Eine ungeschriebene Regel des Lebens besagt: Wenn selbst aus deinen eigenen Reihen Kritik an deinen Aktionen kommt, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass du mindestens ein bisschen Scheiße gebaut hast. Die Strategie der Polizei bei den Demonstrationen um den G20-Gipfel 2017 ist so ein Beispiel: Die Beamten hätten unnötig eskalierend und gewalttätig auf die Demonstrierenden reagiert, sagten im Anschluss sogar Polizisten, die bei den Einsätzen dabei waren. Um die Krawalle des Juli-Wochenendes komplett aufzuarbeiten, tagt seit vergangenem September regelmäßig der G20-Sonderausschuss der Hamburger Bürgerschaft. Doch genau bei einer Sitzung dieses Ausschusses kamen nun heikle Informationen ans Licht, die das Fehlverhalten der Polizei erneut unterstreichen könnten – sollten sie sich als wahr herausstellen.
Schon vor der Sitzung am Donnerstagnachmittag zeichnete sich ab, dass die G20-Diskussion diesmal nicht reibungslos über die Bühne gehen würde. Die Linken-Fraktion hatte gefordert, sämtliches Video- und Audiomaterial zur Verfügung gestellt zu bekommen, damit der Ausschuss besser ermitteln könne. In einer Antwort der Innenbehörde auf eine entsprechende Kleine Anfrage der Linken hieß es allerdings, die Staatsanwaltschaft gebe nichts frei: Das Material sei ein Beweismittel in laufenden Ermittlungen. Die Hamburger Linke stellte deswegen direkt zu Beginn der Sitzung den Antrag, diese um drei Wochen zu vertagen, doch auch das wurde abgelehnt – zum Ärger der Abgeordneten. Die Hamburger Linken-Abgeordnete und Vize-Präsidentin der Bürgerschaft, Christiane Schneider, schrieb bei Twitter: “So ist eine Aufklärung nicht möglich.”
In der anschließenden Sitzung erhob Schneider allerdings noch viel schwerwiegendere Vorwürfe: Vier sächsische Polizeibeamte hätten sich zur Beobachtung in Zivil unter die Teilnehmer und Teilnehmerinnen der “Welcome to Hell”-Demo gemischt und seien dabei selbst vermummt gewesen. “Das hat einer der Polizisten Anfang der Woche vor einem Hamburger Gericht ausgesagt”, erklärte Schneider auf Nachfrage von VICE. Sie selbst sei nicht vor Ort gewesen und habe die Information vom Hamburger Rechtsanwalt Lino Peters erhalten, der in dem Gerichtsverfahren den Angeklagten vertrete, so die Politikerin.
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Das bestätigt auch Peters selbst. Gegenüber VICE erklärt der Anwalt, die sächsischen Polizisten seien als Zeugen in einem Prozess geladen gewesen, in dem es um eine mutmaßliche schwere Körperverletzung am 7. Juli 2017 geht. “Einer der Beamten hat am Dienstag ausgesagt, der andere schon davor”, so Peters. Der Polizist habe im Zeugenstand erzählt, dass er als ziviler Tatbeobachter bei der “Welcome to Hell”-Demo gewesen sei und dementsprechend auch die vor Gericht verhandelte Tat gesehen habe.
Sollten sich die vier Beamten tatsächlich unter den “Schwarzen Block” gemischt und zur Eskalation der Demo beigetragen haben, hätten sie mit der eigenen Vermummung mindestens eine Straftat begangen. Sollten sich Polizisten vermummt haben, sagt die Linken-Abgeordnete Christiane Schneider, “geht damit auch einher, dass sie andere Teilnehmer zu Straftaten aufgerufen haben könnten.” Die Demonstration war damals nach kurzer Zeit teilweise unverhältnismäßig brutal aufgelöst worden, weil ein Teil der Demonstrierenden unerlaubterweise vermummt war.
Um zu klären, ob daran auch Inkognito-Polizisten beteiligt waren, stellte die sächsische Linken-Abgeordnete Jule Nagel noch am Donnerstagabend eine Kleine Anfrage an den Landtag.
Nagel will dort etwa wissen, wie viele zivile Beamte und Beamtinnen die sächsische Polizei nach Hamburg entsandt hatte und ob diese sich dem Versammlungsleiter zu erkennen gegeben hätten. Laut Paragraf 12 des Versammlungsgesetzes wären sie dazu verpflichtet gewesen. Gegenüber VICE erklärte Nagel, sie rechne erst in einem Monat mit einer Antwort: “Als Fraktion denken wir aber darüber nach, eine Sonderinnenausschuss-Sitzung zu beantragen, damit das gegebenenfalls früher geklärt werden kann”, so die Linken-Politikerin.
Auch die Hamburger Polizei äußerte sich bisher nicht zu den Vorwürfen. Wahrscheinlich ist diese aber ohnehin gerade anderweitig beschäftigt: Am Mittwoch veröffentlichte die Polizei gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft erneut Fotos von 101 Verdächtigen im Rahmen der G20-Demos zur Fahndung. Acht von ihnen sollen bereits identifiziert worden sein – und sie sind mit ziemlicher Sicherheit keine Undercover-Polizisten aus Sachsen.
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