Die einzig wahre OG-Graffiti-Tour durch Berlin

“Streetart ist Graffiti für Leute, die Graffiti nicht verstehen” sagte mal jemand, der es wissen muss. Um wen es sich handelt, darf hier nicht gesagt werden. Lediglich das Pseudonym könnte man veröffentlichen. Und zwar, weil es sich bei Graffiti immer noch um eine Straftat handelt und die Polizei Sprüher gerne mal traktiert, als handele es sich um ein Kapitalverbrechen, wenn jemand Wände bunt anmalt.

Auch in der Bevölkerung werden die beiden Kunstrichtungen vollkommen unterschiedlich wahrgenommen. Graffiti ist für die meisten Menschen unleserlich, sie verstehen weder die Codes, noch die Regeln oder sind in der Lage, Qualität von Anfängertum zu unterscheiden. “Kenn ich nicht, soll sich ficken.”

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Bei Streetart ist die Sache ganz anders. Ein Vermummter, der einen Blumenstrauß wirft. Ein Polizist, der ein kleines Mädchen durchsucht. Irgendwas mit Herzen. Irgendwas mit Facebook-Likes. Irgendwas zum Wohlfühlen. Banksy verstehen auch Menschen mit einem Riester-Konto und Barbara ist die zu Schrift mutierte JuSo-Kampagne. Das erwärmt einfach so schön das Herz, während man die Aktienfonds checkt oder sein Start Up-Unternehmen neu einrichtet.


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Auch in Deutschland ist Streetart längst akzeptiert. In den Galerien wird händeringend nach dem nächsten Geschäft gesucht. Und durch die Straßen werden unzählige Touristen-Gruppen geschleust, auf der Jagd nach dem neuesten pseudo-kritischen Schablonen-Hit. Vollkommen richtig also, wenn SOZI 36, ewige Graffiti-Legende und politischer Sprüher, vor kurzem an prominenter Streetart-Stelle in Berlin-Kreuzberg feststellte: “Street Art Tours are like Ghetto Zoo”. Wenige Stunden später stand der erste Fotograf mit Stativ vor dem Schriftzug, um ihn professionell zu verwerten.

Recht hat er. Obwohl es auch durchaus interessante Streetart gibt, zieht es die Szene doch immer mehr ins Rampenlicht. Graffiti hingegen fristet, trotz fragwürdiger Projekte wie “The Haus“, sein Dasein größtenteils in der Illegalität. Und viele der Künstler wollen da auch gar nicht raus. Wesentlicher Bestandteil von Graffiti ist Widerstand gegen das Establishment und dieser ist automatisch verbunden mit Anonymität. Eine Ausnahme sind Sprüher, die ihren Weg aus der Illegalität gefunden haben und nun in Talkshows oder bei Jugendprojekten erzählen, was für schlimme Finger sie früher waren.

Oder aber Rapper. Denn nicht wenige MCs bedienen mehr als eine Säule des HipHops und verbinden ihre Zeit des geschriebenen Wortes mit ihrer neuen Passion: dem gesprochenen Wort. Aktuell zeigen 187 ja mehr als offen, dass sie quasi im Alleingang das Stadtbild Hamburgs bestimmen. Und auch in Berlin gibt es eine Menge Rapper, die ihre Spuren an den Wänden hinterlassen haben. G-Hot, Bogy oder Mosh 36 sind da nur einige der relevanten Namen.

SOZI 36 wiederum hat seine Botschaft wenig später etwas abgeändert. “Scheiss Street Art bringt die Touris in den Kiez” war nun an gleicher Stelle zu lesen. Und tatsächlich tummelte sich nur wenig später die erste Gruppe unter fachkundiger Führung irgend eines Wursthaar-Trägers vor dem Bild, der den andächtig Lauschenden erklärte, was es hier alles Spannendes zu entdecken gäbe.

Ist ja irgendwie auch nachvollziehbar. Denn es gibt definitiv spannende Kunstwerke zu entdecken auf den Straßen Berlins. Aber Führungen durch die Potemkinschen Dörfer von Kreuzberg, in denen die Fassade alternativ daherkommt und das Innere längst aus Edelstahlküchen und Marmorfliesen besteht, das ist nur noch unangenehm. Wie löst man dieses Dilemma also? Man führt die Massen weg vom Offensichtlichen und verteilt sie auf die Stadt.

Unsere beiden Autoren haben sich also auf die Suche gemacht, nach den Überresten von Rapper-Graffitis. Nach den Bildern, die der Tourist aus NRW desinteressiert links liegen lässt, weil sie ihm nichts sagen. Nach den Orten, an denen illegale Kunst entstand und immer noch steht. Denn Graffiti ist temporär, einige Jahre Inaktivität werden meist mit kompletter Auslöschung des eigenen Werks bestraft, die Putzkolonne schläft nie.

Fler

Foto: Peter Stelzig

Der prominenteste Rapper/Sprüher aus Berlin ist sicherlich Fler. Mit unzähligen bemalten Zügen gehörte er zur dritten oder vierten Generation der Berliner Hardcore-Writer. Inspiriert von Vorbildern wie dem inzwischen verstorbenen RUZD oder Künstlern wie DIKE und MICRO, begann Fler sich innerhalb kürzester Zeit einen Namen in Berlin zu machen. Da Fler sich aber – wie viele andere Berliner – hauptsächlich auf Züge konzentrierte, war es erst mal schwieriger als gedacht, ein Überbleibsel seines Schaffens zu entdecken.

Deshalb begnügten wir uns vorerst mit einem Foto aus dem Archiv, auf dem er mit Skim zusammen eine S-Bahn besprüht hat. An der S-Bahn Linie 1 Richtung Wannsee gibt es zwar noch zwei oder drei bunte Bilder und auch ein paar “Fler Bushido”-Tags sind hier zu erspähen, im Sommer sind diese jedoch komplett zugewachsen. Trauer. Schließlich dann der entscheidende Tipp: Am Friedrich Wilhelm-Platz soll immer noch ein Fler-Bombing stehen. Verdeckt von Gestrüpp, welches wir skrupellos ausreißen, da meine Kollegin feststellt “dass das hier so Vergewaltiger-Büsche sind”, entdecken wir tatsächlich ein schnelles Silber-Piece. Victory! Weiter gehts …

SKIM

Skim ist nicht nur ein Graffiti-, sondern auch ein Rap-Kollege von Fler, der seinen Weg bei der legendären Beatfabrik-Crew begann. Er selber hat dies schon in Texten kundgetan und auch in anderen Medien wurde schon über seine Zweitkarriere berichtet. Insofern treten wir wahrscheinlich niemandem auf den Schlips, wenn wir verkünden, dass es sich bei Skim um Smexer handelt, ehemaliger Kompagnon von Kid Cobra und Prinz Porno aka Prinz Pi. Zumindest in Berliner HipHop-Kreisen dürfte er sogar bekannter unter seinem Graffiti-Pseudonym sein. Ein Skim-Piece zu finden, gestaltet sich dann auch als weniger schwer. Noch während wir die Werke anderer Rapper suchen, stolpern wir über das erste Skim-Throw Up in der Schmiljanstraße. Direkt am S-Bahnhof Savignyplatz dann ein weiteres, sicherlich die beste Stelle, die Skim aktuell vorzuweisen hat.

Ein paar Securities beobachten misstrauisch, wie wir unsere Fotos schießen, aber mehr als verärgert ihre Wampe zu halten, kriegen sie nicht hin. Und während wir noch überlegen, ob die Vegetation, welche uns die Sicht versperrt, ebenfalls unter die Rubrik “Vergewaltiger-Gebüsch” fällt, entdecken wir die nächste Überraschung …

UFO

Direkt gegenüber befindet sich nämlich ein Ufo. Der junge Mann aus Kreuzberg dürfte momentan den größten Newcomer-Hype eines Nicht-Newcomers haben, den es jemals gab. Was Graffiti betrifft, war Ufo allerdings schon unterwegs, als Trap noch das Funkeln in den Augen eines cracksüchtigen Jugendlichen mit Down South-Ambitionen war. Ufo und seine Graffiti-Crew hat Berlin in den letzten Jahren – zumindest was den quantitativen Output angeht – geprägt.

In Kreuzberg zwei weitere Ufos zu finden, war dann auch relativ leicht – einfach den grünen Rauchschwaden folgen. Im berühmt-berüchtigten Görlitzer Park, da wo Grünen-Wähler sich plötzlich gegen Minderheiten aussprechen und bereits der ein oder andere Innensenator am alltäglichen Drogenhandel verzweifelte, stehen immer noch zwei Bilder des Rappers.

Nachdem wir siebenmal den Kauf von Drogen abgelehnt haben (wie oft wir das Angebot angenommen haben, tut hier nichts zur Sache), hatten wir dann auch den ehemaligen Hoodrich-Artist im Sack. Schnell weg, bevor wir noch mit Touristen verwechselt werden.

Frauenarzt

Frauenarzts Crew Berlin Crime, kurz BC, hatte es sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, mit Rapmusik den Bekanntheitsstatus zu erweitern. Nicht nur in der Musik wurde Berlin Crime supportet. Die Crew setzte sich auch hin und wieder mal vor TV-Kameras, um ihrem Ruf gerecht zu werden. Aus Berlin Crime, die sich als Musiker Bassboxxx nannten, gingen unzählige deutsche Rapper hervor. Ob Manny Marc und MC Bogy oder auch Bass Sultan Hengzt und Tony D, die aus der Jugendabteilung von BC namens TMR (Terminators) stammten. Auch Rapper/Sprüher wie Mach One und Akte kamen aus dem Bassboxxx-Umfeld. Das charakteristische an BC waren ihre schnellen Silber-Bombings, die oftmals die Zerstörung von blitzsauberen Flächen in den Vordergrund der Aktion stellten.

Diese Vorgehensweise sorgt für jede Menge Aufsehen, führt aber auch dazu, dass viele der Bilder relativ schnell wieder überstrichen bzw. gebufft werden. Ein altes BC von Frauenarzt zu finden, gestaltete sich also kompliziert. Da half nur eins: Frauenarzt fragen. Nach reichlichem Überlegen fiel ihm dann ein verblichenes Bild am Priesterweg ein. “Da, wo der Bus unter der Brücke langfährt.” Mit freundlicher Unterstützung eines Postboten gelang es uns dann auch, dieses Graffiti-Pokémon zu fangen. Hallelujah!

Level

Bei Level handelt es sich um den Rapper Taktloss, so viel ist bereits bekannt. Alles andere ist ähnlich mysteriös, wie die Kunstfigur Taktloss an sich. Denn Level war viele Jahre mit Sicherheit der Mensch mit den meisten Tags in ganz Berlin. Er malte unzählige Züge und Straßen-Bombings, die übrigens in der Limited Box von Frauenarzts und Taktloss’ Album GOTT in einem Fotoband zu bestaunen sind.

Takti hatte noch zig weitere Namen, beherrschte das Spiel im Schlaf und entwickelte nebenbei den “Anti-Style” mit, lange bevor jeder 16-jährige Berliner dachte, mit Absicht beschissen zu malen wäre jetzt cool. Aber wie es so ist mit Legenden: Sie sind schwer zu fassen. Irgendwo in den U-Bahnschächten gibt es zwar noch Tags und auch am S-Bahnhof Nikolassee soll es noch verblichene Hinterlassenschaften geben, aber an ein Bild konnte oder wollte sich niemand erinnern.

Traurig setzen wir uns also in die S-Bahn. Und dann, wie durch ein Wunder, rast dieses riesen Level-Bild vorbei. Direkt an der S-Bahnlinie. Zusammen mit Lyte, dem Kool Savas einst die Zeile “Kool Savas hat mehr freshe Raps als Lyte Rooftops” widmete. Eilig verlassen wir am Bahnhof Zoologischer Garten den Zug. Das einzige Problem: das Bild ist zu Fuß nicht zu erreichen, es befindet sich mitten auf den Gleisen, umrahmt von Wohnhäusern.

Aber aufgeben ist nicht. Ich klingel bei einer Arztpraxis, welche im zweiten Stock vis-à-vis des Level-Bombings residiert. Eine alte Dame (offenbar die Ärztin) öffnet und hört sich misstrauisch meine Geschichte an. “Is ok”, sagt sie schließlich, “aber nicht dass ‘de mich überfällst!” Ich versichere, dies nicht zu tun, öffne das Fenster und erlege endlich meinen ersten Löwen. Graffiti-Safaris sind nämlich sehr zu empfehlen – wenn man eigenständig auf die Jagd geht, statt sich das Tier bereits betäubt vor die Flinte treiben zu lassen.

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