Auf Facebook formierte sich vor einigen Monaten die Gruppe „Expedition Hohlerde”, die eine Reise ins Innere der Erde plante. Ähnliche Pläne dazu gab es schon von früher. Aber diese Gruppe schien sehr entschlossen, das Ganze wirklich durchzuführen. Wir wollten die Teilnehmer interviewen. Aber die waren zunächst misstrauisch. Also „reinigten” wir eines unserer Profile von jedem unpassenden Gedankengut und beantragten die Aufnahme in der Gruppe.
Wir mussten eine Art Motivationsschreiben ausformulieren, in dem wir unseren Wunsch, der Gruppe beizutreten, begründeten. Diese Leute sind misstrauisch. Wir erzählten, dass wir vor etwa einem halben Jahr gelernt haben, dass die Kondensstreifen am Himmel in Wirklichkeit absichtlich versprühte chemische Substanzen sind, die teils schreckliche Folgen haben.
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Dieses Wissen habe uns dermaßen die Augen geöffnet, dass wir nun nichts mehr, was uns die Regierung sagt, glauben könnten. Auf der Suche nach der Wahrheit seien wir nun auf die Hohlweltleute gestoßen. Das hat die Gruppe überzeugt, und wir wurden eingelassen. So beobachteten wir Tag für Tag Diskussionen und Planungen.
Wir lernten, dass die Erde innen hohl ist, und dass sich am Nord- und Südpol Eingänge ins Innere befinden. Innen gibt es eine Sonne mitsamt blühender Vegetation und sogar Kontinente. Einen ordentlichen Tag-Nacht-Rhythmus gewährleistet eine Wolke, die sich in regelmäßigen Abständen praktischerweise über diese innere Sonne legt.
Das hört sich sehr abenteuerlich an. Die erste Theorie der hohlen Erde, die Edmond Halley (der vom Halleyschen Kometen) 1692 formuliert hat, und der gerne und oft von Hohlwelttheoretikern zitiert wird, war aber aus damaliger Sicht nicht unplausibel: Aus Berechnungen zur Dichte der Erde im Vergleich zur Dichte des Mondes sowie über Beobachtungen zum Magnetismus der Erde zog Halley die Schlussfolgerung, dass die Erde innen hohl sein müsse. Weitere Wissenschaftler bauten auf dieser Theorie auf. 1826 wurde vom amerikanischen Kongress die Finanzierung einer Expedition an den Südpol beschlossen, um die Möglichkeit einer Öffnung ins Erdinnere zu prüfen. Allerdings scheiterte die Expedition unterwegs an Meutereien. Heute ist der innere Aufbau der Erde erforscht. Hohlräume sind zur Erklärung der Eigenschaften der Erde nicht mehr nötig. Die Theorie der hohlen Welt inspirierte immer wieder Autoren, das Thema literarisch umzusetzen. Am bekanntesten ist wohl Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde.
Die meisten Hohlwelttheoretiker scheinen sich auf Augenzeugenberichte zu stützen, wie die eines Olaf Jansen, der 1829 in die hohle Erde segelte, oder des Navy-Admirals und Polar-Forschers Admyral Byrd. Letzterer wird besonders oft erwähnt. Byrd war tatsächlich auch Anführer eines größeren Einsatzes der US-Marine in der Antarktis in den Jahren 1946-1947. Hier wurde auch der Stützpunkt „Little America” eingerichtet.
Byrds Bordtagebuch, das nach seinem Tode „gefunden” wurde, und von dem nichts in seiner Biografie steht, enthält die Beschreibung eines Fluges in die Hohlerde im Jahr 1947. Darin wird beschrieben, wie er in der inneren Welt von einem großen und blonden „Meister” mit edlen Gesichtszügen begrüßt wird, der ihn herzlich willkommen heißt und ihm eine Botschaft für die Menschen auf der Außenerde mitteilt. Die Menschenrasse habe den „Point of no return” erreicht. Einige Menschen seien ja eher bereit, die ganze Welt zu zerstören, als dass sie bereit wären, ihre Macht abzugeben. Alle Kontaktaufnahmen seien bisher leider mit Aggression beantwortet worden, die Flugscheiben der Hohlweltbewohner wurden beschossen. Der wichtigste Satz des edlen Führers war: „Nun muss ich Ihnen sagen, mein Sohn, dass eine gewaltige und schlimme Raserei aufzieht, ein mächtiger Sturm wird über Ihr Land fegen, und für lange Zeit wird er wüten.” Bemerkenswert daran ist auch, dass diese Aussage 1947 gemacht und im Futur gehalten wurde.
Diese Beschreibung scheint eine Hauptquelle für die Theorien des Autors Jan van Helsing (eigentlich Jan Udo Holey) zu sein, der oft in der Gruppe erwähnt wird. Dieser meint, dass im Erdinneren verschiedene Lebewesen wohnen. Dazu gehören die „Reptiloiden”, die in Verbindung stehen mit Freimaurern und einer großen Weltverschwörung. Deren Gegenstück scheint ein höher entwickeltes Volk namens „Ariani” (oder Arianni) zu sein, die mit den Germanen verwandt sind. Die Ariani sollen sehr groß gewachsen sein, außerdem blond und blauäugig. Diese Arier, äh, Ariani bewegen sich fort, indem sie auf riesenhaften Raupen reiten. Sie sollen auch in Kontakt mit heute noch lebenden Truppen der Wehrmacht stehen. Diese seien in einem riesigen unterirdischen Stützpunkt in Neuschwabenland stationiert, einem Gebiet in Ostantarktika. Der Stützpunkt wurde nach einer tatsächlich stattgefundenen deutschen Expedition von 1938/39 angeblich dort gebaut. 1945 hätten sich mehrere wichtige Nationalsozialisten und starke Truppenverbände dorthin zurückgezogen. Die USA und Großbritannien versuchten seitdem immer wieder erfolglos, das Gebiet zu erobern. Selbst das Zünden von zwei Atombomben habe nichts geholfen. Van Helsing schlussfolgert daraus, dass das Deutsche Reich weiterhin existiere und nie kapituliert habe. 1994 soll das deutsche Heer noch sechs Millionen Soldaten besessen haben. Diese Armee verfüge auch über 22.000 Reichsflugscheiben. Auch Hitler könnte dort noch leben, meint van Helsing.
Das hört sich zunächst lustig und harmlos an. Aber Van Helsing gilt als berüchtigter Rechts-Esoteriker. In seinem Buch Geheimgesellschaften distanziert sich Van Helsing zwar, wie man es eben heutzutage tut, vom Antisemitismus, es seien ja nicht alle Juden gleich. Dennoch führt er akribisch Listen von Akteuren, die angeblich in Wirklichkeit Juden seien, um zu zeigen, dass die russische Revolution gesteuert worden sei. Auch die amerikanischen Medien, die amerikanische Politik, eigentlich alles, was er für irgendwie böse hält, führt er auf Juden zurück. Und doch zitiert er seitenweise jüdische Autoren, die Dinge sagen, die Deutsche wie er nicht sagen dürften, beispielsweise auf Seite 61 in Geheimgesellschaften 2 den jüdischen Antisemiten Arthur Trebitsch mit dem Satz „Der deutsche Mensch wird es sein, auf dessen Vernichtung das Judentum es abgesehen hat”.
Auch wenn die Hohlweltszene im esoterisch-braunen Sumpf zu stecken scheint, konnten wir keine Nazisprüche in den Diskussionen finden. Vielmehr schienen sie einfach nicht wirklich an Politik interessiert zu sein, zumindest innerhalb der Gruppe. In einer anderen Hohlerde-Gruppe, die größte auf Facebook, sind beispielsweise „Naziparolen” unerwünscht, wie es im Beschreibungstext heißt.
Die aktiven Mitglieder der Gruppe posteten auch auf ihren privaten Profilen nie Werbung für Pegida oder die NPD. Man findet hauptsächlich Sinnsprüche wie „Du triffst 1000 Menschen und keiner berührt Dich, dann triffst Du einen und der verändert alles”. Esoterische Lehrvideos werden viel gepostet. Einer postete einen Survival-Guide für die Zeit des großen Zusammenbruchs. Dokumentationen zu Inkas und verkannten Wissenschaftlern wie Nikola Tesla, aber auch dramatische Berichte über die Lage der Welt sowie Artikel und Interviews des russischen Senders RT tauchen sehr oft auf. Und eben alle möglichen Verschwörungstheorien, wie die These, dass Flüchtlingsbewegungen von der US-Regierung als Waffe eingesetzt werden, oder dass Merkel gerade dabei ist, Deutschland zu einem „Sklavenstaat” umzubauen. Letzteres sind neurechte Theorien, die aber von den Hohlwelt-Leuten nie als solche angesehen werden. Die meisten scheinen sich selbst für offen und neutral zu halten.
In der Expeditionsgruppe wurde über die Monate eifrig geforscht und auch kontrovers diskutiert. Immer wieder tauchten neue Teilnehmer auf, die mitmachten, andere waren eher „skeptisch”. Beispielsweise stellte einer in Frage, wie es denn sein könne, dass man bei einem Flug nach Alaska das angeblich 1.500 Kilometer große Loch nicht sehe. Der Skeptiker (in diesen Kreisen eher ein Schimpfwort) wurde schnell als fieser Eindringling entlarvt. Was ihn verraten hatte, war sein Name. Er trägt nämlich einen „Graf von”-Titel. Dieser Adelstitel weise aber eben darauf hin, dass er mit „den Verschwörern” paktiere, die an einem Scheitern des Projektes dringend interessiert seien, so hieß es. Wer die Verschwörer genau sind, darüber scheint man sich nicht ganz einig zu sein. Van Helsing spricht von den Illuminati. Genannt werden auch abwechselnd „die Bilderberger”, „NWO”, „die FED” (die US-Notenbank) und andere. Diese stifteten, so Helsing, „Chaos, durch die Aufhebung von regionalen Grenzen, Verrohung der Kinder wie auch der Gesellschaft durch Gewalt und Sex aus dem Fernseher, Videospiele und Internet, Zerstörung von Werten wie Familie, Tradition, Kultur, religiöse Ansichten, Ehre und Stolz durch Perversion, Pornographie, Drogen.” Das Ganze spielt sich ganz im Sinne der antisemitischen Protokolle der Weisen von Zion ab, nur dass nicht notwendigerweise Juden vorkommen müssen.
Neben Büchern sind YouTube-Videos und Blogs wohl die wichtigste Informationsquelle. Dem Bilderberger-Graf wurde beispielsweise schwer ans Herz gelegt, doch endlich die Sendung Hohle Erde – Fiktion oder Realität Teil 1-26 anzuschauen. Die Sendung wurde von Terraherz produziert, ein Trutherprojekt im Internet. „Truther” nennen sich Leute, die daran glauben, durch Regierungen und Massenmedien bewusst getäuscht zu werden, und die an der Offenlegung ihrer Wahrheit arbeiten. Terraherz produziert vor allem Videos zu verschiedenen Themen, mit Betonung auf Hohlwelttheorien. Sie behaupten von sich, weder links noch rechts festgelegt zu sein. Dennoch finden sich Verlinkungen zum rechts-esoterischen Kopp-Verlag, sowie zum rechten Blog „Der Honigmann sagt”.
Die Planungen in der Gruppe wurden inzwischen konkreter. Aber immer noch mussten Zweifel aus dem Weg geräumt werden. Ganz verzweifelt schrieb einer, der am Vortag noch wütend den Graf Skeptiker angegriffen hat, er sei ja wirklich selbst kein Skeptiker, aber er könne sich einfach nicht erklären, woher der Magnetismus der Erde kommen solle, ohne einen Eisennickelkern. Diesem wurde von einer Frau, die einen Buddha als Profilbild hatte, geraten: „Vergiss alles, was du an Schulwissen mit Dir rumträgst”. Vielmehr wurde Meditation empfohlen. Ein Vorschlag, der oft gelikt wurde. Er solle sich innerlich zentrieren, die eigene Mitte finden. „Nur mit dem Herzen sieht man gut”, hieß es sehr weise. Und so arbeiteten sich die Mitglieder der Gruppe langsam aber tapfer an ihr Ziel heran: Einen realisierbaren Plan.
Ein Vorschlag war, in Russland ein U-Boot zu chartern und mit Hilfe von Hellsichtigen Gefahren vorauszusehen. Woher man die beschaffen wollte, blieb unklar. Gegenkonzepte waren das Chartern eines Flugzeuges mitsamt Piloten oder das Mieten eines Segelbootes. Ein geplantes Treffen konnte dann leider nicht stattfinden, weil niemand so richtig Zeit hatte. So wurde eine Skype-Konferenz anberaumt. Wir sahen endlich die ersehnte Chance für ein Interview und fragten erneut an. Unsere Anfrage stimmte die Expeditionisten leider sehr misstrauisch, was auch in der Facebook-Gruppe diskutiert wurde. Man äußerte Befürchtungen, dass die „Männer in Schwarz”, quasi die Geheimpolizei der Illuminati, von der Aktion erfahren könnten. Nach längerem Hin und Her wollte darum niemand mehr ein Interview geben. Zu groß die Gefahr. Die Facebook-Gruppe wurde daraufhin auf „geheim” geschaltet. Trotzdem durften wir weiterhin Mitglied bleiben.
Sehr bald wurde entschieden, eine Crowdfundingkampagne zu starten, denn es bestand immer noch das Finanzierungsproblem. Die Kampagne schien recht gut durchdacht. Das Finanzierungsziel waren 32.310 Euro. Damit sollte „ein Segelboot[,] was groß genug für 4 bis 6 Mann ist[,]” gemietet werden, dazu Ausrüstung und Proviant. Außerdem sollten, wie auf Facebook diskutiert, unbedingt Waffen besorgt werden, falls man in der inneren Erde auf Reptiloiden stoßen würde. Ein Mitglied der Gruppe bot sich an, seine Militärerfahrungen in den Dienst der Expedition zu stellen, was alle sehr begrüßten. Zeitlich wurden für die Reise einige Tage berechnet. Besondere Herausforderungen seien dabei, dass man mehrere Tage auf Seerouten unterwegs sei, und dass am Nordpol extreme Minustemperaturen herrschten. Die Kampagne lief dann mit viel Aufregung an. Letztendlich kamen leider nur 9,66 Euro zusammen. Ein verblüffendes Resultat, angesichts eines so populären Projektes. Immerhin erhält man bei einer Google-Suche für den Begriff Innere Erde über 500.000 Hits. Bei hollow earth sind es sogar vier Millionen [benutzt man Anführungszeichen vor und nach dem Suchbegriff, sind es bedeutend weniger Treffer]. Für einige Zeit wurde es dann still in der Gruppe. Aber für die echten Abenteurer, die sie sind, gibt es nun neue Pläne: Man will nach anderen möglichen Eingängen suchen, beispielsweise in Australien. Allerdings habe Google Earth die Koordinaten hierfür sicher manipuliert. Besonders heiß gehandelt wird der Plan, über eine Öffnung am Salzburger Untersberg hineinzukommen. Geplant ist auch ein Stromgenerator auf Raumenergie-Basis. Eine weitere Crowdfunding-Kampage soll bald anlaufen. Möglicherweise hat dieser Artikel ja einigen den Mund wässrig gemacht, und die Expedition kann letztendlich doch stattfinden. Fraglich ist nur, ob die Männer in Schwarz das zulassen.
Titelfoto: Wikimedia, gemeinfrei