Es gibt Menschen, die sagen, nur durch die Stimulation ihrer Nippel einen Orgasmus haben zu können. Und es gibt Menschen wie Lady Gaga, die behaupten, sogar komplett ohne Berührungen zu kommen.
Zu den glücklichen Leuten, die sich angeblich “zum Höhepunkt denken” können, gehört auch Maya Ansar. Die in London lebende Influencerin berichtet in einem aktuellen TikTok-Video von ihrer Erfahrung.
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Gegenüber VICE sagt Ansar, dass sie vor drei Jahren herausgefunden habe, dass sie allein per Gedankenkraft einen Orgasmus bekommen kann. Sie habe angefangen, in ihren Träumen regelmäßig zu kommen. Daraufhin sei ihr klar geworden, dass sie das Ganze auch im Wachzustand nach Lust und Laune machen kann. Heute müsse sie für einen Orgasmus nur noch einen mentalen Schalter umlegen.
“Ich muss nicht mal meine Fantasie anregen oder so, sondern einfach nur ‘Komm!’ denken, und es passiert”, sagt Ansar. “Es geht darum, mit dem eigenen Körper und Geist im Einklang zu sein und zu erkennen, dass ein Orgasmus vor allem eine mentale Sache ist.”
1992 fanden Wissenschaftler heraus, dass Frauen, die allein durch ihr Vorstellungsvermögen kommen können, dabei physiologische Reaktionen wie einen Anstieg des Blutdrucks, schnelleres Herzklopfen und erweiterte Pupillen erfahren, die so ähnlich auch bei körperlich stimulierten Orgasmen auftreten.
“Auf dieser Grundlage kommen wir zu dem Schluss, dass körperliche Stimulation nicht nötig ist, um einen Zustand hervorzurufen, der als Orgasmus beschrieben wird”, schrieben die Forschenden damals. Und genau das trifft heute offenbar auf Ansar zu.
“Die Orgasmen, die ich durch meine Gedankenkraft bekomme, sind genauso wie Orgasmen durch Penetration. Sie kommen tief aus meinem Inneren und senden Wellen durch meinen ganzen Körper”, sagt Ansar. “Klitorale Orgasmen fühlen sich allerdings etwas anders an.”
Das Ganze habe Ansars Sexleben auf jeden Fall deutlich verbessert. “Das ist ein wunderbares Talent. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen und will, dass Orgasmen durch Gedankenkraft etwas ganz Normales werden”, sagt die Influencerin.
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Währenddessen setzen andere Leute, die ebenfalls einen freihändigen Orgasmus erleben wollen, mehr auf externe Hilfen.
Ein Mann Ende 30, der wegen des sexuellen Charakters dieses Themas anonym bleiben will, hat mit VICE über seine Erfahrungen mit erotischen Hypnose-Audioclips gesprochen.
“Im Grunde handelt es sich um hypnotische Lieder, die einen dazu bringen, immer mehr sexuelles Vergnügen zu spüren. So kann ein Orgasmus folgen”, sagt er und fügt hinzu, dass er durch diese erotische Hypnose schon zu Orgasmen mit und ohne Ejakulat gekommen sei. Die Höhepunkte ohne Ejakulat fühlten sich dabei “leichter und weniger auf die Genitalien fokussiert” an.
Ein Problem der erotischen Hypnose sei bei ihm allerdings, dass er oft einschläft, bevor die relevanten Stellen der Lieder abgespielt werden. “Nur wenn ich richtig wach und in der richtigen Stimmung bin, kann ich per Hypnose kommen”, sagt er.
Ein Hobby-Erotik-Hypnotiseur, der zum Schutz seiner Privatsphäre ebenfalls anonym bleiben will, sagt gegenüber VICE, dass er seit rund fünf Jahren erotische Hypnose an anderen Erwachsenen praktiziere. Seine Sessions fänden normalerweise schriftlich auf Plattformen wie Reddit oder Discord statt, er könne dann die Bewegungen, die Fantasien und die Orgasmen seiner Probanden steuern, wenn die sich in einem Trancezustand befinden. Er selbst habe es aber noch nie geschafft, tief genug in den Trancezustand zu fallen, um so zum Höhepunkt zu kommen: “Ich habe zwar schon einige körperliche Reaktionen verspürt, für einen richtigen Orgasmus ohne Berührungen hat es aber noch nicht gereicht”, sagt er.
“Wenn ich mich erstmal im orgasmischen Zustand befinde, kann ich so lange darin verweilen, wie ich mich konzentrieren kann.”
Dann gibt es noch die, die behaupten, allein durch intensives Atmen zum Höhepunkt kommen zu können.
Die Physiotherapeutin Christina Jensen sagt gegenüber VICE, dass sie bewusst an ihrer Atmung und an ihrer Beckenmuskulatur gearbeitet und so zum ersten Mal ohne greifbare Stimulation einen Orgasmus gehabt habe.
“Diese Orgasmen sind für mich meditativ. Ich brauche auf jeden Fall Ruhe im Kopf und muss mich voll auf meine Atmung und mein inneres Ich konzentrieren. Sonst klappt es nicht”, sagt Jensen, die in ihrer Freizeit meditiert und Yoga, Atemübungen und Übungen zur Stärkung des Beckenbodens praktiziert.
“Sie fühlen sich anders an als normale Orgasmen. Also man braucht viel länger, um sie zu bekommen”, sagt sie. “Aber wenn ich mich erstmal im orgasmischen Zustand befinde, kann ich so lange darin verweilen, wie ich mich konzentrieren kann.”
Viele Menschen erleben ähnliche durch Atmen hervorgerufene Orgasmen durch Tantra, eine alte Philosophie mit Wurzeln im Hinduismus und Buddhismus. Das Lehrsystem enthält verschiedene Übungen, die die sexuelle Energie stimulieren und kanalisieren sollen – und so angeblich für intensivere Orgasmen sorgen. In der modernen westlichen Kultur ist Tantra vor allem für seine alternative Herangehensweise an Sex bekannt. Manche bezeichnen das Ganze auch als “das Yoga des Sex”.
Barbara Carrellas ist eine Sexualpädagogin und hat schon mehrere Bücher darüber geschrieben, Tantra mit zeitgenössischen Lebensstilen zu verbinden. Sie sagt, dass man die zahlreichen Lehren des Tantra oft unnötig reduziere, versteht aber auch, wie wichtig Tantra dafür ist, unsere Vorstellung von Sex neu zu definieren. Sie lernte in den 80er Jahren während des Höhepunkts der AIDS-Welle, wie man Atem- und Energie-Orgasmen bekommt.
“Wir suchten nach Wegen, intensive orgasmische Erfahrungen zu machen, ohne dabei ein tödliches Virus weiterzugeben”, sagt sie.
Heute führt Carrellas ihre Schülerinnen und Schüler durch Tantra in neue Sexdimensionen ein. “Tantrische Übungen können dazu genutzt werden, die orgasmische Erfahrung zu erweitern. Das führt zu dem, was manche als ‘Ganzkörper-Orgasmus’ bezeichnen”, sagt sie. “Ich glaube, wenn alle Menschen lernen würden, wie man zu einem solchen Höhepunkt kommt, wäre die Welt ein viel gesünderer und glücklicherer Ort. Und unsere Vorstellung davon, was Sex sein kann, würde sich um ein Hundertfaches erweitern.”
“Durch das Atmen hervorgerufene Orgasmen sind ekstatische Erfahrungen, die man im ganzen Körper und darüber hinaus spürt.”
Aber so sehr die Leute auch von tantrischem Sex schwärmen, warnt Carrellas davor, zu hohe Erwartungen an Atem- und Energie-Orgasmen zu haben.
“Durch das Atmen hervorgerufene Orgasmen sind ekstatische Erfahrungen, die man im ganzen Körper und darüber hinaus spürt. Sie fühlen sich normalerweise aber nicht unbedingt sexuell an, also mit erregten Genitalien und so weiter”, sagt sie. “Dafür befreien sie einen sofort von Spannungen und lösen ein Gefühl der Freiheit aus.”
Atem-Orgasmen sind dabei besonders inklusiv. Sie eignen sich zum Beispiel super für Menschen mit körperlichen Behinderungen, die einen “normalen” Höhepunkt unmöglich machen.
Laut Carrellas seien Atem- und Energie-Orgasmen zudem in der Trans-Community besonders beliebt, weil sie keine Geschlechtsidentitätsstörung triggern. “Ich nenne sie auch gerne ‘genderlose’ Orgasmen”, sagt sie.
Solche sexuellen Vergnügungsschübe benötigen viel Achtsamkeit und Konzentration. Carrellas beginnt die Übung normalerweise damit, dass sie auf ihrem Rücken liegt, die Beine anwinkelt und ihre Füße flach auf den Boden stellt.
Dann stellt sie sich bewusst vor, wie die sexuelle Energie durch ihren Körper fließt, und zieht diese Energie mithilfe ihres Geists in ihre Chakras, also in die Energiepunkte überall in ihrem Körper.
Bei einer anderen Übung setzt sie ihren Atem bewusst ein. Durch tiefere Atemzüge vom Anfang der sexuellen Erfahrung bis hin zum Höhepunkt soll ein längerer und intensiverer Orgasmus ausgelöst werden. Abseits der erotischen Welt wird ein solches bewusstes Atmen auch therapeutisch angewendet, um mentalen, körperlichen und emotionalen Stress zu lindern.
Der wohl wichtigste Tipp sei laut Carrellas aber, alle hohen Erwartungen loszuwerden, die man sich von einem berührungslosen, durch Atmen verursachten Orgasmus verspricht.
“Es ist viel besser, da nur mit einer gewissen Neugier heranzugehen”, sagt die Sexualpädagogin. “So nach dem Motto ‘Ich atme jetzt erstmal 20 Minuten lang mit dem Ziel, meinen ganzen Körper zu energetisieren, und beende das Ganze mit einem Zusammenziehen und Halten’. Dann sollte man loslassen und einfach schauen, was passiert.”
Das “Zusammenziehen und Halten” ist eine Technik, die Carrellas lehrt: Man atmet mehrmals tief ein, spannt danach vor allem die Muskeln im Bauch, Po und Beckenboden 15 Sekunden lang an und lässt danach los.
“In erster Linie ist ein offener Geist unabdingbar”, sagt Carrellas. “Das Ergebnis sollte zweitrangig sein.”