Habt auch ihr euch in letzter Zeit zunehmend frustriert durch deutsche Online-Medien geklickt und gefragt, warum eigentlich immer nur die gleichen Bevölkerungsgruppen zu Wort kommen? Diese jungen, progressiven Frauen, die immer ein bisschen zu laut sind, um noch als potenzielle Hausfrauen durchzugehen, die unauffällig durchwischen, während ihre Partner Bundesliga gucken. Wo, habt ihr euch sicherlich gefragt, sind eigentlich die alten, weißen Männer? Wurden sie endgültig mundtot gemacht von Gender-Wahnsinnigen und Feministinnen und der Antifa?
Keine Sorge, sie sind angeschlagen, aber sie leben noch, die alten Männer – oder “mittelalten” Männer, wie Leif Lasse Andersson es augenzwinkernd formuliert. Er ist neuer Männer-Kolumnist bei der Bild und so stolz auf seine Funktion als sexistischer Experte für “Ü50”-Belange, dass er seine Texte nur unter einem offensichtlich ausgedachten Namen schreibt. “Die unrasierte Wahrheit” wolle er ab jetzt “jeden Mittwoch” veröffentlichen, kündigte der Autor am 25. August auf seiner Facebook-Seite an. Die Begeisterung seiner 77 Fans war überschaubar: 10 Reaktionen, 1 Kommentar, 1 Share.
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Tatsächlich sind bereits einen Tag vorher, am 24. August, drei Texte online gegangen – und das im Abstand weniger Minuten. Zwei weitere folgten am 28.08., darunter auch die Kolumne, die offensichtlich den Anfang bilden sollte: “Wie ich Verdacht schöpfte, ich könnte alt geworden sein”. Hier imaginiert sich Andersson eine Welt, in der ihm selbst schwangere Frauen ihren Platz in der Bahn anbieten. Denn er ist alt, haha, so alt, mit Mitte 50, das kann man sich ja gar nicht vorstellen. Kaum auszudenken, wie das ergrauende Schneeflöckchen reagiert, wenn ihm jemand sagt, dass es noch um die 30 Lebensjahre vor sich hat. “Warum sind wir Ü50-Kerle immer noch die Helden des Alltages – trotz pubertierender Kinder, trotz Chefs, die immer jünger werden und Rentenprognosen, die immer dürftiger ausfallen?”, fragt Leif Lasse Andersson und bittet um Leserzuschriften. Bild.de betreibt neben “Post von Wagner” nun also gleich zwei kolumnengewordene Selbsthilfegruppen für alternde Männer am Rand eines Nervenzusammenbruchs.
Viele Texte lesen sich, als seien sie mit dem Penis geschrieben worden
Da überrascht es auch nicht, dass Anderssons Texte mit Geschlechterbildern aus einer Zeit aufwarten, in der große Teile der Bevölkerung noch eigene Erinnerungen ans Mutterkreuz gehabt haben dürften. Besonders eindrucksvoll zur Schau gestellt in der Kolumne “Rette sich wer kann! Meine Frau hat PMS”. Die liest sich, als habe jemand in den 50ern einen Schlaganfall erlitten, den verdammten Text aber doch noch schnell zu Ende tippen müssen. Dann knallt es laut und blitzt, und Bild-Mitarbeiter aus der Zukunft betreten die Szenerie, bewaffnet mit einer futuristischen Technologie, die es erlaubt, menschliches Bewusstsein in einzelne Körperteile zu injizieren. Die Kolumne konnte deshalb vom Penis des dahinscheidenden Journalisten fertiggeschrieben werden, was Sätze erklärt wie: “Jetzt kommt das wahrhafte Paradoxon im Leben eines Mannes: Ohne Frau hat er noch viel mehr Stress mit Frauen! Dies liegt daran, dass auch der härteste Single-Kerl irgendwann mal Sex haben möchte.”
Scherz beiseite. Ganz so ist es wahrscheinlich nicht gewesen. Die unterirdischen Geschlechterbilder der Männer-Kolumne kommen trotzdem nicht von ungefähr. Leif Lasse Anderssons Ouevre als Autor besteht primär daraus, 2013 einen Roman über seine Erfahrungen mit Online-Dating veröffentlicht zu haben. Eines dieser Bücher, in denen Frauen so sind, und Männer eben anders; Mario-Barth-Literatur, aber mit explizit beschriebenen Sexszenen. Midleifcrisis: Als meine Frau mich hinauswarf und ich mit 117 anderen schlief (sic) verkaufte sich anscheinend so gut, dass es ein Jahr später mit ergänzten Reaktionen einiger Frauen und neuem Titel (Warum auch nette Männer nicht zum Frühstück bleiben) neu aufgelegt wurde. Der Inhalt klingt verdächtig nach in die Jahre gekommenem Pick-up-Artist: Mann tobt sich nach gescheiterter Ehe sexuell mal so richtig aus. Was einfach ist, weil Frauen faszinierenden Lebemännern wie ihm einfach alles glauben und sich am Schluss widerstandslos flachlegen lassen. Nervig ist nur, dass die sich dann immer verlieben.
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Der Pressetext beschreibt das Buch als “Lesevergnügen – besonders für weibliche Singles!”. So als würde eine alleinstehende Frau bei den Geschichten über die “nachdenkliche Doris” oder die “eifersüchtige Maria” ertappt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und rufen: “Verdammt, er hat uns durchschaut! Wir haben wirklich alle nur eine Charaktereigenschaft!”
Und so sind Frauen auch in seinen Kolumnen dieses mysteriöse andere Geschlecht, das einerseits wahnsinnig durchschaubar ist, Männern mit seinem seltsamen, irrationalen Verhalten andererseits aber wohl auf ewig ein Geheimnis bleibt. “Es ist absolut unmöglich, herauszufinden, was dieses undurchschaubare Wesen gerade will!”, schreibt Andersson und spricht dabei über eine der Katzen, die ihm von seiner Frau aufgezwungen wurden. Eigentlich meint er damit aber das weibliche Geschlecht. Der innerfamiliäre Haustierkampf, atemlos niedergeschrieben in der Kolumne “Wie ich einen Hund wollte, aber zwei Katzen bekam”, ist nämlich eine Metapher. Darauf, wie launisch Frauen in den Augen des Autors oder direkt der ganzen Männerwelt sind, und dass so eine heterosexuelle Ehe eigentlich auch nicht viel mehr ist als das Zusammenleben mit einem Tier, dessen Sprache man nicht spricht.
Bild.de schafft Safe Spaces für Männer, die in der Vergangenheit leben wollen
“Ü50 – Die Männer-Kolumne” (oder auch “Die unrasierte Wahrheit” – was der offizielle Kolumnentitel ist, bleibt offen) zeigt deutlich, wie die Bild ihre Leserschaft einschätzt: Alternde Männer, die es als permanenten Affront empfinden, dass sich um sie herum Dinge ändern und sich diese Welt da draußen nicht komplett nach ihren ganz persönlichen Bedürfnissen richten kann. Männer, die mit der Gewissheit aufgewachsen sind, dass es zu jedem Geschlecht klar zugeschriebene Verhaltensweisen gibt, die unter keinen Umständen anzuzweifeln sind. Die es ebenfalls “nervig” finden, wenn “die Frau” auch einmal einen Wunsch äußert oder, Horror, überhaupt irgendetwas sagt. Männer, die im Gegensatz zu Leif Lasse Andersson vielleicht nicht einmal in ihrer Fantasie mit 117 Frauen geschlafen haben, aber es trotzdem als absolute Ungerechtigkeit begreifen, dass sie mit Mitte 50 eben nicht mehr der feuchte Traum attraktiver Mittzwanzigerinnen sind. Endlich bekommen diese Abgehängten unserer Gesellschaft, diese alternden Entscheider auf der Suche nach ihrer verlorenen Jugend, ihren eigenen Safe Space. Danke, Bild.
Aber wer ist denn nun dieser “Leif Lasse Andersson”, fragt ihr euch jetzt vielleicht. Dieser Teufelskerl, der nicht nur einen “sexhungrigen Macho”, einen “angeborenen Beischlafschwindler” und einen “kleinen Jungen, der sich nach Liebe sehnt”, in sich trägt, sondern auch noch in der Chefredaktion (oder “Chefetage”) eines journalistischen Erzeugnisses des Axel-Springer-Verlags sitzt? Welcher Mitarbeiter ist Mitte 50, hat drei Kinder, arbeitet seit über 20 Jahren als Journalist und verbringt den Rest seiner Zeit damit, sich unter falschem Namen vermeintlich gewitzte Dialoge und sexistische Witze für Schmunzeltwitter auszudenken? Wer hat eine Fanfiction über sein eigenes Leben geschrieben, als er sich für seinen Roman Ich heirate einen Arsch eine heiße Liebesgeschichte zwischen der “scheuen” 28-jährigen Praktikantin Luisa und dem “Womanizer und Chefredakteur” Björn zusammenfantasierte? Nun, klickt euch mal ein bisschen durch das Impressum von – sagen wir mal – der Bild und vielleicht findet ihr es heraus.
Bis dahin verbleiben wir mit einer Amazon-Review, die nicht nur Anderssons Buch Midleifcrisis, sondern auch seine neue Bild-Kolumne ziemlich treffend zusammenfasst. “Ich dachte bei Titel und Beschreibung handelt es sich um eine Art Erfahrungsbericht eines Mannes zum Thema”, schrieb da eine Nutzerin. “Bekommen habe ich eine stupide Aneinanderreihung der sexuellen Eskapaden eines Losers.”
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