Staiger vs. das Elend der modernen Welt

Foto: Max Winter

Marcus Staiger hat als Betreiber von Royal Bunker und Entdecker solcher Leute wie Kool Savas, Eko Fresh oder K.I.Z den Straßenrap in Deutschland etabliert. Sprich: Er hat Unmoral und Verrohung über Gesellschaft und Jugend gebracht. Um die Karmaleiter wieder ein Stück nach oben zu klettern, schreibt er ab sofort regelmäßig bei uns gegen die Unmoral und die Verrohung der Gesellschaft an.

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Als vor ungefähr drei Wochen das Anschreiben einer Presseagentur in meinem Postfach eintraf, dass der Hamburger Rapper Flo Bauer zusammen mit der Techniker Krankenkasse ein Lied über Organspende gemacht hat, habe ich ganz schnell auf den Link geklickt und dann ganz schnell wieder weggeklickt. Da das Video zum jetzigen Zeitpunkt aber nur ganze 3.462 Klicks hat, habe ich mir gedacht, dass die Aktion noch ein bisschen Support verdient und man das Ganze Thema in einem kleinen Aufsatz erörtern könnte. Grundsätzlich muss ich dabei allerdings voraussetzen, dass wir beim Betrachten des Videos von Flo Bauer Fremdscham empfinden, weil es uns instinktiv peinlich berührt. Mir zumindest geht es so, doch ich frage mich warum? Warum finde ich das so scheiße, wenn sich einer für eine solche Sache hergibt? Warum finde ich das so uncool, wenn jemand mit Roland Kaiser auf der einen Seite und auf der anderen Seite mit ganz normalen Menschen abfeiert? Weiß ich normales, zwischenmenschliches Engagement wirklich nicht mehr zu schätzen, oder verstellt mir die überhöhte Wertschätzung einer coolen Inszenierung den Blick aufs Wesentliche?

Grund dieser Gedanken ist die mannigfache Teilnahme an Medienevents, wie sie in den sogenannten Medienstädten Berlin, Hamburg, Köln und vielleicht noch München stattfinden. Veranstaltungen auf denen große Marken unglaublich viel Geld ausgeben, um für relativ kurze Zeit Journalisten und sogenannte Meinungsmacher zu beeindrucken. Eine kulissenhafte Scheinwelt, in der ganze Häuser umgebaut und hergerichtet, Abrissbuden partytauglich und aus Lagerhallen schicke Lounges gemacht werden.

Die schlechteren unter diesen Veranstaltungen wirken einfach nur wie die Vertriebstagung eines großen Konzerns und außer Freigetränken ist dort nichts zu holen, die besseren wirken tatsächlich wie eine Party in deinem Lieblingsclub, nur dass man für die Getränke nichts bezahlen muss und alle am Schluss unglaublich gut drauf, weil besoffen sind.

Im Grunde sind diese Veranstaltung aber nichts anderes als bloße Werbemaßnahmen, und von den Grundmechanismen her den Butterfahrten unserer Großeltern gar nicht so unähnlich. Man wird eingeladen, bekommt wahlweise Kaffee und Kuchen oder eben Wodka plus Energy-Getränk umsonst, um dann das 16teilige Kochgeschirr, das neueste Smartphone oder die geile Heizdecke untergejubelt zu bekommen. Das alles mit einem nicht unwesentlichen finanziellen Aufwand, bei dem man sich nachts um halbeins, wenn man von den vielen Freigetränken ein wenig sentimental geworden ist, fragt: Dafür ist Geld da, aber für die Rettung des Regenwaldes nicht. Was läuft da falsch?

Warum werden solche gut inszenierten Lifestyle-Szene-Events, bei denen der Coolnessfaktor stimmt, denn nicht mal für die richtigen Inhalte veranstaltet? Zwar könnte ich jetzt aus dem Stehgreif keine einzige Organisation benennen, die ich vorbehaltlos unterstützen würde, aber warum denn nicht zum Beispiel die Aktion „Von Mensch zu Mensch“ der Techniker Krankenkasse? Organspende ist ein wichtiges Thema, geht jeden von uns an, ganz nebenbei ist es anscheinend auch noch ein lukrativer Markt, warum also muss für eine solche Aktion ein Flo Bauer antreten, der im Video vollkommen unstylisch, irgendwo im Schwarzwald, vor einem unstylischen Laster der Organspendeaktion steht und vollkommen unstylisch diesen unglaublich unstylischen Text performt?

Auf der anderen Seite sehe ich dann aber auch, nach dem wirklich schlimmen Roland Kaiser Part, wie Flo Bauer vollkommen unprätentiös irgendwelche Kinder trifft, die bislang vergeblich auf ein neues Spenderorgan warten und wie er sich mit deren Angehörigen unterhält. Ich sehe ihr Lächeln und wie sie sich freuen. Vollkommen normalen Menschen, die offensichtlich überhaupt keinen Bezug zu dieser aufgemotzten und aufgeblähten Medienwelt haben und die einfach nur froh sind, dass sich irgendjemand mit ihnen unterhält und ihre Ängste und Nöte an die Öffentlichkeit trägt. Und in diesem Moment denke ich mir, dass es vielleicht gar nicht sinnvoll wäre, so eine Aktion so viel stylischer und glitzernder zu bewerben und vielleicht ist es gerade das Schlichte und Einfache, das hier überzeugt? Vielleicht ist es gerade diese Einfachheit, die der Sache und dem ernst der Lage gerecht wird und man müsste Flo Bauer die ganze Zeit auf die Schulter klopfen und ihm Props dafür geben, dass er sich mit so einem Thema auseinandersetzt. Echt Props dafür! Scheiß mal auf die ganzen Agenturfuzzies! Du beschäftigst dich mit den echten Themen dieser Gesellschaft und das alles wäre groß und wunderbar, wenn da nicht das Gefühl wäre, dass Flo Bauer genau das gleiche auch für einen großen Sportartikelhersteller machen würde, wenn er denn nur dürfte. Stattdessen konnte er aber nur die Marketingabteilung der Techniker Krankenkasse überzeugen. Scheiße.

Das macht mich dann wiederum ganz traurig und von den vielen Freigetränken in meinem Kopf, lasse ich resigniert den Stift fallen.
Am besten macht man gar nichts, dann macht man auch nichts falsch. Ich glaube wir bräuchten mal eine richtige, echte Revolution. Mit all diesen Halbheiten wird das nichts.

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Staiger bei Twitter: @StaigerRoyal

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