Japanisches Bondage, auch bekannt als Kinbaku oder Shibari, ist eine Jahrhunderte alte Form des BDSM. Ästhetik spielt bei dieser Fesseltechnik eine wichtige Rolle – und natürlich auch, dass du der Person, die dich verknotet, komplett ausgeliefert bist. Du wirst in eine menschliche Skulptur verwandelt und sexuell stimuliert. So jedenfalls die Idee dahinter. Shibari ist eine anspruchsvolle Kunstform, aber es geht dabei auch definitiv um Sex.
Bondage hat mich immer schon fasziniert, aber ich habe noch nie daran gedacht, jemanden darum zu bitten, mich zu fesseln und an der Decke aufzuhängen. So ein nackter verschnürter Körper sieht manchmal schon sexy aus, aber die Posen, in die er gezwungen wird, dann auch wieder unfassbar schmerzhaft – zu schmerzhaft, um mich anzumachen.
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Aber die Faszination blieb und ich wollte es endlich am eigenen Leib erfahren. Also habe ich Bob Roos angeschrieben, Betreiber der Fetischseite Ropemarks. Der 48-jährige Amsterdamer veranstaltet seit 20 Jahren BDSM-Workshops und hat sich auf japanische Fesseltechniken spezialisiert. Einen besseren Ansprechpartner dürfte ich kaum finden.
Ein paar Tage später stehe ich in Bobs Wohnung. An den Wänden hängen Bilder von gefesselten Comicheldinnen. Bevor wir loslegen, setzen wir uns auf die Terrasse für eine kleine Geschichtsstunde in Bobs Lieblingsfetisch.
“Japanisches Bondage fing damit an, dass Polizisten die von ihnen festgenommenen Leute fesseln musste”, sagt er. “Vor einigen Jahrhunderten hatte die japanische Polizei nur Seile, um Kriminelle zu transportieren. Die Beamten mussten komplizierte Knoten lernen, um sie an der Flucht zu hindern. Diese Polizisten nahmen ihr Wissen dann mit ins Schlafzimmer.”
Spring, Bobs Partnerin, gesellt sich zu uns. Ich erkenne sie sofort von den Bildern auf der Seite. Durch den bisweilen rauen Charakter der Fotos ist mir erst aufgefallen, wie weichgezeichnet BDSM in Filmen wie Fifty Shades of Grey dargestellt wird. Bob kommt richtig in Rage, wenn er darüber redet, was für ein falsches Bild Softpornos von Bondage vermitteln. “Die Leute gucken sich das an und wollen sich dann gegenseitig fesseln und von der Decke hängen lassen. Die merken aber nicht, dass das viel schwieriger ist, als es aussieht. So ein Seil kann ziemlich schnell reißen”, sagt er.
Für Bob scheint jetzt der richtige Augenblick gekommen, mich mit Geschichten über Menschen zu erfreuen, die sich bei Fesselspielen verletzt haben. Wie sich herausstellt, sind Nervenschäden das größte Risiko bei Bondage. Bei anderen BDSM-Formen merke man schneller, wenn etwas schiefgeht, so Bob, aber ein fehlerhafter Shibari-Knoten falle oft erst auf, wenn es zu spät ist. Um meine Motivation stand es eben noch besser.
“Aber Sicherheit geht vor”, versichert mir Bob. Er scheint mein wachsendes Unbehagen bemerkt zu haben. Gerade für Neulinge, sagt er, “ist es wichtig, darauf zu achten, dass nichts abgeklemmt ist. Mit jeder Sekunde, die du nicht sagst, dass ein Körperteil eingeschlafen ist, riskierst du ernsthafte Verletzungen deiner Nerven.”
Die Bondage-Session beginnt
Es ist soweit. Bob muss als Erstes meine Beweglichkeit testen. Dazu zieht er mir meine Hände hinter meinen Rücken. Wird es sich irgendwie angenehm anfühlen, frage ich. “Nein”, lacht er und sagt, dass es beim Suspension Bondage, also Fesseln mit Aufhängen, vor allem um Schmerzen geht – nicht unbedingt verursacht durch die Seile, sondern durch die Posen. “Du musst weiter atmen und dich durchbeißen”, mischt sich jetzt Spring ein. Dadurch könne ich den sogenannten “Rope-Space” erreichen – eine Art Trancezustand, bei dem Endorphine mein Hirn fluten. Ähnlich wie beim “Runner’s High”.
Während im Hintergrund EDM-Hits wummern, beginnt Bob auf kontrolliert-rhythmische Art, mir die Hände hinterm Rücken zusammenzubinden. Ich spüre, dass seine Haltung dominanter geworden ist, was genau hinter meinem Rücken passiert, kann ich aber nicht sehen. Ich merke nur, wie die Seile immer enger werden.
Bob verschnürt mich so weit, dass ich nur noch meinen Kopf bewegen kann. Während ich fast vollständig fixiert auf dem Fleck stehe, beschreibt er mir mit ruhiger Stimme, wie er seinen Fetisch entwickelt hat. Alles begann mit einer Faszination für Superhelden. “Als ich acht war, gab mir meine Großmutter einen Comic, in dem es eine gefesselte Spider Woman gab”, sagt er. OK, das erklärt wohl die Bilder an den Wänden. “Seitdem suche ich Comics, in denen Frauen gefesselt werden.”
Bei seiner ersten Begegnung mit einer gefesselten Comicheldin war Bob noch zu jung, um seine Faszination mit Sex zu assoziieren. Als er dann aber als Teenager anfing, Pornos zu gucken, stolperte er über BDSM. Seitdem, sagt er, sei er mit allen seinen Freundinnen immer offen über seine Vorliebe für Bondage umgegangen.
Ich kann mich nicht bewegen, aber genieße unsere Unterhaltung. Plötzlich zieht mich Bob an einer Seite meines Körpers hoch. Ich schreie. Meine größte Sorge gilt gerade meiner Schulter, die ich mir einmal mit 14 ausgekugelt habe. Mein Arm bleibt zum Glück in seiner Verankerung, aber langsam wird mir schwindelig. Ich soll meine Finger in Bewegung halten, damit Bob sehen kann, ob er irgendwelche Blutgefäße abgeklemmt hat.
Der 48-Jährige hat ein Faible für Überraschungen. Einen Augenblick später, ohne jegliche Vorwarnung, verdreht er meinen Körper in diverse Posen. So, wie es ihm gerade gefällt. Er zieht mich höher und höher, bis ich den Boden kaum noch berühren kann – nur, um mich dann wieder runterzulassen. Ich fühle mich wie ein großes antikes Möbelstück, das über eine Seilwinde nach oben gehievt wird. Ich bin eine Figur in Bobs Spiel und noch bin ich unsicher, ob die Schmerzen, die ich spüre, gut oder schlecht sind.
“Dieses Gefühl ist genau das, was ich daran mag”, sagt Spring, die neben uns an ihrem Tee nippt. “Während ich allmählich gefesselt werde, ergebe ich mich genau so allmählich dem Schmerz, bis ich ihn akzeptiere.”
Ich frage Bob, ob das hier alles nicht manchmal bisschen viel Aufwand ist, wenn er und Spring spontan Lust auf Sex haben. “Wir sind nicht immer in der Stimmung für Bondage, aber unser Sex ist immer ein bisschen kinky”, antwortet er.
Bob bindet ein paar Seile um meine Schultern. Schmerz und Druckgefühl werden langsam erträglicher, ja, sogar angenehm. Wie eine feste Massage auf einem verspannten Muskel. Bob bemerkt das anscheinend und fragt mich, ob mir das gefällt. Ich bejahe. Für ihn offensichtlich eine Aufforderung, meine Beine so weit hochzuziehen, bis ich in einem komischen Winkel in der Luft hänge. Das Blut schießt mir in den Kopf. Der Schmerz ist zurück.
Mein Gesicht ist rot wie eine Tomate und Bob nicht mein Freund. Besonders sexy ist die Atmosphäre im Raum also nicht, aber zumindest haben wir hier alle eine nette Zeit. Jetzt, da ich in der Luft hänge, verstehe ich besser, was Menschen am vermeintlichen Ausgeliefertsein anmacht. Du musst die Kontrolle komplett an jemanden abgeben, der alles mit dir anstellen kann. Jegliches Widersetzen tut körperlich weh.
Und das Ganze ließe sich je nach Wunsch auch eine Stufe weiter treiben. “Sex kann ein wichtiger Teil von Bondage sein”, sagt Bob. “Zum Beispiel kann eine Frau darum bitten, ihre Beine auf bestimmte Art gefesselt zu bekommen, damit man vögeln kann, während sie in der Luft hängt. Es gibt auch bestimmte japanische Bondage-Spiele, bei denen Frauen in eine Pose versetzt werden, die traditionell als demütigend gilt – wenn zum Beispiel ihre Arme hinter dem Rücken gefesselt sind und ihre Brüste nach vorne vorragen. Nach westlichen Standards ist diese Pose vielleicht keine große Sache, aber in Japan gilt sie als erniedrigend.”
Bob dreht mich wieder nach oben. Langsam gewöhne ich mich an die unerwarteten Manöver und fühle mich immer besser. Auch Bob bemerkt meine Behaglichkeit und lockert das Seil, das meinen Kopf oben hält. Ich drehe mich wieder auf den Kopf.
Wieder ist der Schwindel da, aber dieses Mal versuche ich, meinen Körper zu entspannen, und fühle mich leichter. Ich kann mich nicht bewegen – aber im Gegensatz zu vorhin, als mich das noch beunruhigt hat, spüre ich darin jetzt eine gewisse Freiheit. Ich weiß, dass bestimmte Atemtechniken während des Sex einen Orgasmus potenziell verlängern und intensivieren können. Einen Orgasmus im “Rope Space” stelle ich mir geradezu explosiv vor. Besonders angeturnt fühle ich mich hier allerdings immer noch nicht.
Bob geht zum Abschluss noch einen Schritt weiter: Er öffnet meine Haare und bindet sie mit einem Seil wieder zusammen. Daran zieht er mich hoch und zwingt mein Genick so in einen extrem ungewohnten Winkel. Mein ganzer Körper ist jetzt angespannt. So bewusst bin ich mir meiner Haare und Muskeln noch nie gewesen. “Ich muss zugeben, dass ich wirklich die Kontrolle habe”, bemerkt Bob fast beiläufig.
Dann ist es Zeit für ihn, mich wieder loszulassen. Ich spüre, wie mir ein Gewicht von den Schultern fällt – buchstäblich wie im übertragenen Sinn. Endlich kann ich mich wieder frei bewegen. ich bin erleichtert, wieder den Boden unter meinen Füßen zu spüren. Das Seil hat auf meinen ganzen Armen Abdrücke hinterlassen. Am nächsten Tag sind dort Blutergüsse.
Es ist nicht besonders schwer, sich vorzustellen, wie Bondage dein Sexleben verbessern kann – es ist herausfordernd und setzt voraus, dass du dich vollkommen deiner Partnerin oder deinem Partner hingibst. Toll sieht das alles auch noch aus. Trotzdem glaube ich nicht, dass ich diese Erfahrung mit ins Schlafzimmer nehmen werde. Mir gefiel zwar, wie die Spuren auf meiner Haut und die leichte Verspannung in meinem Hals etwas von einem Knutschfleck hatten, aber ich bin einfach zu ungeduldig. Es dauert eine gewisse Zeit, bis man in den Seilen ist, und wenn es dann endlich soweit ist, dürfte ich jedes Interesse an Sex verloren haben.