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Der österreichische Fotograf Florian Voggeneder landet auf einem Rollfeld umgeben von Sand und Industriegebäuden, neben dem Flugzeug wirkt der Flughafen winzig. Er steigt in einen Konvoi und fährt auf breiten Asphaltstraßen vorbei an Gated Communitys, kleinen Läden und lodernden Gasfackeln. Die Szenerie wirkt wie Mos Eisley, der Spaceport aus Star Wars, ein kleiner Brückenkopf auf einem Wüstenplaneten. Nach einer Weile auf holprigen Pisten hält der Konvoi plötzlich, seine Begleiter zeigen auf weiße Kuppeln, die zwischen den Felshügeln aufgetaucht sind. Wie gewaltige Iglus stehen sie in der Ebene.
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Was wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Roman klingt, erlebt Voggeneder, als er im Februar dieses Jahres eine Forschungsreise des Österreichischen Weltraumforums im Oman begleitete. Sogenannte Analog-Astronauten, quasi Raumforscher auf Trockenübung, führen dort eine “Mars-Analog-Mission” durch: Da die Bedingungen in der omanischen Wüste denen auf dem Mars sehr ähnlich sind, werden hier zukünftige Expeditionen simuliert und neue Technologien getestet.
200 Menschen aus mehr als 20 Ländern haben vom 8. bis 28. Februar auf der Amadee-18 Experimente durchgeführt und Ausrüstung getestet – alles unter österreichischer Leitung. Das mag überraschen: Beim Thema Weltraumforschung denkt man auch mehr als 50 Jahre nach dem Wettlauf ins All vermutlich zuerst an die USA und die Sowjetunion. Oder an den Tesla-CEO und SpaceX-Gründer Elon Musk, der Menschen zum Mars schicken und einen Tesla in dessen Umlaufbahn schließen will.
“Ich würde Österreichs Rolle als ‘klein, aber fein’ subsumieren”, sagt Gernot Grömer, Gründer und Direktor des Österreichischen Weltraumforums (ÖWF), gegenüber VICE. Die Österreicher sind Mitglied der Europäischen Weltraumorganisation ESA. Und deren Direktor, Josef Aschbacher, ist ebenfalls Österreicher, er leitet das Erdbeobachtungsprogramm. “Was die Ressourcen angeht, sind wir natürlich nicht so aufgestellt wie größere Länder”, sagt Grömer, “aber es gibt Nischenbereiche, in denen wir zur internationalen Spitzenklasse zählen.”
Die Analog-Forschung ist so ein Nischenbereich: Bereits seit 2006 führt das ÖWF Mars-Analog-Missionen durch. Das Netzwerk, gegründet vor knapp 20 Jahren als Verein, finanziert seine Arbeit aus öffentlichen Forschungsgeldern, Industriekooperationen, aber auch über Spenden und Freiwillige. Und hat sich damit einiges an Expertise erarbeitet: Grömer berichtet von NASA-Meetings, in denen gern der Ratschlag “Ask the Austrians” erteilt wird, wenn jemand bei einer Mars-Analog-Expedition nicht weiterkommt. Insgesamt gibt es in dem kleinen Land circa 1.000 Menschen, die mit Weltraumforschung ihren Lebensunterhalt verdienen, etwa 100 kleine und mittlere Unternehmen sind in Österreich in diesem Bereich aktiv.
Das Grazer Institut für Weltraumforschung ist Experte in den Bereichen Magnetometer und Plasmaphysik, der Industriehersteller RUAG ein wichtiger Zulieferer für die Wärmeschutzdämmung. Kein Grund, sich zu verstecken, also. Aus dem Land kommen auch einige Innovationen. Entwickelt zum Beispiel von den 17- und 18-jährigen Schülern Stefan Rietzinger, Moritz Stephan und Julian Rothenbuchner von der Sir-Karl-Popper-Schule in Wien. Ihre Erfindung “Tumbleweed”, zu Deutsch “Steppenroller”, wurde ebenfalls bei der diesjährigen Mars-Mission im Oman getestet. “Wir versuchen, Studenten- und Schülerprojekte zu fördern”, sagt Grömer, der die Mission geleitet hat. “Das sind wichtige Teile unserer Missionen.” Auf der Amadee-18 seien insgesamt vier Schülerprojekte dabei gewesen – wobei das Niveau von Tumbleweed sehr viel höher sei als das eines normalen Schülerprojekts.
Im Gegensatz zu üblichen Mars-Rovern, die quasi Kästen auf sechs Rädern sind, hat Tumbleweed die Form einer Kugel, in der Segel gespannt sind. Auf ihnen sind Solarzellen befestigt, die Energie für den Rover erzeugen – und ihn gleichzeitig mithilfe des Mars-Windes fortbewegen. So soll er die nördliche Polarkappe des Mars erkunden und damit in Gebiete vordringen, in denen kein anderes Fahrzeug vorher war. In der Mitte des Tumbleweed-Rovers sind Kameras und Sensoren befestigt, die Fotos von der Oberfläche machen, Wasser, Dampf und Gase in der Atmosphäre aufspüren, Magnetfelder, Druck, Temperaturen und Sonneneinstrahlung messen. Und so vielleicht auch den am besten geeigneten Ort für eine Mars-Station entdecken. Die Schüler haben das Projekt in ihrer Freizeit entwickelt und mit einem ersten Prototypen den “Odysseus European Youth Space”-Wettbewerb gewonnen, auf der nationalen, regionalen und schlussendlich internationalen Ebene. Den marsähnlichen Bedingungen in der omanischen Wüste konnte Tumbleweed dann aber noch nicht ganz standhalten.
“Es gab ein paar Herausforderungen mit der Lieferlogistik und einige Designschwächen, die sich im Oman schlecht ausgewirkt haben”, fasst Grömer zusammen. Kritisch sieht er das nicht: “Man lernt beim Scheitern mindestens so viel wie mit Erfolgen. Das Wichtigste ist, dass diese Schüler jetzt eine Forschungsmission von A bis Z miterlebt haben, von der Planung und Datenerfassung bis hin zur Publizierung und Diskussion einer wissenschaftlichen Idee.” Von den Startschwierigkeiten lassen sich die drei nicht entmutigen, die Schüler arbeiten weiter an ihrem Projekt.
“Selbst wenn Tumbleweed in dieser Form nie in den Weltraum fliegt, haben wir hier Fortschritte gemacht, die anderen Missionen helfen können.”
“Bis zum Ende des Schuljahres werden wir einen neuen Prototypen fertigstellen, in den wir alle Erkenntnisse aus der Amadee-18-Mission einfließen lassen werden”, sagt Moritz Stephan gegenüber VICE. Zusammen mit einem Sponsor entwerfen und fertigen sie nun eine überarbeitete Version aus 3-D-gedrucktem Titan. Ob es Tumbleweed nachher ins Weltall schafft, ist gar nicht so relevant: “Uns ist sehr bewusst, wie viel Arbeit und vor allem Geld in eine wirklich marstaugliche Version gesteckt werden müssten.”
Die drei wollen auch während des Studiums an dem Projekt weiterarbeiten, noch mehr Ressourcen dafür sammeln und so weit wie möglich kommen, sagt Stephan. “Aber selbst wenn Tumbleweed in dieser Form nie in den Weltraum fliegt, haben wir hier Fortschritte gemacht, die anderen Missionen helfen können.”
Mit der Weltraumforschung verpufft tatsächlich ziemlich viel Zeit und Geld im All – und schon vorher auf der Erde. Aber welchen Mehrwert hat es eigentlich, dass wir auf den Mond fliegen können und irgendwann vielleicht sogar zum Mars? “Es gibt keinen Österreicher und keine Österreicherin, der oder die nicht von der Weltraumforschung profitiert”, so Grömer zu VICE. “Ich garantiere Ihnen, Sie haben heute schon etwas benutzt, das durch Weltraumforschung möglich gemacht wurde. Ob Satellitenbilder, die Wettervorhersage, effiziente Verbrennungsmotoren oder die Software, die für die Brustkrebserkennung verwendet wird – das ist alles Weltraumforschung. Nur ist es inzwischen Alltag geworden, ohne dass wir es bemerkt haben”, erklärt der Doktor der Astrobiologie.
Auch in der diesjährigen Mission wurden wegweisende Projekte getestet: Ein Experiment untersuchte, ob die Kommunikation zwischen der Crew im All und dem Team auf der Erde Aufschluss über den psychischen und körperlichen Zustand der Astronauten geben kann. Ein anderes erforschte, welche Faktoren zeigen, wie erschöpft ein Astronaut ist. Ein 3-D-Drucker sollte während der Mission Ersatzteile und vergessene Bauteile herstellen. Und in einem aufblasbaren Treibhaus wurde auf zwei Quadratmetern Junggemüse mit extrem hohen Nährwerten gezüchtet. Der Prototyp ist aus Polyurethan, leicht transportierbar und soll in extremen Umgebungen und Temperaturen leicht auf- und wieder abgebaut werden können. Möglich, dass auch Menschen auf der Erde von den Erkenntnissen profitieren werden.
Neben dem technologischen Fortschritt liefert die Weltraumforschung Grömers Meinung nach auch einen philosophischen Beitrag: “Diese Bilder von fremden Galaxien, planetarischem Nebel und so weiter, die sind ein Geschenk der Raumfahrt.” Besonders sichtbar werde das bei den Aufnahmen der Apollo-8-Mission aus dem Jahr 1968, die zeigen, wie die Erde hinter dem Mond aufgeht. “Der Blick von außen hilft zu verstehen, welchen Platz wir im Kosmos haben. Durch diese Distanz von Alltagsproblemen sehen wir, dass wir in einem empfindlichen Ökosystem mit endlichen Ressourcen leben. Es geht bei Raumfahrt nicht nur um Technologie-Spin-offs, sondern auch um das Verständnis davon, wer und wo wir sind.”
Genau deshalb seien für Grömer die Schülerprojekte so wichtig. Das Weltraumforum wolle über alle Generationen hinweg Menschen für Raumfahrt faszinieren. Neben Forschung ist auch Vermittlung eine Kernaufgabe des ÖWF. Das fängt im Kindergarten an, wo sie mit den Kindern Wasserraketen aus PET-Flaschen bauen und diese verzieren, und hört erst bei Vorträgen auf Seniorenmessen auf.
Das ÖWF betreut akademische Abschlussarbeiten und betreibt “Street Science”, veranstaltet also Ausstellungen an öffentlichen Plätzen und in Einkaufszentren, aber auch Mars-Expeditionen für Kinder in Badeseen. Es besucht Schulen und nimmt Schüler als Praktikanten auf, wohl mit Erfolg: Ein ehemaliger Schülerpraktikant leitet heute ein Team des ÖWF, das Raumfahrtanzüge entwickelt.
Ein weiteres, bestenfalls nicht allzu futuristisches Ziel des Teams ist, das Gender-Gleichgewicht in der Weltraumfahrt zu verbessern. Mit der Anziehungskraft des Alls will das Weltraumnetzwerk mehr Mädchen für MINT-Fächer begeistern. Bei der letzten Mission war schon ein Projekt von zwei Schülerinnen aus dem Oman mit dabei; aktuell absolvieren omanische Studentinnen ein Praktikum beim ÖWF.
Nur eine Gruppe scheint das ÖWF bislang noch nicht von der österreichischen Weltraumfahrt fasziniert zu haben: Politiker. “Österreich verkauft sich in Bezug auf Raumfahrt unter seinem Wert”, so Grömer. “Auf europäischer Ebene, bei der ESA, haben wir natürlich nur begrenzt etwas zu sagen, weil andere Länder einfach mehr Ressourcen haben”, sagt der Forscher. “Aber die Politik könnte in den dortigen Gremien durchaus selbstbewusster auftreten.” Das können sie von den Raumforschern lernen: Immerhin haben studentische Weltraumenthusiasten 1997 einen Verein gegründet, der heute Mars-Analog-Missionen durchführt, und österreichische Schüler einen Prototyp für einen windbetriebenen Mars-Rover entwickelt. Dann ruft man vielleicht auch in künftigen ESA-Meetings: “Ask the Austrians!”