“Solange Beatrix von Storch sich menschenverachtend äußert, werde ich weiter mit Torten auf sie werfen!”

Gut, dass die 22-Jährige Julia keine Bäckerin geworden ist. Statt Teig nimmt sie Bauschaum, statt Sahne Rasierschaum. “Das klebt einfach besser”, sagt sie. Und das soll es auch. Julias Torten schmecken zwar übel, eignen sich aber hervorragend, um AfD-Politikerinnen Gesicht und Klamotten vollzuschmieren. Das hat Julia Pie – der Künstlername ist selbsterklärend – öffentlichkeitswirksam bewiesen. Bereits im November 2016 tortete sie Beatrix von Storch bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kiel mit einem ihrer Schaumkuchen. Julia nannte das einen kreativen Protest, das Amtsgericht Kiel nannte es Beleidigung. Die Aktivistin wurde zu einer Geldstrafe von 150 Euro verurteilt.

Statt zu zahlen, ging sie lieber zwei Wochen ins Gefängnis. Über diese Erfahrung berichtete sie auf ihrem Blog. Sie wolle zeigen, “dass Strafe und Knast nicht dabei helfen, gesellschaftliche Probleme zu lösen”, schrieb sie in einer Presseerklärung des antifaschistischen Infoladens Subtilus. Am Samstag wurde Julia aus der Haft entlassen. Wir haben sie gefragt, wie die letzten Wochen so waren.

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VICE: Du wurdest eigentlich nur zu einer Strafzahlung verurteilt. Das hast du aber abgelehnt und bist stattdessen für zwei Wochen in den Knast gegangen. Warum?
Julia Pie: Ich sollte 150 Euro zahlen, weil ich eine Torte auf Beatrix von Storch geworfen habe. Dafür wollte ich nicht zahlen. Dazu stehe ich auch weiter. Und ich sage ganz klar: Solange Beatrix von Storch sich menschenverachtend äußert, werde ich weiter mit Torten auf sie werfen. Mir ging es aber auch um das Konzept Gefängnis. Ich glaube nicht, dass Strafe dabei hilft, gesellschaftliche Probleme zu lösen. Knast ist scheiße. Und Menschen werden aus den belanglosesten Gründen eingesperrt. Darauf wollte ich aufmerksam machen.

“Meine Oma hat mich persönlich zum Haftantritt gebracht.”

Wie hat dein Umfeld darauf reagiert, dass du ins Gefängnis gegangen bist?
Natürlich überlegt man sich, wem man das wie erzählt. Ich habe versucht, offen damit umzugehen. Knast ist ein Thema, über das wenige offen sprechen. Meine Freunde haben verstanden, weshalb ich diese Entscheidung getroffen habe. Ich glaube, meine Eltern auch. Mein Vater hat mir sogar eine Postkarte ins Gefängnis geschickt. Und meine Oma hat mich persönlich zum Haftantritt gebracht.

Du bist Studentin. Hättest du in diesen zwei Wochen nicht in der Uni sein müssen?
Ich hatte Glück mit den Terminen. Ich konnte den Haftantritt schieben, deswegen hat das gepasst. Eine mündliche Prüfung hätte ich aber trotzdem in dieser Zeit gehabt. Der Professorin habe ich erzählt, ich hätte die Chance, an einem spannenden soziologischen Experiment teilzunehmen. Im Knast. Die hat mich dazu sogar beglückwünscht.

War der Knast so, wie wir ihn uns vorstellen? Wie viel Orange Is the New Black steckt in deutschen Frauengefängnissen?
Der Alltag ist viel banaler als in solchen Serien. Klar, es gibt auch Affären unter den Frauen und dann reden alle darüber, wer was mit wem getan hat. Aber ansonsten fühlt es sich viel grauer an als eine Fernsehserie. Ein Knast-Klischee, das tatsächlich stimmt, ist, dass alles getauscht wird. Das geht von Briefmarken über Drogen bis hin zu Süßigkeiten. Am Anfang weißt du nicht, was wie viel wert ist. Da kannst du schon abgezogen werden. Aber darauf hatte ich mich schon vorbereitet.

Wie bereitet man sich denn aufs Gefängnis vor?
Eine Freundin von mir war vor einem halben Jahr im Gefängnis und konnte mir schon vorher viele Fragen beantworten. Außerdem gibt es einen Ratgeber, den ich empfehlen kann: “Wege durch den Knast”. Das Buch habe ich gelesen und hatte es auch im Gefängnis dabei. Vor allem habe ich mir aber fest vorgenommen, so offen wie möglich auf die anderen Insassinnen zuzugehen und mit ihnen zu sprechen.

Und hast du das geschafft?
Ja, auf jeden Fall. Gerade als ich erzählt habe, wie ich Knäste sehe, und dass ich drin bin, um Gefängnisse besser kritisieren zu können, war das Verständnis groß. Viele Gefangene waren in ihren Gesprächen mit mir sehr offen. Es war interessant, sich deren Lebensgeschichten anzuhören.

“Ein Gefangener hat mir geraten, das nächste Mal doch besser Storchenscheiße statt einer Torte zu nehmen.”

Wie haben die darauf reagiert, dass du Beatrix von Storch eine Torte ins Gesicht geworfen hast?
Unterschiedlich. Die meisten fanden das amüsant. Tatsächlich habe ich sogar einen Brief von einem anderen Gefangenen bekommen. Der hat mir geraten, das nächste Mal doch besser Storchenscheiße statt einer Torte zu nehmen.

Unabhängig von deiner politischen Mission: Wie schlimm war es, zwei Wochen lang eingesperrt zu sein?
Das macht schon etwas mit einem. Am schlimmsten waren für mich die Wärterinnen. Du bist da täglich von Menschen umgeben, die dir einreden wollen, dass du schuldig bist, dass es deine eigene Schuld wäre, dass du bist, wo du bist. Diese Idee ist bescheuert. Menschen landen im Knast, weil sie schwarzfahren oder einen Ladendiebstahl begehen. Da sind die doch nicht schuldig und müssen weggesperrt werden. Es sind doch viel eher die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Menschen kriminell machen.

Wie war dein Verhältnis zu den Wärterinnen?
An und für sich sind das Beamte, die ganz nett sind. Trotzdem haben sie Macht über dich. Viel Macht. Permanent wird einem mit Strafen gedroht. Da kostet es viel Kraft, widerständig und bei sich selbst zu bleiben. Ich habe teilweise für echte Kleinigkeiten auf den Deckel bekommen. Weil ich barfuß über den Flur gelaufen bin. Oder weil ich nicht gerade gestanden habe, als ich mich mit ihnen unterhalten habe.

Wie war es, nach zwei Wochen entlassen zu werden?
Ich wurde von ein paar Freundinnen abgeholt. Wir sind erst einmal essen gegangen. Schon da habe ich gemerkt, wie anstrengend es ist, von so vielen Menschen umgeben zu sein. Im Gefängnis bist du den größten Teil in deiner Zeit alleine. Und ich war gerade einmal zwei Wochen drin. Wie schlimm muss das erst sein, wenn man ein paar Jahre im Knast verbracht hat! Das macht noch einmal klar, wie absurd die Idee ist, Straftäter wieder zu funktionierenden Teilen der Gesellschaft machen zu wollen, indem man sie isoliert.

Bist du jetzt resozialisiert und hörst auf, Torten zu werfen?
Natürlich nicht. Ich mache mit meiner politischen Arbeit genauso weiter wie zuvor. Und was den Knast angeht: Ich habe Gefängnisse schon vorher scheiße gefunden. Und jetzt, wo ich selber ein einem war, hat sich meine theoretische Kritik auch praktisch bestätigt. Ich kann jetzt aus eigener Erfahrung sagen: Knast ist scheiße.

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