Wenn wir vor 18 Jahren besser bei den Simpsons aufgepasst hätten, wäre die Wahl von Donald Trump vielleicht nur ein halb so großer Schock gewesen. Wenn Jens Dreier früher aktiv Star Trek gebingt hätte, hätte der Neurologe gewusst: Was er einmal in seiner Sterbeforschung herausfinden wird, hat die Sci-Fi-Serie schon vor 30 Jahren prophezeit.
Jens Dreier ist Neurologe an der Charité Berlin. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jed Hartings hat der 52-Jährige im Februar eine Studie veröffentlicht, die herausgefunden hat, was nach dem Tod in unserem Gehirn passiert: Wenige Minuten nach dem Herzstillstand entladen sich die Neuronen ein letztes Mal mit voller Kraft und sterben erst dann vollständig ab. Dreier und Hartings nennen dieses Phänomen den “Hirn-Tsunami”.
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Doch ihre Forschungsergebnisse waren nicht so neu wie anfangs gedacht: Bereits 1988 versuchte die Star Trek-Chefärztin Beverly Crusher, Lieutenant Tasha Yar wiederzubeleben, und beschrieb dabei genau die Prozesse, die Dreier und Hartings kürzlich entdeckten.
VICE: Wie kommt man dazu, sterbende Menschen zu studieren?
Jens Dreier: Um herauszufinden, ob es bei Patienten auf der Intensivstation – besonders bei denen mit einem akuten Hirnschaden – zu einem Schlaganfall kommen könnte, werden sie überwacht. Durch Neuro-Monitoring kann die Gehirnaktivität sehr präzise aufgezeichnet werden, diese Untersuchungen finden in Europa, den USA und Japan statt. Leider sind einige der Patienten während der Untersuchungen gestorben. Da ihre Hirnaktivitäten aber auch währenddessen überwacht wurden, konnten wir zum ersten Mal aufzeichnen, was während des Sterbens mit dem Gehirn passiert.
Und das wäre?
Etwa eine halbe Minute nach dem Herzstillstand hört die normale Aktivität der Nervenzellen auf. Das ist eine Reaktion auf den Sauerstoffmangel. Bevor dem Gehirn die Energie zum Leben ausgeht, geht der Körper in den Sparmodus und schaltet die Nervenzellen aus. Wenn fast nichts mehr funktioniert, kommen sie aus ihrem gehemmten Zustand heraus und schütten die restliche, gespeicherte Energie aus. Die läuft dann wellenartig durch das Gehirn. Das ist nicht die Welle des Todes, aber nachdem sie in Gang gesetzt wurde, sterben die Zellen langsam ab.
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Was ist ein “Hirn-Tsunami” genau?
Die Wellen, die bei einem Herzstillstand im Gehirn ablaufen, sind im Vergleich zu normalen Hirnwellen riesig. Das ist, wie wenn ich einen Stein ins Wasser werfe, und der dann Wellen schlägt. Je nachdem, in welchem Land man sich aufhält, steht der Schlaganfall auf Platz zwei bis vier der Haupttodesursachen. Unser Ziel ist es jetzt, diesen Prozess so zu verlangsamen, dass Ärzten mehr Zeit zum Eingreifen bleibt.
Wie lange beschäftigen Sie sich schon mit diesen Wellen?
Seit 1993. Die Fälle der Patienten, die verstorben sind, haben wir in den letzten sechs Jahren gesammelt. Natürlich war es währenddessen nicht unser Ziel aufzuzeichnen, wie jemand stirbt, sondern genau das zu verhindern. Leider kommt es immer mal wieder zu Komplikationen, wodurch sich der Tod des Patienten nicht immer verhindern lässt.
Wie sind Sie auf die Parallelen zwischen Ihrer Forschung und Star Trek gestoßen?
Mein Kollege Jed Hartings hat die Szene zufällig gesehen und unsere Forschungsergebnisse darin erkannt. Bei einem Meeting hat er dann diesen Film vorgespielt. Die Macher von Star Trek müssen sich offensichtlich intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt und sich die tierexperimentellen Befunde angeschaut haben, bei denen die Prozesse in dieser Weise beschrieben sind. Der Erste, der diese Wellen erforscht hat, war ein brasilianischer Neurophysiologe, der in den 1940er Jahren Arbeiten über Kaninchen verfasst hat. Wir haben sie nun bei Menschen erforscht.
Können Sie sich erklären, warum es so lange gedauert hat, eine ähnliche Entdeckung bei Menschen zu machen?
Der Fortschritt in der Forschung geht furchtbar langsam. Diese Wellen sind vor 70 Jahren in einem Tierexperiment entdeckt worden und es hat bis jetzt gedauert, bis sie medizinisch am Menschen erforscht wurden. Die Star Trek-Episode spielt im 24. Jahrhundert, aber ich hoffe, dass ich noch erleben werde, dass wir therapeutisch weiter entwickelt sind, als wir es bei Star Trek sehen.
Kratzt es am Ego, dass Sie im Prinzip nichts Neues herausgefunden haben?
Nein. Der dargestellte Ablauf bei Star Trek entspricht unseren Forschungsergebnissen nicht im Detail, trotzdem beschreibt er ganz gut, was passiert. Die Ergebnisse aus den Tierexperimenten kenne ich natürlich. In meiner Forschung versuche ich herauszufinden, ob die Prozesse so auch beim Menschen aussehen könnten. Es ist erstaunlich, dass die Medizin das nicht schon früher versucht hat.
Können Sie sich Nahtoderfahrungen nun besser erklären?
Ich könnte als Wissenschaftler auf keinen Fall behaupten, dass es keine Nahtoderfahrungen gibt. Es gibt sogar gute Argumente dafür. Ich weiß, dass es in den ersten Minuten nach dem Herzstillstand eine gesteigerte Erregbarkeit im Gehirn gibt. Es ist gut möglich, dass es deswegen zum Beispiel zu Lichterscheinungen oder Tunnelsehen kommt. Es dauert, bis die Zellen sterben. Wenn jemand in dieser Anfangsphase wieder zurückgeholt wird, kann es gut sein, dass er sich an etwas erinnert. Das wissen wir aber erst sicher, wenn wir am Ende unseres Lebens selber sterben.
Fasziniert Sie der Tod?
Der Tod wird immer etwas dämonisiert und in unserer Gesellschaft auch oft verdrängt. Wenn ein enger Angehöriger verstirbt, sind die meisten Menschen nicht gut darauf vorbereitet. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto eher denke ich, dass es sich beim Tod um einen Lebensprozess handelt – und dieser möglicherweise sogar nochmal mit einem positiven Erleben endet.