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Landleben

Eine Berner Landwirtin zeigt ihren männlichen Kollegen, wie man heute einen Hof führt

"Manchmal bist du die einzige Frau unter zwanzig 60-jährigen Männern. Meistens haben die aber eh mehr Angst vor dir als du vor ihnen."
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Als ich in die S-Bahn Richtung Thun einsteige, bin ich alleine im Wagon. Die morgendlichen Pendlerströme spucken die Leute in die Stadt hinein, während ich den Weg hinaus nehme – bis ich in einem kleinen Dorf umsteigen muss, steigt auch niemand hinzu. Erst im Bus zu meinem Ziel Riggisberg begrüsst mich der Busfahrer mit den anderen fünf Fahrgästen persönlich mit einem sympatisch-bernischen "Grüessech". In Riggisberg, eine halbe Stunde ÖV-Fahrt von Bern entfernt, führt die 29-jährige Anna-Katharina Böhlen einen eigenen Bauernhof, den sie von ihren Eltern übernommen hatte. Eigentlich war genau das ein No-Go für Anna-Katharina – in ihrer Kindheit war den Eltern wichtiger, dass sie ausserhalb vom Bauernhof ihren Weg geht. Diesen wählte sie auch und machte eine Lehre als Kauffrau bei den Bundesbahnen, lebte in Irland, vertrieb an Londoner Märkten Käse für junge Schweizer Start-ups und jobbte auch mal in einem Callcenter einer Versicherung, bei der sie sich innert wenigen Jahren zur Ausbildnerin hocharbeitete. Während ihrer Zeit in London kamen die Zweifel: "Wenn du bei einem jungen Start-up bist, arbeitest du immer 150 Prozent. Neben dem Job hast du kein Sozialleben, du arbeitest mit den Leuten, du gehst mit den Leuten aus dem Job aus, du wohnst mit den Leuten."

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Als ihr Vater sein Land verkaufen wollte, zog Anna-Katharina mit ihrem heutigen Ehemann zurück nach Riggisberg und legte ohne Erfahrung im Führen eines Bauernbetriebs einfach mal drauf los. Nebenher macht sie heute die Bäuerinnenschule. Auch wenn die Ausbildung für Männer offen steht, gehen ausschliesslich Frauen mit Anna-Katharina in die Klasse. Im Gegensatz zur Lehre zum Landwirt, der klassischen Bauernausbildung, lehrt die Bäuerinnenschule Fächer aus dem konservativen Rollenbild der Frau in der Landwirtschaft: "Sie lehren uns den Haushalt zu machen, zu kochen, das Zopfbacken, Buchhaltung, Putzen und den Garten zu pflegen. Am Schluss, wenn du bestehst, erhältst du nach Praxisblöcken und einer schriftlichen Arbeit ein eidgenössisches Diplom", erklärt mir die Jungbäuerin. In den Lehrmitteln kennt die Bäuerinnenschule keine Aufgaben, in denen der Frau der Hof gehört – sie nimmt immer die Position an der Seite des Mannes ein.

Auch einige junge Kätzchen gehören zum Hof

Als Anna-Katharina für ihren Praxisblock einen Hof suchte, bei dem sie Erfahrung sammeln kann, erhielt sie erstmal eine Absage. Weil der Bauer zuvor schon eine Lehrtochter hatte, die ihre Ausbildung abbrach, wollte er keine Frau mehr nehmen. "Er brauche jemanden, der richtig anpacken könne, sagte er zu mir", erzählt mir die Bäuerin. Manche ihrer Berufskollegen gehen oft auch einfach davon aus, dass der Hof ihrem Mann gehört. "Manchmal bist du dann wirklich die einzige Frau unter zwanzig 60-jährigen Männern. Meistens haben die aber eh mehr Angst vor dir als du vor ihnen", erklärt mir die 29-Jährige. Benachteiligt von ihrem konservativen Berufsumfeld fühlt sich die Jungbäuerin trotzdem nicht – sie nutzt ihr Rookie-Dasein auch mal zu ihren Gunsten aus: Als Frau darf sie nämlich ihre Nachbarsbauern auch mal etwas Banales fragen, ohne dass es peinlich wird. Daran dass viele Frauen in der Branche keine aktivere Rolle einnehmen wollen, sind für sie aber nicht die Strukturen schuld: "Ihnen fehlt einfach ein unternehmerisches Verständnis. Es ist für viele bequemer, sich hinter ihrem Mann zu verstecken, anstatt Verantwortung zu übernehmen." Weil ihr Mann bereits die Lehre zum Landwirten begann, entschied sie sich trotz diesen Umständen ergänzend für eben diese Bäuerinnenausbildung.

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Die Jungbäuerin bevorzugt fleischarme, aber schützenswerte Tierrassen

Verstecken will sich Anna-Katharina mit ihrem noch jungen Betrieb nicht: Als eine der wenigen in der Schweiz baut sie auf ihren Feldern Lein an, dass sie als Öl oder Samen verkauft, und hält nur heimische Tierrassen, die zwar viel weniger Fleisch ansetzen, dafür aber für mehr Geld verkauft werden können. Weil sie gerne auch mal experimentiert, anstatt alles auf dem Hof genau zu planen, ging schon mal die Ernte eines ganzen Feldes drauf, weil die Aussaat einen harten Winter nicht überstand. Auch in der Vermarktung geht sie eigene Wege: Anstatt ihre Ernte an Verarbeiter zu verkaufen, verarbeitet sie ihre Produkte selbst und vertreibt sie persönlich an Läden. "Wenn du den Leuten eine Geschichte erzählt, kannst du deine Produkte viel besser verkaufen – die Geschichte ist fast wichtiger als das Produkt", erklärt sie mir. Dass viele ihrer männlichen Kollegen an Traditionen festhalten, stört sie: "Viele Schweizer Bauern haben nie gelernt, innovativ zu sein. Stattdessen halten sie seit Generationen die immergleichen Milchkühe und produzieren in sterbenslangweiligen Monokulturen Gras, Mais und Getreide." Keinen Liter würde sie für den aktuellen Milchpreis verkaufen, doch viele Bauern fehle einfach im täglichen Überlebenskampf die Kraft, sich für ihre Belange einzusetzen, erklärt mir die Bäuerin.

Gäste können auf ihrem Hof im Heulager übernachten

Die Strukturprobleme der Schweizer Landwirtschaft sind auch bei Anna-Katharina offensichtlich: Um ihre Leinsamen überhaupt kostendeckend produzieren zu können, müsste sie den zehnfachen Preis verlangen, für den ausländische Händler für ihre Leinsamen verkaufen. Gegen die Samen aus China und Kanada, die auch noch vermeintlich Bio-Qualität haben, hat sie nur mit Produktinnovation, guter Vermarktung und dem Goodwill der Kunden eine Chance. Trotz Direktzahlungen des Staates, für die sie beispielsweise einen Teil ihrer Felder extensiv – also naturbelassen ohne künstliche Hilfsmittel – bewirtschaftet, schreibt die Jungbäuerin noch rote Zahlen. Bis sie mit dem Hof ihr erstes Geld verdienen können, geben sich Anna-Katharina Böhlen und ihr Ehemann noch drei Jahre Zeit. Bis dann wollen sie sich noch mit ihren Vorstellungen einer modernen Schweizer Landwirtschaft versuchen. Übrigens: Bei der Heirat übernahm ihr Ehemann Anna-Katharinas Nachnamen: "Der eigene Nachname hat mir einfach besser gefallen und weil mein Mann in allen Belangen voll hinter mir steht, war er auch damit einverstanden", erklärt sie mir.

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