Sicherheitsleute durchwühlen Schränke und das Essen schmeckt nach Pappe – aus dem Alltag in einem “Ankerzentrum”

Nach Deutschland sei er gekommen, sagt Adil, um das Leben seines Sohnes zu retten. Schon als Baby hatte der Junge Anfälle. Sein Körper verkrampfte, seine Augen verdrehten sich. Manchmal hatte er 15 solcher Anfälle am Tag. “Doch die Ärzte in Kosovo haben nicht herausgefunden, woran es lag”, sagt Adil. Im Herbst 2015, Abils Sohn war da gerade eineinhalb Jahre alt, machte sich die Familie aus dem Kosovo auf nach Deutschland – mit dem Bus nach Serbien, zu Fuß nach Ungarn, mit dem Zug nach Österreich und in einem Auto nach München, immer mit einem Kind in den Armen, das viel geweint und oft vor Schmerzen geschrien hat.

Drei Monate lebte die Familie in München, bis die Behörden sie nach Manching bei Ingolstadt schickte. “Abschiebelager” nennen Flüchtlingshelfer diese Unterkunft. “Transitzentrum” sagten Politiker – zumindest bis Anfang August. Seitdem hat das Camp einen neuen Namen: Ankerzentrum. Das steht für Ankunft, kommunale Verteilung, Entscheidung und Rückführung. In Zukunft sollen dort nicht nur Flüchtlinge mit wenig Chancen leben, sondern auch solche, die eine Perspektive in Deutschland haben. Alle Behörden sollen dort vertreten sein, um die Verfahren zu beschleunigen, sagt die CSU. Kritiker aber sprechen von “Isolation” und “Kasernierung” – denn 1.000 bis 1.500 Flüchtlinge sollen auf engem Raum und ohne Beschäftigung wohnen.

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Sieben solcher Ankerzentren haben Anfang August in Bayern eröffnet. Aber zumindest in Manching ändert der neue Name nicht viel. Die Unterkunft gilt als Vorbild für die neuen Ankerzentren. 5.600 Asylbewerber lebten dort seit der Eröffnung im Herbst 2015. Es gab etwa 1.000 Abschiebungen und rund 2.500 sogenannte freiwillige Ausreisen. Nur rund 80 Asylbewerber durften in Deutschland bleiben. Adil, seine Frau und sein Sohn gehören dazu. Mindestens bis Februar 2019 dürfen sie nicht in den Kosovo abgeschoben werden, weil es ihrem Sohn zu schlecht geht. Er ist heute vier Jahre alt und kann weder richtig sprechen noch laufen. Ärzte fanden heraus, dass er einen Tumor im Gehirn hatte und an Epilepsie leidet.

Wir haben mit Adil darüber gesprochen, wie das Leben in einem Ankerzentrum aussieht.

Adil sagt, er sei nach Deutschland gekommen, um seinem Sohn das Leben zu retten | Foto: privat

VICE: Was war dein erster Gedanke, als du im Lager in Ingolstadt angekommen bist?
Adil: Ich habe gedacht, dass wir von dort aus in den Kosovo zurückgeschickt werden. Fast jeden Tag kam die Polizei und hat Menschen mitgenommen, um sie abzuschieben. Alle dachten: “Morgen bin ich der Nächste.”

Was war das Schlimmste für dich?
Ein Tag in dem Camp kommt dir vor wie ein Jahr. Alles, was ich getan habe, war, in meinem Zimmer zu sitzen oder draußen zu rauchen. Das Essen dort ist so schlecht, es würde nicht einmal ein Hund essen. Es hatte gar keinen Geschmack. Manchmal wollte ich für unseren Sohn etwas anderes kaufen. Aber die Securitys haben es mir jedes Mal am Eingang abgenommen. Sie haben keinen Respekt und sind aggressiv. Ich habe gesehen, wie sie 15 Jahre alte Mädchen belästigt haben. Sie haben versucht, die Mädchen anzufassen und sind ihnen bis ins Zimmer gefolgt. Ich habe meine Frau nie alleine gelassen, weil sie so Angst hatte.

So wie in Manching werden jetzt viele Unterkünfte in Bayern aussehen – was sagst du dazu?
Das ist eine Katastrophe. Niemand kontrolliert die Securitys, die Verwaltung oder das Essen. Jeden zweiten Tag ist so ein Sicherheitsmann in unser Zimmer gekommen und hat unseren Schrank ausgeräumt, um unsere Sachen zu kontrollieren – wie in einer Diktatur. Ich bin Deutschland dankbar, denn das Land hat viel für mich gemacht. Hier haben Ärzte endlich meinen Sohn operiert. Aber die Zeit in dem Camp kann ich trotzdem nicht vergessen.


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Wie hast du es geschafft, aus dem Ankerzentrum rauszukommen und in Deutschland bleiben zu können?
Wir sind nach Deutschland gekommen, weil mein Sohn so krank ist. Als wir noch in einer Unterkunft in München gelebt haben, musste ich in einer Nacht den Rettungsdienst rufen, weil es ihm so schlecht ging. Die Ärzte sagten: “Das Kind muss in München bleiben.” Aber dann haben mich die Behörden doch nach Ingolstadt geschickt. Sie sagten zu mir: “Sie müssen jetzt gehen oder wir rufen die Polizei.” In Ingolstadt hatte ich mit vielen Organisationen Kontakt. Die haben einen Rechtsanwalt bezahlt, der ein Abschiebeverbot für meinen Sohn erwirkt hat. Er hat uns auch an eine Klinik in Rosenheim vermittelt. Im August 2016 bekam ich die gute Nachricht: Wir können umziehen. Wir haben dann sehr schnell eine Wohnung gefunden.

Wie haben die Menschen reagiert, die es nicht schaffen? Beneiden sie dich?
Sie haben sich gefreut, weil sie gesehen haben, wie schlecht es meinem Sohn ging. Sonst war die Stimmung aber oft schlecht. Wir waren mindestens 500 Menschen und es gab oft Streit. Fast jeden Tag musste die Polizei kommen. Das waren keine schlechten Leute, sie waren einfach so nervös. Zweimal habe ich mitbekommen, wie Flüchtlinge versucht haben, sich umzubringen.

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