenehmes Klima, gebildete Menschen, schöne blonde und vor allem großgewachsene Frauen („Heidi Klum”). Und nun im Berliner Umland: der verdammte Brandanschlag, bei dem zum Glück niemand zu Schaden kam. Es war mir ein persönliches Bedürfnis, ihm zu zeigen, dass Deutsche—ja, von allem ein bisschen vielleicht sind—aber auf keinen Fall einfach nur stumpf und voller Fremdenhass. Fayez hatte eine unglaublich teure, anstrengende und gefährliche Reise hinter sich, um hier in Sicherheit zu sein. Er ist von Beirut aus nach Istanbul geflogen, hatte dann von der Westküste der Türkei ein Schlepperboot bestiegen (1.200 Euro für die dreistündige Fahrt, die für Menschen mit EU-Pass oder Schengen-Visum 19 Euro auf einer regulären Fähre kostet) und sich dann für 12.000 Euro in verschiedenen Autos nach Berlin bringen lassen. Für Syrer, die auch im Jahr vier des Krieges noch genug Geld haben, ist das die komfortabelste Art, nach Deutschland zu reisen. Die meisten aber laufen den Weg von Griechenland gen Norden—in 40, 60 Tagen und fahren, je nach Kontostand, etappenweise mal Zug, mal Bus, mal mit Schlepper-Kleintransportern.

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Um meinem syrischen Popstar das Gefühl zu geben, willkommen zu sein, dachte ich, dass es schön wäre, ihn auf die Refugee-Soli-Demo in Nauen mitzunehmen. Und er selber war neugierig. Denn in den ganzen Facebook-Gruppen, in denen syrische Menschen ihre Tipps zu Deutschland austauschen, werden die brennenden Unterkünfte natürlich eifrigst diskutiert.

Ich wollte, dass er sich von der Soli- und Anti-Rechts-Demo überzeugen lässt—davon, dass es gute Menschen gibt, die sich für Geflüchtete aller Nationen einsetzen. Kannte er zuvor nur das Nachtleben von Berlin-Mitte, das ich ihm unlängst zeigte (er war verwundert über die vielen redseligen, aufgekratzten und ihn offensiv anbaggernden Ladys), so ging es nun ins Havelland: auf der Suche nach Neonazis, Sympathisanten, linken Demonstranten und Bürgern des 16.000-Einwohner-Städtchens mit Haltung oder zumindest Meinung.

Die weiten Felder und die Windparks auf der Autofahrt nach Nauen fand er toll. Auf der Autofahrt gen Nauen fühlte Fayez sich später an Syrien im Krieg erinnert—wir rumpelten lange Strecken über echte Dirt Roads (aufgrund von Baumaßnahmen an der B5), und Fayez lachte: „Wenigstens keine Checkpoints hier—aber sonst sieht es aus wie die syrischen Straßen!”

Am Bahnhof Nauen angekommen, rauchte eine Gruppe sehr junger linker Demonstrationsteilnehmer aus Berlin Zigaretten und berichtete von der Demo, die relativ friedlich verlief. Nur ein paar lokale Idioten hätten versucht, lautstark zu pöbeln und manche Anwohner hätten ihnen den Mittelfinger aus dem Fenster gezeigt. Die herumstehenden und rauchenden Nauener Polizisten wollten nicht mit uns sprechen und freuten sich offensichtlich über ihren Feierabend.

Zwei Nauener Teenager gaben mir Erklärungen zur abgebrannten Turnhalle: „Na, nu können se nicht mehr herkommen. Das ham wa den Ausländern gezeigt. Wir haben ja nix gegen die, wenn die da bleiben, wo se herkommen. Nun bleiben se da. So einfach.” Davon, dass ohnehin Unterkünfte in Nauen gebaut werden und die Turnhalle nur als zweimonatige Übergangslösung geplant war, schienen die Schülerinnen mit den dünnen Augenbrauen und den blau-aubergine gefärbten Haaren nichts zu wissen.

Fayez mit zwei Nauenern, die jetzt keinen Platz mehr zum trainieren haben

Am von zwei Polizisten bewachten Tatort, der abgebrannten riesigen Sporthalle in der Robert-Bosch-Straße angekommen, trafen wir ein Paar—beide Sportler, deren Vereine nun in eine andere Halle umziehen müssen. Sie machten sich Sorgen um den Ruf Nauens, um die immer rechter werdende Stimmung und um ihr Training. „So eine Scheiße”, ärgerten sie sich, „dabei wussten doch alle, dass wir nur zwei Monate woanders hätten trainieren sollen”.

Nun falle nicht nur der Sportunterricht für Schüler des naheliegenden Oberstufenzentrums aus, auch hätten alle Sportvereine jetzt Probleme, ihr Training zu organisieren. Die Polizisten pflichteten den beiden bei: „Eine Scheiße.”

Auf der Suche nach Sympathisanten der Brandstifter machten wir uns auf den Weg in eine belebte Eckkneipe—und fanden sie auch bald in der romantischen Innenstadt, die Fayez sehr hübsch und lieblich fand. „Wie können in so einer hübschen Stadt Menschen leben, die so böse sind?”, fragte er mich, als wir das Wirtshaus Altstadttreff betraten. Um es herauszubekommen, setzten wir uns an einen Stammtisch von vielleicht zehn jungen Nauenern und stellten ihnen Fragen.

Die Wortführerin Melanie, in dem von einem kräftigen Türken („Der ist schon 15 Jahre hier, der ist schon fast richtig deutsch, aber kann det nich so jut spreschen”) betriebenen Altstadttreff, erklärte uns zum Glück sogleich die Stimmung vor Ort—aus ihrer Sicht.

Der Altstadttreff in Nauen. Ort hitziger Diskussionen.

„Das hier ist ja keine Demokratie in Deutschland, denn das heißt ja ,Herrschaft des Volkes’. Hier wird über unsere Köpfe bestimmt, und die Politiker haben alle Zeichen der Bürger gegen das Asylantenheim nicht erkannt.” Die abgebrannte Turnhalle sei nun die „logische Konsequenz” und sollte als „Denkzettel”, dass die Asylanten nicht willkommen seien, gedeutet werden.

Ich frage, woher die Politiker denn hätten wissen sollen, dass die Nauener so fremdenfeindlich seien?

„Na, da hatten ja schon mal Dixie-WCs an einer anderen Stelle, wo auch Asylanten hin sollen, gebrannt. Das war ganz klar ein Zeichen. Also ich hab heut auf Facebook einfach nur geschrieben: ,Darauf haben alle gewartet’—also uns war es klar, dass sowas passieren würde.” Ah, ja, klar, OK. „Habt ihr es mal mit einer Petition oder einem Dialog mit den Politikern versucht?”, fragte ich noch. „Nee, wir haben ja Taten sprechen lassen. Und wir haben ne Bürgerwache, weil hier so viel eingebrochen wird. Da sieht man immer Transporter mit bulgarischen und polnischen Kennzeichen, und dann kriegt man mit, dass wieder in der Neubausiedlung eingebrochen worden ist. So ist das nämlich mit den Ausländern.”

Fayez lächelte mit dem Blick eines Mannes, der normalerweise auf riesigen und glitzernden Hochzeitsgesellschaften Lieder von endloser Liebe schmettert. „Also wat ick nich verstehe, jetzt, wo schon mal einer von denen hier ist”, fragte Melanie forsch: „Im Fernsehen sehe ich immer nur Männer auf der Flucht, in den überfüllten Zügen und so. Und alle zeigen immer ihre Riesensmartphones, und dann jammern se, dass ihre Weiber und zig Blagen noch im Krieg hocken und auch kommen müssen. Frag mal bitte, warum das so ist. Bei uns ist das nämlich so, dass die Männer die Familie in Sicherheit schicken und die Männer für Freiheit und Frieden kämpfen.”

Mein syrischer Freund erklärte, dass es doch normal sei, dass die Männer zunächst die schwierige und gefährliche Flucht über die Türkei, über das Meer und nach Nordeuropa auf sich nehmen müssten, um dann Frauen und Kinder nachzuholen. Frauen könnten auf dem Weg vergewaltigt werden, die Kinder geraubt oder krank werden. Und nach vier Jahren Krieg seien viele verletzt, schwach und ausgelaugt. Alle Männer, so erklärte er Melanie, kümmerten sich darum, dass die Familie in Jordanien oder im Libanon in Sicherheit seien. Die Nauenerin fragte nach, warum denn dann nicht einfach alle in Jordanien blieben? „Sind doch ooch Araber, die da, in Jordanien, oder?!” Wahrscheinlich war sie einfach nicht über die Zustände z.B. im Lager Zaatari informiert.

„Also für mich hört sich det so an, also ob er denkt, dass die Frauen irgendwie zu blöde oder zu schwach für die Flucht seien, det kann ja so wohl nicht sein.” Und, fuhr sie fort, eben dass hier nur so viele junge Männer ankämen, das sei ja wohl „klar ein Grund zur Beunruhigung hier”.

Denn neben der abgebrannten Halle seien ja schließlich Schulen mit vielen kleinen Mädchen, „ich mein, Vergewaltiger gibt es überall, aber wenn halt so viele Männer kommen, dann ist ja klar, dass was passiert.” Ich schämte mich, diese Aussage zu übersetzen. Fayez, der auch im Krieg noch vier Jahre lang auf Hochzeiten und runden Geburtstagen reicher Syrer und Libanesen gutes Geld mit seinen Romantik-Shows verdiente—und in auf der Reise nach Deutschland vier Monate in Rumänien blieb, da er sich dort in ein Mädchen verliebt hatte—blickte mich aufmerksam an. In der einen Nacht, in der ich mit ihm durch die Bars von Berlin-Mitte zog, konnte er sich kaum retten vor lauter fast und auch tatsächlich auf seinen Schoß hüpfenden Partygirls und ihren Übernachtungsangeboten. Er fand es amüsant, fühlte sich aber auch von einigen forschen alkoholisierten Frauen bedrängt.

„‚Manche Männer machen Ärger hier’, sagt sie”, versuchte ich, diplomatisch zu übersetzen, und natürlich begriff Fayez—ein charmanter Frauenversteher—ihre Sorge. „Ja, manche Araber machen hier Ärger—aber manche Deutsche ja auch. Das heißt ja nicht, dass alle Deutschen schlecht sind. Genauso wenig wie alle Araber schlecht sind. Nur—die Menschen Syriens brauchen nun besonderen Respekt und Schutz, da bei uns ein blutiger Krieg tobt. Sage ihr bitte, dass wir alle in ein oder zwei Jahren zurückgehen werden, denn kein Krieg dauert ewig.” Melanie schaute Fayez aufmerksam an und auch ihre Trinkfreunde versuchten, seiner sanften Stimme und seinem gutem Englisch zu lauschen. „Na ja, so einer wie er, der kann ja von mir aus bleiben”, schaltete sich Melanies Freundin mit dem strengen Scheitel und den seitlich abrasierten Haaren ein. Es war zu sehen, wie ihre Neugier auf den schönen Mann ihrer indifferenten Angst vor Fremdem wich. Fayez wollte uns Deutschen ein Kompliment machen und bat mich um Übersetzung: „Seit ich klein bin, bewundere ich Deutschland. Ihr habt mit Hitler soviel Gutes gemacht und eure Fußballteams sind die besten der Welt. Ich war immer Deutschland-Fan und träumte von einem Mercedes.” Bei „Hitler” zuckten alle am Tisch zusammen, sogar die türkisch-kurdische Clique des Besitzers am Nachbartisch horchte auf. Fayez war sich nicht darüber bewusst, dass allein die Erwähnung des Namens in Deutschland für Schreckmomente sorgt. Die syrische Lesart der Geschichte rings um den Zweiten Weltkrieg ist in einfachen Worten beschrieben diese: Juden kamen aus Europa und besetzten Palästina. Palästinenser wurden von jüdischen Untergrundkämpfern getötet und vertrieben. Millionen von ihnen flohen nach Syrien, z.B. nach Yarmouk südlich von Damaskus, wo sie damals Schutz fanden. Syrien spricht Israel seit jeher das Existenzrecht ab. Für Syrer heißt Israel nicht Israel, sondern „besetztes Palästina”. Hitler tötete viele Juden und ist deshalb beliebt. So verzerrt diese Weltsicht ist, so ist sie doch in Syrien leider Teil des Mainstreams und damit Teil der Herausforderung, der sich Deutschland stellen muss, um Flüchtlinge zu integrieren und die Ausbreitung von Antisemitismus zu verhindern.

„Na ja, Moment, also dass Hitler gut war, kann man ja so nicht sagen”, erwachte plötzlich doch etwas in Melanie. „Autobahnen klar, aber die Juden …” „Ja, es war doch gut, dass er die Juden umbrachte!”, strahlte Fayez—und dann begann der ganze Stammtisch wild zu diskutieren, wie man das denn nun jetzt sagen könne, und wie ein Ausländer Hitler gut finden könne, Hitler war doch gegen Ausländer—und die Verwirrung war groß. Da ich mit dem Übersetzen kaum nachkam, Fayez überhaupt nicht nachvollziehen konnte, warum denn nun alle auf einmal redeten und die Einheimischen sich uneinig waren, was denn nun der historische Stand und ihre Gesinnung und all das sei, beschlossen wir, Nauen Nauen sein zu lassen, und fuhren zurück nach Berlin. „Komisch”, bemerkte er, „sonst sind die Deutschen so verschlossen, niemand lächelt auf der Straße und niemand will mit mir sprechen—und wenn ich ,Hitler’ sage, sind alle so engagiert, und die Leute wollen mit mir sprechen, wenn ich ihn erwähne!”

Als Fayez mich auf der Rückfahrt auch noch fragt, ob es cool sei, Deutsche mit dem Hitlergruß zu begrüßen, wird mir endgültig bewusst, wie wahnsinnig die ganze Situation eben war. Ich saß mit ein paar typischen „besorgten Bürgern” mit haufenweise rassistischen Vorurteilen an einem Tisch, die einem geflüchteten Syrer erklären, warum Hitler und Antisemitismus nicht OK sind. Wie das weitergehen soll, steht in den Sternen—vielleicht sorgt irgendeine kosmische Gedanken-Chemie dafür, dass all diese Vorurteile sich gegenseitig neutralisieren? Ich weiß es nicht, aber die nächsten Jahre in diesem Deutschland werden auf jeden Fall interessant.


Foto oben: Imago/MeikeEngels