“Torture Garden gibt es seit 25 Jahren”, sagt Benjamin Louche, der Zeremonienmeister im Leopardenanzug mit der Elvis-Tolle auf der Bühne. “Da ist eine Menge Gleitgel geflossen.”
Stell dir Folgendes vor: Du bist in einem umgebauten ehemaligen Theater im Londoner Viertel Elephant and Castle, einem riesigen, höhlenartigen Raum, dessen Erhabenheit durch eine gewaltige Bühne, hohe Decken (von der eine riesige Diskokugel wie eine Träne runterhängt) und verschachteltem Gemäuer noch unterstrichen wird. Auch wenn es erst 23:00 Uhr ist, bist du bereits von dem abgedrehtesten Publikum umgeben, dem du in London begegnen wirst.
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Neben dir dreht sich ein Mann in einem Plastikanzug um, auf den die Worte “Dead Inside” geschmiert stehen, während sich ein Typ in einem Robin-Hood-Outfit mit einem Fuchsschwanz am Hintern vorbei drängt. Woanders wird ein Typ mit Indianerkopfschmuck beglückt, während eine Transfrau in einem Dienstmädchen-Outfit von einem kleinen japanischen Mädchen den Hintern versohlt bekommt. In einem Käfig.
Louche gibt ein heisere Version von Marc Almond und Jim Feotus’ “Slut” zum Besten. Frauen tanzen dazu an Stangen und ein Typ mit pinken Latex-Cowboyhosen und Trucker-Cap schüttelt sein Gemächt. Später räumt Louche die Bühne für den ersten von mehreren Acts auf der Hauptbühne. Eine Frau in Dessous zündet ihre Zacken-Kopfbedeckung an, bevor sie mit glitzernden Nippelquasten eine weitere Nummer vollführt. Das Publikum grölt vor Anerkennung.
Torture Garden, oder auch nur TG, gibt es mittlerweile seit einem Vierteljahrhundert, was in Clubjahren eine halbe Ewigkeit und in Sachen Fetischpartys beispiellos ist. Falls du einer Person, die in den 90ern dort war, von deinem Besuch erzählst, wird sie sich wahrscheinlich am Kopf kratzen und sich wundern, dass die Party immer noch existiert. Und trotzdem hat die Veranstaltung eine Hochphase nach der anderen gesehen und ist beliebter als jemals zuvor. Die Schlange aus Leuten in Latex und PVC reicht schon vor 23 Uhr vom Club The Coronet bis zur U-Bahnstation. Mit seinen Spanking-Zimmern, einem Raum für “medizinische Experimente” und einem sexy “Pärchenraum”, bietet TG in einem zunehmend konservativen London eine Freiheit, die man sonst vielleicht nur in Berlin findet. Wenn du nur mit einem Geschirr und einem Prince Albert herumlaufen willst, wird dich niemand daran hindern.
Aber welche Art von Musik hält eine Party am Laufen, bei der die Aufmerksamkeit sowohl dem Tanzen auf dem Mainfloor als auch “anderen Aktivitäten” in anderen Ecken gilt? In der Vergangenheit war alles von Industrial über Electro bis Techno zu hören. Mittlerweile hat TG verschiedene DJs, die in unterschiedlichen Räumen komplett unterschiedliche Stile von Rock’n’Roll bis 20er-Lounge spielen, im Mittelpunkt steht jedoch eine dröhnende Mischung aus House und EDM.
“Wenn ich bei Torture Garden auflege, dann versuche ich, ein wenig krachigere Musik zu spielen, um die Disziplin des Publikums zu bedienen”, sagt Larry Tee, berüchtigtes Ex-NYC-Clubkid, Veranstalter von Berlins neuer “Krank”-Reihe und tragende Säule bei TG. “Ich würde diese ohrenbetäubende Musik nie woanders spielen, aber die Verzerrung klingt gut, wenn du in diesem großen Raum bist.”
Larry weiß genau, was in dieser Umgebung funktioniert und beginnt sein Set um 2.30 Uhr mit Shmixs “Smthng (Bonus Electro Mix)”, über das er ein Sample legt, das von “shit stabbing, cock sucking” berichtet. Zuvor hat David TG, einer der Promoter des Clubs, die Party mit einigen aggressiven, lauten Krachern eröffnet, inklusive Dyros “Like a Boss”, „Phat Bass 2016″ von Wolfpack & Warp Brothers und “The Grave” von Black Tiger Sex Machine X Apashe Feat. Gabriella Hook. Es war also so eine Nacht.
Ich war neugierig, von den anderen Clubbesuchern zu erfahren, warum gerade diese Art von Musik die Party so zum Kochen bringt, also sprach ich mit Stevie, einem Mann Ende sechzig, der einen aufwändig geschmückten Cockring und Nippelklammern trug. “Na ja, sie pumpt, oder nicht?”, keucht er. “Das Wichtigste ist, dass du an dein Publikum denkst. Was wollen sie machen? Wenn es Sex ist, dann muss die Musik knallen, oder? Das ist doch logisch.”
Ich denke an seine Worte, während ich auf den Balkon gehe, von dem sich der Mainfloor überblicken lässt und einen Mann mit einem riesigen Katzenkopf beobachte, der sich mit einer Frau vergnügt, die nichts als schwarzes Klebeband trägt. Dann frage ich mich, wie schmerzhaft es später für sie sein mag, das Klebeband zu entfernen. Aber andererseits gehört das vielleicht auch dazu.
Was das Outfit beim Auflegen angeht, hat Larry folgenden Rat: “Ein abgefahrenes Outfit zu tragen ist nur von der Hüfte aufwärts wichtig, weil das alles ist, was sie sehen.”
Es herrscht kein Zweifel, dass der Soundtrack, den David TG, Larry Tee und andere liefern, perfekt zur karnevalistischen Stimmung von Torture Garden passt. Massive EDM-Riffs, verrückte, beschleunigte Vocals und abgedrehte, lange Dubstep-Tracks passen scheinbar perfekt zum dekadenten Vibe der Party. Ich frage mich jedoch, ob das Beste von TG den Performern und DJs selbst vorbehalten ist anstatt den Clubbesuchern…
Larry Tee beschreibt während seines Sets seinen DJ-Ablauf und spielt dabei auch auf die sicherlich erstaunlichen Bilder an, die sich einem Resident bei Londons verruchtestem Event so bieten:
“Ich komme an, gehe in den Backstage, auf die Bühne und habe nicht viel Zeit mich unter die Leute zu mischen. Aber bei einer Fetischparty passieren die besten Sachen Backstage…”
Wenn du immer mal wissen wolltest, wie Torture Garden klingt, dich aber in deinem Ledergeschirr nicht hin traust, dann hast du Glück. Hier sind die derzeitigen Top 10 von TG, ausgewählt von den DJs des Clubs:
1. Coyu Feat. Cari Golden – The Cat
2. Dyro – Like a Boss
3. Jauz X Eptic – Get Down
4. Wolfpack & Warp Brothers – Phatt Bass 2016
5. Matt Nash – Fearless
6. Alvaron – The Underground
7. Black Tiger Sex Machine X Apashe Feat. Gabriella Hook – The Grave
8. Uberjak’d – I Like to Rave
9. Royksopp feat. Robyn – Monument Dance (Marcus Marr mix)
10. Mightyfools, Boogshe – Girl on Girl
Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen.
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