Warum benutzen Rapper falsche Akzente?


Fotocredit: Universal Music

Jeder hat einen Akzent. Sie prägen, wer wir sind und wo wir herkommen. Sie erlauben es fremden Menschen, über uns zu urteilen, sobald wir den Mund aufmachen. Und allgemein als cool anerkannte Akzente lassen durchschnittlich aussehende Menschen attraktiver wirken.

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Die Art, wie eine Stimme klingt, beeinflusst die Musik, die ein Künstler macht. In den frühen 00er Jahren haben zwei Typen mit dem Namen Silibil’n’Brains die ganze Musikindustrie verarscht und einen Plattenvertrag an Land gezogen, indem sie ihren schottischen Akzent hinter kalifornischer Affektiertheit versteckt haben. Mike Skinner ist von Birmingham nach London gezogen und hat dort ein Album aufgenommen, das so klingt, als wäre er in Englands Hauptstadt großgeworden. Und dann gibt es noch Iggy Azalea, die Rapperin, die sich seit ihrem Durchbruch Anschuldigungen ausgesetzt sieht, dass sie sich einen fremden Akzent angeeignet hat.

Iggy Azalea hat Australien mit 16 Jahren verlassen und ist nach Miami gezogen. Ihre Eltern dachten, sie würde dort nur Urlaub machen, aber sie kehrte nie zurück. Mittlerweile ist sie 24 Jahre alt, die erste Rapperin, die es auf die XXL Freshman List geschafft hat, und schon in viele Rollen geschlüpft ist. Kann man ihr den Akzentwechsel vom Australischen ins Amerikanische wirklich ankreiden oder definiert sie einfach neu, wer sie ist, je nachdem wo sie gerade auf der Welt lebt?

Ich habe David Crystal angerufen, einen der weltweit renommiertesten Linguisten (ernsthaft, solltest du jemals eine Linguistikveranstaltung besucht haben, wirst du etwas von ihm gehört haben), der bald ein Buch über musikalische Akzente mit dem Namen You Say Potato veröffentlichen wird, um mehr über das Thema zu erfahren. David hatte Iggys Musik zuvor noch nie gehört (er bevorzugt Folk gegenüber „Fancy“), aber bemühte sich, ihre Authentizität mit einfachen Mitteln zu beurteilen.

Noisey: Was macht einen Akzent in erster Linie aus?
David:
Ein Akzent hat zwei Seiten. Da ist einmal die segmentale Seite: die Vokale und die Konsonanten. Und dann gibt es die nicht-segmentale Seite: der ausgedehnte Tonus, der sich über längere Sprechpassagen zieht. Es sind vor allem die einzelnen Betonungen und der Klang der Stimme und Rhythmus, die die Aussprache bestimmen, die letztendlich die Grundlage eines jeden Akzents ist.

Worin bestehen die Schwierigkeiten, mit einem Akzent zu singen?
Die meisten regionalen Akzente der Welt, die man kennt, basieren auf den Vokalen und nicht auf den Konsonanten. Sobald du anfängst zu singen, werden diese Vokale in die Länge gezogen und daher ist es schwierig, einen Akzent beizubehalten. Es ist schwer zu sagen, ob ein Opernsänger Engländer, Spanier oder Italiener ist, da die Art, wie sie ihre Münder öffnen und die Vokale verlängern, bedeutet, dass die regionalen Unterschiede verschwinden.

Was ist denn mit Menschen, die keine Opernsänger sind? Ist es eine bewusste Entscheidung, beim Gesang einen bestimmten Akzent zu haben?
Es scheint mir so, als wäre es in den frühen Tagen des Rock’n’Rolls in England, als die Leute einfach Elvis kopiert haben, eine sehr bewusste Entscheidung gewesen, amerikanisch zu klingen. Leute, die ihre Vokale sonst nie mit einem „r“ versehen haben, haben angefangen, das bei ihren Songs zu machen. Manche haben sich vielleicht auch einfach unbewusst beeinflussen lassen. Sobald du dann aber selbstbewusster wirst und mehr und mehr deinen eigenen Gesangsstil kreierst, verlieren sich die anderen Einflüsse nach und nach wieder.

Akzente können auch das Atmen und den Rhythmus während eines Liedes ändern, oder?
Ich erinnere mich noch daran, wie Billy Bragg gesagt hat, dass man Lieder wie „Tracks of my Tears“ nicht mit einem Londoner Akzent singen könne, weil dann die Kadenzen nicht mehr stimmen und du die Silben einfach nicht so lang halten kannst, wie du es gerne hättest. Das liegt daran, dass dieser bestimmte Akzent im Vergleich zum Rhythmus des Originalakzents des Songs sehr kurz und abgehackt ist. Manchmal musst du deinen Akzent an dem Rhythmus eines Songs ausrichten.

Gibt es beim Wechsel des Akzents auch einen kommerziellen Aspekt?
Definitiv! Auf diese Weise wirst du leichter wiedererkannt. Was denken Sänger, wie sie das Publikum gerne hören will? Das ist besonders interessant, wenn man sich so etwas wie den Eurovision Song Contest anschaut, bei dem so gut wie jeder auf Englisch singt, weil das wahrscheinlich die angenehmste Art für die Sänger ist.

Das beste Beispiel sind die Beatles. Eine Studie hat vor Kurzem herausgefunden, dass die Hälfte der Wörter in ihren Liedern, in denen ein r nach dem Vokal auftaucht, eine typisch amerikanische Aussprache hatten. Als die Beatles anfingen, haben sie sehr viel mit amerikanischen Akzenten experimentiert. Nach zwei Jahren haben sie damit jedoch aufgehört. Zu Zeiten von Sgt. Pepper war die Anzahl von Stellen, bei denen sie einen Vokal nach einem r folgen ließen, auf vier bis fünf Prozent zurückgegangen. Sie hatten aufgehört, einen amerikanischen Akzent zu verwenden, und sind wieder zu ihrem eigenen Liverpooler Akzent übergegangen.

In der Regel gibt es eine große Diskrepanz zwischen den Sprech- und Gesangsstimmen der meisten Künstler.
Ja, aber es gibt auch Lily Allen und Chas & Dave und Ian Dury…

Aber vergleichen Sie das doch mal mit jemandem wie Mike Skinner, der klingt, als würde er aus London kommen, obwohl er eigentlich aus Birmingham stammt.
Es hängt alles davon ab, wo du herkommst und wie sehr du dich dem Ort verbunden fühlst. Gibt es so etwas wie authentisches Verhalten überhaupt? Singen ist nicht sehr natürlich, Sprechen hingegen schon. Man singt, wenn es um Emotionen geht und man sich auf andere Art ausdrücken möchte. Die Authentizität liegt dann in der Wahl, die du triffst. Für mich spielt es keinerlei Rolle, ob deine Gesangsstimme mit deiner Sprechstimme zusammenpasst. Egal, ob ich mich jetzt dazu entscheide, mit einem irischen, schottischen oder walisischen Akzent zu singen, bleibt es in dem Sinne authentisch, dass ich mich dazu entschieden habe, das zu tun. Wenn ich mich andererseits selbst in der Tradition einer amerikanischen Kultur sehe, diesen Akzent dann imitiere und das sehr gut mache, dann bin ich damit auch in Bezug auf diesen Akzent authentisch. Es hängt alles davon ab, mit wem oder was du dich identifizierst und als was du wahrgenommen werden willst. Ich schätze mal, dass eine ganze Reihe Sänger mehr als eine Identität hat.

Was ist denn mit Iggy Azalea? Viele Menschen haben ein Problem mit ihr, weil sie Australierin ist, aber wie eine Amerikanerin rappt.
Rap hat einen klar definierten Stil. Er verwendet einen Rhythmus des Englischen, der sehr charakteristisch ist. Es gibt zwei verschiedene Arten von Rhythmen: Einmal den Betonungs-Rhythmus, der in Unterhaltungen verwendet wird und so geht: „te-tum-te-tum-te-tum“. Und dann gibt es den Silben-Rhythmus, bei dem der Takt auf jeder Silbe landet: rat-a-tat-a-tat anstatt te-tum-te-tum-te-tum. Rappen tendiert mehr in die Richtung des rat-a-tat-Rhythmus und hat mehr mit der karibischen Art zu sprechen zu tun. Jeder, der Rappen möchte, muss das respektieren. Sie werden dich vielleicht respektieren oder dich einfach auslachen.

Das ist wie bei Joss Stone, die in Devon in England geboren wurde und nach ihrer Amerika-Tour den Briten gegenübertrat und ziemlich amerikanisch klang. Aber war der Wechsel ihres Akzents wirklich ihr selbst zuzuschreiben oder integrieren die Leute einfach Akzente, die sie hören?
Oh ja. Das passiert die ganze Zeit; der fachsprachliche Begriff dafür ist Akkommodation. Im Prinzip passiert dabei folgendes: Zwei Leute sprechen miteinander, sie mögen sich und kommen so gut miteinander aus, dass ihre beiden Akzente sich annähern und jeder wie der andere klingt. Umgekehrt werden sich die Akzente zweier Personen, die sich nicht mögen, weiter voneinander weg bewegen. Wenn du irgendwo hinfährst, wo es einen dominanten Akzent gibt, dann wirst du dich auf natürliche Weise akkommodieren, wenn du einen guten Draht zu den Leuten hast. Manche Leute sind schneller bei dieser Anpassung als andere, vielleicht passiert das sogar nach ein paar Tagen.

Ist das eine sehr unbewusste Sache?
Ja, den meisten Leuten fällt nicht auf, dass sie das machen.

Also ist Iggy Azalea vielleicht gar nicht schuldig?
Das ist möglich. Ich müsste ihren Akzent ein bisschen mehr analysieren.

Ich habe David gebeten, zwei Videos von Iggy Azalea zu analysieren. Eins, in dem sie interviewt wird und das andere von ihrem Song „Fancy“, um die Unterschiede zwischen den beiden zu bemerken. Das hat er gesagt:
Es gibt kaum irgendwelche Anzeichen ihres ursprünglichen australischen Akzents in ihrer Sprechstimme—nur bei einigen Worten (wie „own“ oder „believe“) und Beugungen. Sie hat als Resultat ihres vielen Reisens einen gemischten Akzent entwickelt (wie ihn heutzutage so viele Leute haben). Wenn sie in dem Interview zum Beispiel „dance“ sagt, ist das sehr amerikanisch und sie fügt bei Worten wie „version“ ein „r“ ein. Aber es ist kein reiner US-Akzent—sie hat auch Eigenarten, die in Großbritannien vertraut klingen—und zur Zeit des Interviews war sie in Großbritannien, vielleicht hat sie bereits akkommodiert. [„Fancy“] zeigt, dass sie offensichtlich ein gutes Ohr hat und eine gute Imitatorin ist—ihr Akzent bewegt sich in verschiedene Richtungen, alle von US-Rap beeinflusst, besonders in der letzten Minute des Songs. Es scheint auch eine bewusste Suche nach speziellen Stimmeffekten bei den letzten Riffs zu geben, die vermutlich Teil des Erfolgs dieses Songs waren.

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