Investmentbanking macht dich fertig (und reich)


Moritz Erhardt
—das Bild stammt von seiner R.I.P. Facbeook-Seite. 

Der Tod von Moritz Erhardt, der wenige Tage vor dem Ende seines Praktikums bei der Bank of America Merrill Lynch in London starb, zeichnet ein düsteres Bild von der Arbeitskultur im Investmentbanking—was uns nach dem, was wir aus der Investmentbanking-Welt mittlerweile alles wissen, nicht gerade überrascht. Erhardt wurde morgens tot in der Dusche seines Appartements gefunden. Durch Überwachungskameras kann man rekonstruieren, dass er um kurz nach 5 Uhr morgens seine Wohnung betrat. Lange Nächte, die er durcharbeiten musste, waren während seines Praktikums keine Ausnahme —und sind auch keine Neuigkeit in dem Business. Die genaue Todesursache kann erst nach der Autopsie festgestellt werden, aber einiges deutet darauf hin, dass ein Grund für Erhards Tod Überarbeitung und Erschöpfung sind.
Ich habe mit einem Bekannten gesprochen, der ebenfalls im Investmentbanking bei einer Londoner Großbank ein Praktikum gemacht hat. Er erklärt mir, dass bei Banken eine Kultur der Ausbeutung herrscht. Wer Fragen stellt, moralische Probleme hat, oder dem Druck nicht standhält, fliegt raus.
Aber die Leute, die ins Investment-Banking gehen, wissen, was sie wollen—und zwar das große Geld, und das gibt es eben nicht für lau. Alles, was zählt, ist, das große Geschäft voranzutreiben.

VICE: Moritz Erhardt hat viele Überstunden gemacht, kannst du dir vorstellen, dass das der Grund für seinen Tod war?
Jonathan*:
Ich habe selber sehr grenzwertige Erfahrungen gemacht. Ich habe sehr stark abgenommen während dem Praktikum und war sehr erschöpft. Freitags bin ich nach Hause gekommen und um 10 einfach eingeschlafen und um 2 am nächsten Tag aufgewacht. Es war unglaublich anstrengend, dieses Praktikum durchzuhalten—nicht nur mental, sondern auch körperlich. Du arbeitest oft 12 Stunden und mehr durch. Manchmal musst du bis spät morgens arbeiten und dann ganz früh morgens wieder auf der Matte stehen. Da bleibt kaum Zeit zum Schlafen. Als ,Junior’ bekommst du dazu noch die mühsamen Sachen, die sie nicht machen wollen. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass er gestorben ist, weil er sich mit irgendetwas aufgeputscht hat, aber das weiß ich natürlich nicht. So etwas kommt aber vor.

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Jonathan. Der Praktikant will anonym bleiben.

Ist das den Praktikanten vorher klar, dass es so anstrengend wird?
Auch wenn das ein offenes Geheimnis ist, sagt die Bank vorher nicht, wie dein Arbeitsalltag aussieht. Es sind durchaus 100 bis 120 Wochenstunden, die man arbeiten muss. Man verdient dabei zwar sehr gut und es ist eines der Topgehälter, aber wenn du den Verdienst auf die Wochenstunden umrechnest, die du tatsächlich arbeitest, bekommt man bei einem McDonald‘s mehr. Du wirst dort nicht gut behandelt. Für Leute, die gerade aus der Uni kommen, ist das ein Schock. Ich will mir nicht vorstellen, wie das 2008 ausgesehen hat. Wenn da irgendetwas schiefläuft, haben sich Leute umgebracht. Die psychische Belastung in dem Job ist extrem hoch und viele Leute stehen das nicht durch.

Waren alle Praktikanten erschöpft?
Alle waren erschöpft. Am Ende waren alle komplett fertig und wollten nur noch, dass es vorbei ist, aber du musst bis zum letzten Tag durchhalten. Da wird erst bekanntgegeben, wer einen Job bekommt. Davor muss man sich immer wieder beweisen und du schläfst sehr wenig. Ein Mädchen, mit dem ich zusammengearbeitet habe, hat vor Entkräftung geweint. Sie meinte zu mir, dass wir wie Tiere behandelt werden. Du arbeitest dort wochenlang extrem hart und am Ende wollen sie dann noch mehr Interviews mit dir machen und du musst dich noch einmal beweisen.
Die denken, dass sie mit dir machen können, was sie wollen. Es bewerben sich Tausende Menschen auf diese Stellen, wenn du es nicht machst, oder es nicht schaffst, dann macht es ein anderer. Es herrscht extremer Leistungsdruck und auch der Wettbewerb, der untereinander herrscht, ist enorm.

Wie motivieren sie dann ihre Mitarbeiter dazu zu bleiben?
Wenn sie denken, dass du ihnen etwas bringst, wirst du in exklusive Londoner Privat-Clubs eingeladen, wo so ein bisschen die ,Glamour-World’ gezeigt wird. Sie versuchen dann, dir ein positives Bild zu geben von dieser Welt.
Aber sobald du nicht mehr von Nutzen bist, hast du ein Problem. Dann wirst du fallengelassen. Die interessieren sich dann einen Scheiß für dich.

Spiegelt das auch die generelle Unternehmenskultur der Bank wieder? Dass du nur so viel wert bist, wie du an Geld bringst?
Ja, die schauen sich an, wie viel Geld du bringst und wie wenig sie dir dafür bezahlen können, damit du nicht woanders hingehst. Sie vermitteln dir auch während dem Praktikum, dass sie von dir sehen wollen, dass du hart arbeitest und alles gibst—und mit ,alles‘ ist auch wirklich ,alles‘ gemeint. Du musst als Erster da sein und als Letzter gehen, das wird erwartet. Wenn du dagegen etwas sagt, bist du raus.

Also, es herrscht immer ein impliziter Druck, dass du einfach ersetzt wirst, wenn du nicht machst, was gesagt wird?
Es ist so ein bisschen wie in einem Panoptikum. Es wird ja nie gesagt, dass du bis 5 Uhr morgens arbeiten musst, aber es gibt diesen Druck, am Ende des Tages etwas vorzuzeigen, und wenn du das nicht kannst, dann heißt es: Willst du hier eingestellt werden, oder nicht? Es wurde nie gesagt, dass du als Letzter gehen musst. Aber es ist so. Du kannst nicht vor dem Manager gehen. Von den Praktikanten bekommen ungefähr 50% einen Job, der Wettbewerbsdruck ist einfach enorm groß.

Haben die hohen Bewerberzahlen und der Leistungsdruck auch Auswirkungen darauf, wie Geschäfte gemacht werden? Hattest du manchmal moralische Bedenken?
Es gibt im Investmentbanking verschiedene Bereiche. In manchen Bereichen sehe ich, da kann man wirklich etwas Gutes machen. Da kann ich einer Fluggesellschaft helfen, einen Deal zu machen, aber dann gibt es Leute, die machen genau den gleichen Job und helfen einem riesigen Hedgefund. Es gibt Hedgefunds und Spekulanten, die nur auf Kursschwankungen wetten. Es gibt bei so etwas keinen gesellschaftlichen Nährwert und es zählt nur der Gewinn. Ich weiß nicht, ob ich das machen könnte, also ob ich das moralisch gut fände, aber das Problem ist, in dieser Industrie macht es dann einfach der Nächste. Es wird immer jemanden geben, der es macht.

Hast du selber erlebt, dass mal Regeln gebrochen wurden?
Ich habe das selber nie erlebt. Wahrscheinlich war das 2008 noch anders. Regulierungen finden Banken aber nach wie vor unangebracht. Wenn sie es können und es irgendwie möglich ist, versuchen sie, die zu umgehen.
Würdest du das Praktikum noch mal machen?
Es ist eine Erfahrung, die man machen muss, um abzuschätzen, ob man da arbeiten will. So viele Leute wollen da hin, aber nur die Wenigsten können sich vorstellen, was es bedeutet, dort zu arbeiten. Man sollte sich das gut überlegen, bevor man sich in so einen Job stürzt.

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