Wie Majors versuchen, durch Shazam die Hits von Morgen zu bestimmen

Shazam ist wahrscheinlich den Meisten ein Begriff. Ihr wisst schon, diese erschreckend gut funktionierende „Was ist das für ein Song, der gerade spielt?“-App, die bequemerweise auch direkt vorschlägt, den Song zu kaufen. Doch auch hier gilt wie bei jedem Gratis-Service: Wenn du nicht dafür bezahlen musst, bist du das Produkt. Die oberflächliche Funktionalität ist meistens nicht das eigentliche Geschäftsmodell.

Um zu verstehen, wie heute bestimmt wird, was morgen zum Hit wird, müssen wir ungefähr 50 Jahre zurückgehen. Ab dem Punkt, ab dem sich Otto-Normalverbraucher ein Radio leisten konnten, war es eines der primären Werbemedien. Die Musik im Radio war sowohl Lockmedium, damit die Hörer die Werbung zwischen den Songs hörten, als auch Werbung für die Titel selbst, damit sie Max Mustermann als Tonträger ersteht. Da Sendezeit schon immer begrenzt ist, war es daher sehr wichtig für jede Plattenfirma, dass ihre Tracks gespielt werden. In einer idealen Welt würde der Musikkurator der jeweiligen Radiostation sich durch die gesamte Musik der Welt hören und dann das Beste und Passendste aussuchen. In der Realität haben die Stationen oft die bekanntesten Songs ihrer Sparte gespielt, um die Hörerschaft zu halten und öfters mal einen Song, für dessen Airplay sie von den Labels bezahlt wurde. Umgangssprachlich nennt sich dieses Prinzip des bezahlten Airplays „Payola“.

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In den USA ist dieses Prinzip nicht verboten, jedoch muss der Sender während der Sendung eindeutig zu erkennen geben, dass der Titel „gesponserter Content“ ist und nicht zum regulären Airplay gehört. Natürlich will kein Label, dass der Hörer weiß, dass er gerade eine Werbesendung hört und nicht seinen nächsten Lieblingssong. Die Majors fanden mehrere Wege, das zu umgehen, wie eine lange Untersuchung der FCC (Federal Communications Comission—die FCC regelt in den USA den gesamten Rundfunk) zeigte. Die Untersuchung brachte verwendete Taktiken ans Licht, zum Beispiel das Verwenden eines „Intermediaries“, einer Zwischenperson, die vom Label bezahlt wird und welche dann die Radiostationen bezahlt. Nachdem sich das Ganze zu einem Skandal ausweitete, beschlossen die Majors im Jahre 2007 das Ende von Payola. Messbare Auswirkungen auf die Airplay-Zusammensetzung in den USA hatte das aber nicht, da dieselben Kontakte und Informationswege, welche zuvor über Jahrzehnte aufgebaut wurden, immer noch bestanden. Es ist leider nicht bekannt, ob auch in Deutschlands Radiostationen für Plays bezahlten.


Diplo wurde 2015 am meisten via Shazam gesucht.

Soweit so schlecht. Doch was hat das alles jetzt mit Shazam zu tun? Wenn früher eine Plattenfirma wissen wollte, ob ein Song den Zuhörern gefällt, mussten sie sich auf Verkaufszahlen verlassen oder auf die Hörerwünsche, welche bei Radiostationen eingingen. Wenn heutzutage dem Hörer ein Song gefällt und er wissen will, was das für ein Song ist, verwendet er Shazam. Das Prinzip Payola hat sich mittlerweile auch vom herkömmlichen Radio auf Streamingdienste und Internetradio verlagert. Wenn ein Label nun wissen will, ob ein Song ein Hit wird, könnte es einfach mit etwas Geld für Airplay sorgen und danach die Anzahl an Shazams des Songs messen. Da die Labels genau wissen würden, wie oft der Song im Radio gespielt wurde und wie oft und von wem der Song shazamt wurde, wäre es einfach auszurechnen, ob der Song ein Hit wird oder nicht. Die Marktforschung wäre effektiv von Fokusgruppen direkt auf die Zielgruppe verlagert.

Shazam selbst behauptet sogar, 33 Tage im Voraus zu wissen, was ein Hit wird und veröffentlicht sogenannte „Future Hits“-Charts. Diese Charts sind jedoch nicht besonders detailliert und können nur für die größten Märkte abgerufen werden. Shazam selbst ist es natürlich möglich, viel genauere Daten zu erheben, da jedes Smartphone über die Uhrzeit, Standort und Nutzergewohnheiten Daten liefert. Zum Beispiel wann und wo du einen Song shazamt hast und die Liste aller mp3s auf deinem Handy, um deinen Musikgeschmack einschätzen zu können. Die Firma gibt aber keine Auskunft darüber, in welcher Qualität diese Daten für zahlende Kunden angeboten werden.

Shazam wurde 2015 mit einem Wert von über einer Milliarde Dollar bewertet. So hohe Bewertungen kommen üblicherweise nicht aus dem Nichts und es sieht so aus, als würde sich Shazam zu einem der neuen Gatekeeper der Entertainmentindustrie aufschwingen. Die Entwicklungen in andere Richtungen als Audio, lassen erahnen, dass Shazam sein anfängliches Songerkennungskonzept zu einer „Ich erkenne alles und will dir alles verkaufen“-Strategie ausbauen will. Künstler verwenden Shazam schon zu kreativen Promozwecken, so verlost Halsey schon Karten per Shazam. Da stellt sich doch die Frage: „Woher weiß Halsey, wer ihre Songs shazamt hat?“.

Shazam selbst ist offensichtlich im Business der Tastemakers angekommen, da auch Radiostationen die Zahlen von Shazam nutzen, um ihr Programm zu bestimmen. Die Erfolgsgeschichte von Rachel Plattens Hit „Fight Song“ hat es sogar bis in eine offiziellen Aussendung von Shazam geschafft. Manche Konkurrenten wenden dasselbe Konzept an, jedoch etwas transparenter, wie zum Beispiel Jango, ein Online-Radio welches Benutzern werbefrei Musik anbietet, jedoch stark auf bezahltes Airplay setzt.

Ist Shazam nun das neue personifizierte Böse? Gewisse Meldungen über das Ausspähen von Benutzern und die Einbindung einer Immer-An-Funktion lässt einen dies zumindest vermuten, jedoch wird das Ganze in Wahrheit nur ein neuer Geschäftszweig der sich zunehmend komplett verändernden Entertainmentindustrie sein.

Der Autor hat immer noch keinen Spotify-Account: @igrpp

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