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Macht zu viel Zeit vor dem Bildschirm depressiv? Neue Studie mit 500.000 Teilnehmern sagt ja

“Haben Smartphones eine Generation zerstört?” Allein mit der Frage sorgte die US-amerikanische Psychologin Jean Twenge im Sommer für hitzige Diskussionen. Nun hat sie eine Studie veröffentlicht, die eine mögliche Verbindung zwischen Suiziden und Depressionen bei Jugendlichen und erhöhter Smartphone-Nutzung aufzeigt – und wieder ruft sie damit einige Gegenstimmen auf den Plan.

Die Studie, die Mitte November im Fachjournal Clinical Psychological Science veröffentlicht wurde, führt beunruhigende Zahlen auf: 2015 vermeldeten in den USA 58 Prozent mehr Mädchen von 13 bis 18 Jahren Symptome von Depressionen als 2009, die Suizidrate in dieser Gruppe stieg sogar um 65 Prozent. Im selben Zeitraum avancierte auch das Smartphone zum ständigen Begleiter von Jugendlichen, die heute mehr Zeit mit den Gadgets verbringen als je zuvor. Eine aktuelle Erhebung von Common Sense Media ergibt, dass US-amerikanische Jugendliche neun Stunden täglich vor dem Bildschirm verbringen, dazu zählen auch Smartphones.

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Allerdings stimmen bei Weitem nicht alle Forscher mit den Ergebnissen von Twenge überein. Andere fundierte Studien weisen darauf hin, dass die Nutzung neuer Medien sich nicht negativ auf die Psyche von Jugendlichen auswirkt und in einigen Fällen sogar positive Effekte hat. Was ist also tatsächlich dran an dem Vorwurf, dass der digitale Dauerkonsum Jugendlichen schadet?

Die Grafik zeigt, wie sich die Bildschirmnutzung, Offline-Aktivitäten und Symptome von Depressionen bei Acht- und Zehntklässlern von 2009 bis 2015 entwickelt haben | Bild: Jean M. Twenge

Für ihre Studie schauten sich Twenge und ihr Team zwei Datensätze an: die repräsentative Umfrage “Monitoring the Future“, die in den USA jährlich von der University of Michigan bei Acht-, Zehnt- und Zwölftklässlern durchgeführt wird, sowie die Ergebnisse des “Youth Risk Behaviour Surveillance System“, eine Studie, die jedes Jahr von der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC unter High-School-Schülern durchgeführt wird. Insgesamt wurden Daten von 500.000 jungen Leuten erfasst.

Die Verfasser der Studie untersuchten, wie Teenager soziale Medien, das Internet und Geräte wie Tablets, Spielekonsolen und Smartphones nutzen. Außerdem untersuchten sie, wie viel Zeit die Jugendlichen mit Offline-Aktivitäten wie Hausaufgaben, Sport oder Treffen mit Freunden verbrachten.

Anschließend verglichen sie diese Ergebnisse mit Datenerhebungen hinsichtlich psychischer Gesundheit und dem Vorkommen von Suiziden in derselben Altersgruppe aus den Jahren 2010 bis 2017. Die Forscher entdeckten ein “klares Muster”, wie sie in der Studie schreiben: Vermehrte Aktivitäten vor dem Bildschirm wurden mit höheren Leveln an Depressionen, Suiziden oder Suizidgedanken in Verbindung gebracht, Offline-Aktivitäten hingegen nicht.

Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass speziell junge Frauen von diesen negativen Entwicklungen betroffen sind. Twenge glaubt, dass soziale Medien daran Schuld sein könnten: Denn Mädchen verbringen mehr Zeit in sozialen Netzwerken, während Jungen lieber Videospiele spielen. Soziale Medien könnten für die Psyche schädlicher als Gaming sein, so die Psychologin. Zeit vor dem Bildschirm ist also nicht gleich Zeit vor dem Bildschirm.

Bisher gibt es noch nicht viele Forschungen, die sich mit digitalem Konsum und der Auswirkung auf die mentale Gesundheit beschäftigen – und die Ergebnisse, die es bereits gibt, sind oft widersprüchlich. So existieren auch Studien, die nahelegen, dass Videospiele eine therapeutische Wirkung haben können, um beispielsweise Traumata besser zu verarbeiten. Außerdem haben Online-Communities das Potenzial, Teenager mit Gleichgesinnten zu verbinden, die ihre Interessen teilen – und somit dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation entgegenzuwirken, das in vielen Fällen späteren Suizidgedanken vorausgeht.

Twenges Arbeit wurde bereits von anderen Psychologen kritisiert. Vor allem auf ihren Artikel “Have Smartphones Destroyed a Generation?“, der im September 2017 in The Atlantic erschien, gab es viel Gegenwind. Die Psychologin Sarah Rose Cavanagh fasst ihre Gegenargumente auf Medium zusammen. Cavanagh kritisierte, dass Twenge einzelne Studienergebnisse herausgepickt habe, um ihre These zu stützen. Außerdem zähle sie in der Zusammenfassung lediglich Zusammenhänge auf, könne aber keine klare Beziehung zwischen Ursache und Wirkung herstellen.


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Der Psychologe Andrew Przybylksi hat noch eine andere Theorie. Gegenüber NPR erklärte er, dass Teenager heutzutage vielleicht einfach eher bereit wären, über negative Gefühle und Sorgen zu reden oder auch besser in der Lage seien, die Symptome einer Depression zu erkennen. Somit habe die tatsächliche Anzahl an depressiven Teenager möglicherweise gar nicht zugenommen.

Wir haben Twenge gefragt, was sie zu der Kritik sagt, dass ihre Schlussfolgerungen alarmistisch seien oder von den Medien überspitzt dargestellt würden. “Ich habe ein paar Kommentare gesehen, die erklären, ‘dass es der Jugend blendend geht’”, sagt Twenge. “Aber da die Suizidrate von jungen Mädchen in den USA innerhalb von fünf Jahren um 65 Prozent gestiegen ist, kann ich mir nicht vorstellen, wie jemand das ernsthaft glauben oder unsere Ergebnisse als ‘überspitzt’ bezeichnen kann.” Es sei wichtig, diesen Anstieg an psychischen Problemen festzuhalten, so Twenge, um das Ausmaß des Problems zu verstehen und betroffenen Jugendlichen die nötige Hilfe bieten zu können.

“Selbst wenn wir die Zeit vor dem Bildschirm als neutral betrachten, könnte sie sich trotzdem negativ auswirken, wenn Jugendliche deswegen weniger Zeit damit verbringen, ihre Freunde offline zu treffen”, sagte Twenge gegenüber Motherboard. “Der starke und plötzliche Anstieg von mentalen Gesundheitsproblemen bei Jugendlichen verdient auf jeden Fall Beachtung, egal welche Ursache er hat”, fügte sie hinzu.

Die Therapeutin Lisa Pont, die für das Centre for Addiction and Mental Health in Toronto arbeitet, sagte gegenüber Motherboard, dass junge Frauen häufiger soziale Medien nutzen und eher dazu tendieren, eine ungesunde Beziehung zu den Netzwerken zu entwickeln. Vor allem auf Personen, die sowieso schon zu Depressionen neigen, könnte diese Nutzung einen negativen Effekt haben. “Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich depressive Menschen sozial isolieren”, sagt Pont. “Wenn sie sich erst einmal isoliert haben, verspüren sie vielleicht den Drang online zu gehen und sich von schmerzlichen Gefühlen abzulenken, die Langeweile zu bekämpfen oder das Bedürfnis nach irgendeiner sozialen Verbindung zu stillen.” Das kann sich laut Pont zu einem Teufelskreis entwickeln: Durch die Depression verbringen die Leute mehr Zeit online und das verschlimmert wiederum die Depression.

Twenge ist allerdings nicht der Meinung, dass man Jugendlichen ganz und gar den Stecker ziehen sollte. Sie rät dazu, nicht länger als zwei Stunden seiner Freizeit vor dem Bildschirm zu verbringen, um negative Auswirkungen auf die eigene Gemütslage zu vermeiden.

Bei Depression oder akuten Suizidgedanken gibt es zahlreiche Stellen, die professionelle Hilfe anbieten und das eigene Leid lindern helfen. Die Hotlines sind Tag und Nacht erreichbar. Auch wer Opfer von Mobbing wird, findet in Deutschland bei vielen Stellen Hilfe.