Matias Aguayo ist lieber uncool

Matias Aguayos Produktionen sind die kleine Oase in der ewigen Weite der House- und Techno-Ödnis. Ihm gelingt es, dass seine Sachen klingen wie richtige Musik und nicht wie Soundpostkarten aus der Presethölle. Der gebürtige Chilene gehört seit Jahren zu den Aushängeschildern des Kölner Labels Kompakt, hat Kooperationen mit Battles, Vampire Weekend oder Azari & III auf dem Release-Kerbholz und mit Cómeme sein eigenes, die südamerikanischen Wurzeln und Einflüsse seines Sounds zwischen Postpunk, EBM und Proto-House aufgreifendes Label am Start.

Aguyao, der die Anregungen für seine Lieder auf Reisen in die entlegensten Winkel der Welt einsammelt, hat mittlerweile sein drittes Album im Kasten. Ganze fünf Jahre hat er für The Visitor gebraucht und wie der Name schon andeutet, dürfte auch darin mehr verarbeitet worden sein als der Vibe eines verstaubten Kölner oder Berliner Producer-Schlafzimmers. Er war wieder in den verschiedensten Kulturkreisen unterwegs und hat dann auch direkt dort aufgenommen. Mit dabei sind Labelkollegen wie Philipp Gorbachev, Ana Helder, Daniel Maloso, Avril Ceballos, Sano, Gladkazuka oder Alejandro Paz oder Gesinnungsgefährten aus anderen Ecken wie Juliana Gattas (Miranda!), Aérea Negrot, Liset Alea und Jorge González (Los Prisioneros). Alles, was man über dieses Album wissen muss, warum es cooler ist, uncool zu sein und über die Drogenprobleme in Lateinamerika sprach er mit uns im Interview.

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Noisey: Wie ging das für dich damals eigentlich los mit elektronischer Musik? Irgendwelche denkwürdigen Erweckungsmomente?

Matias Aguyao: Es fällt mir schwer, in dieser Hinsicht wirklich zwischen einem Vorher und Nachher zu unterscheiden. Das ist mehr so ein fließender Prozess von einer Musikrichtung in die Andere gewesen. Die neunziger Jahre und die Zeit in der ich in Köln gelebt habe, waren vielleicht besonders prägend. Ich mache ja Musik, seit ich klein war und merke, dass Melodien und Rhythmen, die ich während meiner Kindheit gehört habe, in meine musikalischen Einflüsse von heute mit hineinspielen, auch wenn dies teilweise eher unterbewusst passiert. Meine Eltern haben damals neben typisch chilenischen Sachen wie Víctor Jara oder Los Jaivas auch zum Beispiel die Beatles gehört. Meine musikalische Entwicklung, also von Chilenischem Folk oder Pop zu Disco und von dort zu House und zu Techno, war schon recht kontinuierlich und an sich auch total logisch.

Hast du Instrumente gelernt?

Ich habe schon in meiner Kindheit vieles ausprobiert, mich aber nie wirklich auf ein Instrument spezialisiert. Es gab eine Zeit, da hab ich Orgel gespielt und dann eine Zeit lang Gitarre und Geige. Ich habe aber immer gesungen, also meine Stimme als Instrument benutzt und das dann aufgenommen. Das hat beim Kassettenrecorder mit der Recordfunktion und einem kleinen Mikrofon angefangen. Dann habe ich von einem Tape auf ein Anderes aufgenommen und ein Mikrofon dazwischen geschaltet, um zwei Spuren zu erhalten. Als Nächstes kam Vier-Spur-Recording, die Tapes dazu hab ich mir von Freunden geliehen. Das ging dann immer so weiter. Man kann also sagen, dass ich heutzutage immer noch das selbe mache wie damals mit neun Jahren, nur mit weiterentwickelter Technik.

Was kam bei dir zuerst? Das Auflegen oder Produzieren?

Ich habe zuerst Musik gemacht. Das DJing kam erst später dazu.

Wie sehen denn deine Arbeitsweise und dein Set-Up beim Musikmachen normalerweise aus?

Ich habe versucht, bei jeder Platte anders zu arbeiten und die Herangehensweise zu verändern. So war zum Beispiel Are You Really Lost von 2005 sehr MPC- und samplerbasiert. Auf AiAiAi habe ich fast nur mit meiner Stimme gearbeitet. Bei The Visitor ist der Prozess nochmal viel komplexer. Da spielen mehrere Musiker mit, da gibt es richtige Drums, Drummachines oder Drummachines, die mit der Hand gespielt wurden. Die Idee, fast alles mit der Hand zu spielen und sehr lange Takes zu erstellen, zieht sich wie ein roter Faden durch die Veröffentlichung. Meine ganze Albumarbeit war sehr daran orientiert, den Computerbildschirm so wenig wie möglich betrachten zu müssen. Das bedeutete dann auch, die Tracks richtig zu spielen und einen Basslauf auf einem Syntheziser drei bis fünf Minuten durchzuhalten, um kleine Variationen zu entwickeln. Beim Gesang ist das ähnlich. Viele der Songs sind während Liveperformances entstanden, in denen ich vorgefertigte Rhythmen oder Riddims, wie man im Reggae sagen würde, auf CD dabei hatte und mit einem Mikrofon drüber gesungen habe. Diese Sachen wurden dann auf diese Weise zu Songs, beziehungsweise hatte ich die auch schon so sehr geübt, dass ich im Studio direkt aufnehmen konnte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man allein im Homestudio oft eher leise singt, mehr geflüstert oder eben in Formen die für das Livespiel gar nicht so interessant sind. Da kommt es dann zu ganz anderen Ergebnissen.

Du hast in der Vergangenheit auch mit Bands wie The Battles oder Vampire Weekend zusammengearbeitet. Gibt es noch andere Künstler auf deiner Wunschliste für gemeinsame Tracks?

Ich bin momentan sehr glücklich mit den Musikern, mit denen ich zusammenarbeite. Das zeigt sich besonders in der Kollaboration mit Philipp Gorbachev und Alejandro Paz. Bei der anstehenden Live-Tour zum Album wollen wir gemeinsam Strukturen entwickeln, wie man die Stücke in einen besonderen Livekontext setzen und während des Spielens weitere Ideen hinzufügen kann. Wenn ich jetzt aber ganz allgemein sprechen soll, war und bin ich sehr daran interessiert, endlich mal etwas mit Juana Molina aus Argentinien zusammen zu machen. Sie hat auch Lust drauf, bislang hat es aber zeitlich noch nicht geklappt. Ich hoffe, dass wir das irgendwann mal hinbekommen. Sie hat eine ganz interessante Herangehensweise, die meiner nicht so fern ist.

Was war die Idee dahinter, all diese Leute auf dein Album zu holen?

Die Idee war einfach, Spaß an der Musik zu haben. Cómeme ist ja viel kollaborativer geworden. Da existiert immer mehr Zusammenarbeit zwischen den Künstlern und das Album ist der nächste Schritt gewesen. Du hattest mich ja nach einer bestimmten Arbeitsweise gefragt und diese versuche ich zu verändern, um mich in Situationen zu begeben, mit etwas am Anfang zu stehen. Etwas noch nicht ganz zu beherrschen finde ich interessant, da sich in diesem Punkt eine gewisse Unbeholfenheit widerspiegelt, in der man zu tollen Ergebnissen kommen kann. Diese sind dann nicht so sehr in bisherigen Mustern festgefahren. Ich arbeite viel lieber mit anderen Künstlern zusammen, als allein meine Fantasiewelten auszuleben. So etwas wird viel zu schnell zu selbstbezogen. Die Arbeit mit anderen Leuten ist da für mich erfüllender. Diesen sozialen Zusammenhang versuchen wir auch mit Cómeme zu schaffen. Deshalb haben so viele Künstler des Labels an meiner Platte mitgeholfen. Umgekehrt ist es dann aber natürlich auch so, dass sich alle beteiligen, wenn zum Beispiel Philipp Gorbachev eine Platte macht. Einer macht die Backing-Vocals, ein anderer hilft beim Abmischen und so weiter.

Klingt als wäre viel an dem Album spontan entstanden?

Es gab keine spezifische Idee für das Album, nach dem Motto das muss so und so sein. Das gehört aber wiederum zu meinem allgemeinen Arbeitskonzept. Ich reagiere eher auf Impulse und lasse viel Spontanes zu. Man tendiert in der elektronischen Musik leicht dazu, zu kontrollieren was man macht und Dinge zu hinterfragen ob man zum Beispiel die Kriterien des Genres erfüllt. Das sind Punkte die mich überhaupt nicht mehr interessieren. Mir geht es viel mehr darum, dies und jenes zuzulassen, auch wenn es irgendwie albern rüberkommt. Mir ist es lieber, zu akzeptieren, dass so etwas in meiner Musik passieren darf, als eine zwanghafte Coolness bedienen zu müssen, in der ich mich vielleicht in verschiedenen Punkten einschränken müsste. Deswegen begreife ich die Musik auch als einen Befreiungsprozess. Der Impuls des Musizierens war für mich in meiner Kindheit ja etwas sehr Spielerisches und Freies und diese Freiheit möchte ich mir nicht nehmen lassen. Deswegen versuche ich mich nicht so sehr darauf zu konzentrieren, was die Leute von mir erwarten.

In dem Stück „Las Cruces“ setzt du dich mit den Drogenproblemen in Kolumbien auseinander. War es dir wichtig, das Album auf eine politische Ebene zu heben?

Die politische Ebene findet bei Cómeme auch auf anderen Kanälen statt und nicht bloß inhaltlich, wie im Text des Stückes. Wir wägen genau ab, mit welchen Promotern wir zusammenarbeiten und vor welchem Publikum oder in welcher Location wir auftreten. Wir hatten damals auch die Idee, den öffentlichen Raum für Veranstaltungen zu nutzen. Das sind ja auch politische Entscheidungen, die aber eher etwas mit dem Wie zu tun haben und nicht so sehr damit, was man sagt. Das Stück behandelt das Thema nicht nur auf einem politischen Level im Sinne von Krieg und Drogen und all dem was in Lateinamerika passiert, sondern behandelt Kokain als die schlechte Droge. Da geht es eben nicht um Liebe oder Bewusstseinserweiterung. Sie macht die Menschen eher hart, kalt und effizient. Das passt für mich nicht zu dem Spirit den ich vertrete. Dem entgegen steht in dem Track dann auf humorvolle Weise dieser ziemlich abgewrackte Strand Las Cruces in der Nähe von Santiago, wo man sich dann mit den Kumpels hinhockt und selbst angebautes Gras raucht, als Alternative zu diesem Koks Glamour, der irgendwann in der Musikszene Fuß gefasst hat und den ich nicht gut finde.

Matias Aguayos The Visitor ist am 15. Juni auf Cómeme erschienen, außerdem spielt er heute und morgen auf dem von Noisey präsentieren c/o pop Festival in Köln, heute ab 23 Uhr auf der 20 Jahre Kompakt Party und morgen ab 23 Uhr auf der Coméme und Roxy Labelnacht.

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