Es hat sich viel verändert in den letzten Jahren: Von #aufschrei und Altherrenwitzen bis zu #metoo und Gedichten, die von Hauswänden verschwinden, ist einiges passiert. Forderungen nach Repräsentation und Gleichstellung lösen nicht mehr nur blankes Starren aus, sondern sind mittlerweile gesellschaftlich so anerkannt, dass ein rein männlich besetztes Heimatministerium für breite Kritik sorgt. In Deutschland trauten sich dieses Jahr erste Frauen mit Vorwürfen gegenüber Dieter Wedel an die Öffentlichkeit, nachdem sie sich zuvor jahrzehntelang zu unsicher gefühlt hatten. Selbst Politikerinnen erzählen von Sexismus-Erfahrungen.
Doch gleichzeitig sehen sich immer wieder Männer von diesen Entwicklungen in ihrer ganzen Existenz bedroht – und manche erklären auch, in langen Leitartikeln, wie sie darauf kommen. Diese Ängste kann man verlachen und als haltlos abtun, sie sind dadurch aber nicht weniger real. Viele Männer haben tatsächlich das Gefühl, dass ihnen gerade der Boden unter den Füßen wegbricht. Und das, obwohl sie beim Thema Feminismus ganz explizit mitgemeint sind.
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Toxische Männlichkeitsnarrative werden seit langem im feministischen Diskurs besprochen. Sperriger Begriff, wichtiges Thema, bezeichnet “toxische Männlichkeit” doch nichts anderes als jene Verhaltensweisen, die Männer erlernt haben, ihnen aber selbst schaden. Dem Klischee nach ist ein Mann beispielsweise dann ein Mann, wenn er laut, aggressiv oder stark ist. Wer sich anders verhält, wird beschimpft oder darf sich selbst die Frage stellen, was mit ihm falsch läuft. Raum für Verletzlichkeit, Unsicherheit, Angst gibt es nicht. Natürlich macht einen das fertig.
Wie sehr Männer mit ihren Gefühlen alleine gelassen werden, zeigt das Experiment eines amerikanischen Studenten. Mit versteckter Kamera filmte der Student erst eine Kommilitonin, wie sie alleine weinend in der Bibliothek saß, dann tauschten sie die Rollen. Während die junge Frau angesprochen und getröstet wurde, näherte sich dem jungen Mann niemand. Er erfuhr weder Zuspruch noch Trost. Warum? “Es ist, als hätten wir Angst, dass das die natürliche Ordnung der Dinge aufheben würde”, sagte der Student anschließend in der Diskussionsrunde. Die natürliche Ordnung der Dinge: Männer weinen nicht.
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Vielleicht weinen sie nicht, die Emotionen haben sie trotzdem. Als Ex-Nationalspieler Per Mertesacker über unmenschlichen Druck und Versagensängste sprach, wurde er von Fußballlegende Lothar Matthäus öffentlich kritisiert. Martin Schulz wurde nach einem Porträt im Spiegel zum Gespött der Nation, weil er in dem Stück Momente der Schwäche und Unsicherheit gezeigt hatte. Väter rechtfertigen immer noch die Tatsache, dass sie ganze Entwicklungsphasen ihrer Kinder verpassen, mit der Karriere, Raum für Reflektion oder gar Reue wird ihnen nicht gegeben. Stress, Frust, Trauer, Liebeskummer, Enttäuschung, Scham – eine ganze Palette an Emotionen scheint Männern nicht zugestanden zu werden. Von klein auf lernen sie, dass es nur zwei adäquate Reaktionsweisen auf unangenehme Gefühle gibt: Angriff oder Flucht. Wut, Aggression, Leugnen, Wegsehen, Ablenken; all das ist erlaubt. Zu sagen: “Ich habe Angst”, “Ich fühle mich einsam” oder “Ich schäme mich“, hingegen nicht. Das wäre schließlich weder Angriff noch Flucht, sondern Innehalten und Verletzlichkeit zulassen.
Doch wer innehält und Verletzlichkeit zulässt, entspricht nicht dem gängigen Männlichkeitsbild – und kann sogar unter psychischen Problemen leiden, stellte ein kanadisches Forscherteam fest. Wer nicht aggressiv sein will und sich seinen Gefühlen stellt, wird dafür auch noch bestraft. Man(n) fühlt sich machtlos. Und genau diese Überforderung führt zu Sexismus, so die Forscher: Um trotzdem anderen vorzuspielen, dass man alles im Griff habe, üben Männer Macht über schwächere Personen aus, strukturell häufig Frauen. Notfalls in Form von Sexismus oder sexualisierter Gewalt.
Männer müssen untereinander darüber sprechen, was für sie männlich ist
Männer lernen in unserer Gesellschaft immer wieder, dass Frauen auf Bad Boys stehen, dass Männlichkeit am Penis gemessen wird, dass Seximus lustig ist. Das gemeinsame Lachen über Frauen ist oft der heimlich ersehnte Verbindungsmoment zu anderen Männern, mit denen Mann sonst gerne über Fußball und Job reden kann, aber selten über Existenzangst und Einsamkeit. Das Patriarchat schadet also nicht nur Frauen: Es unterdrückt Männer in grausamer Art und Weise, indem es ihnen nur aggressive und sexualisierte Gefühlsausbrüche zugesteht. Und eben jene Ventile will der Feminismus ihnen jetzt auch noch wegnehmen. Kein Wunder, dass Männer sich bedroht fühlen und auf die Barrikaden gehen.
Gerade die allgemeine Verunsicherung bei Debatten wie #MeToo zeigt: Auch Männer haben Angst, etwas falsch zu machen, etwas Falsches zu sagen. Vielleicht auch zu denken. Die Angst ist real. Doch statt anklagend den Finger zu heben und zu protestieren, sollten Männer die Debatte zum Anlass nehmen, ihre Emotionen zuzulassen. Sprecht es aus, nehmt es an. Fragt die Frauen in eurem Leben, wie ihr das tun könnt, denn mit all diesen Gefühlen seid ihr uns näher, als ihr denkt. Jedes einzelne Gefühl durchleben auch Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft – nur meist als Opfer, und nicht als Beistehende oder gar Täter. Sei es Angst, sich falsch zu verhalten. Sei es Ohnmacht nach einem sexuellen Übergriff. Sei es Wut, über diese Machtlosigkeit. Sei es Scham, nicht angemessen reagiert zu haben. Feminismus gibt den Frauen Werkzeuge an die Hand, sich mit diesen Gefühlen auseinanderzusetzen, sie zu teilen, sie zu verarbeiten. Das könnte er auch für Männer – wenn sich diese ein Herz fassen, und Feminismus als Chance sehen.
Denn der Feind ist auch für Männer das Patriarchat, seine Waffe toxische Männlichkeit, und die Opfer sind wir alle – um mal in der beliebten Kriegsmetapher zu bleiben, in die viele männliche Journalisten so gerne fallen, sobald sie über Feminismus schreiben.
Gerade Männer müssen untereinander darüber sprechen, müssen ausloten, was für sie männlich ist, und was einfach nur scheiße. Sich jedoch damit zu beschäftigen, wer die Schuld an der Krise hat, ist müßig. Wir leben weder in einer Gesellschaft, in der alle Männer Monster und alle Frauen Hexen sind, noch können wir es uns leisten, Zeit mit der x-ten Debatte zum Sinn und Zweck von Feminismus zu verschwenden. Vielleicht können wir stattdessen in ein paar Jahren ja gemeinsam in den Kampf ziehen.
Daher ein Appell: Männer, es gibt keinen Grund, sich zu schämen oder Angst zu haben. Feminismus will euch weder eure Identität absprechen noch ein Bild von Männlichkeit aufzwingen, in dem ihr euch nicht wiederfindet. Gefühle sind menschlich und bieten in ihrer ganzen Bandbreite Chancen, sich weiterzuentwickeln. Ihr bestimmt selbst, was ein Mann ist. Also überlegt euch, was für einer ihr sein wollt.